Dialysepatienten in Zimmer C 046

Foto: derStandard.at/Schersch

Im arteriellen Schlauch (rot) befindet sich das zu reinigende Blut,  im venösen Schlauch (blau) das "gewaschene"

Foto: Thomas Konwitza

Das Blut fließt im Kapillardialysator von unten nach oben durch feine Hohlfasern

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Assistenzarzt Thomas Prikoszovich bei der Kontrolle

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Georg Gelbmann merkte sein Nierenproblem lange nicht - bei ihm war die Müdigkeit ein Symptom

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Ein Harnstreifentest kann beim Hausarzt gemacht werden und gibt unter anderem über die Nierenfunktion Aufschluss

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Gabriele Brabec geht seit ihrem 17. Lebensjahr zur Dialyse

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Ein langer Gang mit bunten Acrylbildern begrüßt Besucher und Patienten der Dialysestation des Allgemeinen Krankenhauses Wien. Es riecht leicht nach Desinfektionsmittel. Türen links, Türen rechts. Am Ende des Ganges befindet sich Zimmer C 046, es ist 13:00 Uhr und eben sind vier Patienten zur Dialyse eingetroffen. So verschieden die Menschen in diesem Raum sind, so haben sie doch eines gemeinsam: eine Nierenfunktionsstörung. Dreimal pro Woche teilen sie sich für vier Stunden ein Zimmer, um ihrem Blut bei der Reinigung zuzusehen. Die Stimmung im Raum ist entspannt, die Routine, die sich bei den Patienten entwickelt hat, spürbar. In einer Ecke des Raumes steht ein Fernseher, der eine Kochshow zeigt, die aber bei den Patienten kaum Beachtung findet. Zwei der Patienten reden miteinander, ein anderer löst Rätsel.

Dialyse übernimmt Funktion der Niere

Neben jedem Bett steht ein Gerät zur Hämodialyse; Schläuche verbinden Mensch und Maschine. Die normalen Blutgefäße der Patienten sind entweder schlecht zugänglich oder haben einen zu geringen Druck und sind daher für die Dialyse nicht geeignet. Daher wird operativ eine Gefäßverbindung (Shunt), meist zwischen Arterie und Vene des Unterarms, angelegt.

Langsam füllt sich der arterielle Schlauch mit dem Blut der Patienten und transportiert das zu reinigende Blut in das Dialysegerät. Die hohlen Fasern des Dialysators saugen sich von unten nach oben wie ein Schwamm mit Blut voll, bis sie völlig durchtränkt sind. Der Kapillardialysator stellt das "Herzstück" der Dialyse dar: Hier wird das Blut von Giftstoffen gereinigt, ein Vorgang, den bei gesunden Menschen die Niere übernimmt.

Ohne Niere vergiftet der Körper

Zu den Hauptaufgaben der Nieren gehören Blutreinigung und Wasserausscheidung. Im Körper entstehen giftige Stoffwechselprodukte, die im Blut zu den Nieren transportiert, dort ausgefiltert und mit dem Urin ausgeschieden werden. Bei einer eingeschränkten Nierenfunktion kann der Körper die Giftstoffe nicht ausscheiden und sie verbleiben im Blut. Um zu verhindern, dass der Körper vergiftet, müssen die harnpflichtigen Substanzen mittels Dialyse aus dem Blut gefiltert werden.

"Ich habe es erst spät gemerkt"

Ein Arzt geht von Bett zu Bett, kontrolliert die Werte der Dialysegeräte und betrachtet die Krankenakten, die an den Fußenden der Betten hängen. "Na wie geht es uns denn heute, Herr Gelbmann", fragt der Arzt einen älteren Patienten. Georg Gelbmann erläutert mit ruhiger Stimme sein aktuelles Befinden. Er kommt seit vier Jahren zur Blutwäsche. Ein Sudoku-Rätselheft liegt auf dem Schoß des 70-Jährigen, viele der Rätsel sind bereits gelöst. "Ich habe erst spät gemerkt, dass etwas mit mir nicht stimmt", sagt der Pensionist. "Ich wurde immer müder und müder und als ich den Arzt aufsuchte, war es bereits zu spät." Gelbmann musste, wie viele andere Patienten auch, sofort mit einer Dialyse beginnen. Die Müdigkeit war bereits Symptom einer Vergiftung des Körpers, verursacht durch Niereninsuffizienz. Vor zwanzig Jahren wurde ihm eine Niere transplantiert, die 16 Jahre arbeitete, bevor sie 2005 abgestoßen wurde. Seither geht der Pensionist wieder zur Dialyse.

Symptome zeigen sich erst spät

"Nierenerkrankungen sind hinterlistig", erklärt Walter Hörl, Leiter der klinischen Abteilung für Nephrologie und Dialyse am Wiener AKH. Ein Großteil der Patienten, merke nichts von der Erkrankung, Symptome zeigen sich erst sehr spät, so Hörl. Die meisten Diagnosen werden im Rahmen von Routineuntersuchungen gestellt. Erhöhter Blutdruck, verfärbter oder schäumender Harn, häufige Kopfschmerzen, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Übelkeit oder Juckreiz können Anzeichen für eine Nierenfunktionsstörung sein.

Fokus auf Früherkennung wünschenswert

Hörl hält eine Packung mit Harntestreifen in seiner Hand, öffnet sie und nimmt einen Streifen heraus: "So ein Test dauert eine Minute. Nur eine Minute für die Kontrolle der eigenen Nieren." Der Harnstreifentest ist beim Hausarzt durchführbar und gibt unter anderem über die Nierenfunktion Aufschluss. In Österreich leiden rund 400.000 Menschen an einer Nierenerkrankung, die meisten wissen aber nichts davon. Deshalb sei der Fokus auf die Früherkennung entscheidend, denn dadurch könne eine Dialyse oder Nierentransplantation so lange wie möglich hinausgezögert werden, erklärt Hörl.

"Es begann wie eine Sommergrippe"

Gabriele Brabec ist eine der vier Patienten in Zimmer C 046. Die 39-Jährige ist seit ihrem 17. Lebensjahr Dialysepatientin. "Bei mir begann alles wie eine Sommergrippe", erzählt Brabec. Sie wurde mit hohem Fieber ins Krankenhaus eingeliefert, eine sofortige Dialyse war notwendig. "Zwei Jahre danach bekam ich eine Niere transplantiert, leider wurde sie bald wieder abgestoßen", sagt die Patientin. Insgesamt dreimal wurde ihr eine Niere eingesetzt, immer mit dem gleichen Ergebnis: Ihr Körper stieß die Spendernieren nach kurzer Zeit ab.

Die eigenen Nieren werden bei einer Transplantation im Normalfall nicht entfernt, da dies die Operation deutlich verlängert und Gesundheit und Transplantat unnötig gefährden würde. Nach erfolgten Mehrfachtransplantationen muss aber aus Platzgründen oft eine Spenderniere entfernt werden. Für Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz ist die Transplantation einer gespendeten Niere die einzige Möglichkeit, wieder ohne die Dialyse zu leben.

Warten auf eine Spenderniere

Gabriele Brabec dialysiert nun seit neun Jahren wieder, auf der Warteliste für eine neue erneute Organspende steht sie nicht. "Vor acht Jahren wurden mir aufgrund eines Karzinoms meine eigenen Nieren herausgenommen. Seitdem habe ich einen sehr niedrigen Blutdruck", erklärt Brabec - ein Grund, um nicht in die Warteliste aufgenommen zu werden.

"Österreichs Patienten warten durchschnittlich zweieinhalb Jahre auf eine Spenderniere" sagt Hörl, "in Deutschland rund sechs Jahre." Die relativ kurze Wartezeit in Österreich ist auf die Widerspruchsregelung zurückzuführen: Jede Person, die nicht zu Lebzeiten ausdrücklich Widerspruch dagegen eingelegt hat, kommt als potentieller Organspender in Frage. Daher ist die Anzahl an Transplantationen hoch: Rund 3.300 Menschen leben mit einem Transplantat, ungefähr die gleiche Anzahl geht zur Dialyse. In Deutschland, wo eine aktive Zustimmung zu einer Organspende nötig ist, kommt nur ein Nierentransplantierter auf vier Dialysepatienten.

Hämodialyse - Peritonealdialyse - Transplantation

Die Transplantation ist, wie auch die Hämo- und Peritonealdialyse (Bauchfelldialyse), eine Art der Nierenersatztherapie. Während bei der Hämodialyse - wie in Zimmer C 046 - die Giftstoffe aus dem Blut maschinell außerhalb des Körpers herausgefiltert werden, geschieht die Entgiftung bei der Bauchfelldialyse in der Bauchhöhle. Sie ist zwar im Gegensatz zur Blutwäsche eine Dauertherapieform, kann aber von den Patienten mittels Heimdialysegerät selbst zu Hause durchgeführt werden. Dadurch verbessert sich die Lebensqualität, da Betroffene beruflich wie privat unabhängiger und mobiler sind. Knapp zehn Prozent der Patienten entscheiden sich für eine Heimdialyse.

Nur einen halben Liter pro Tag trinken

Die Kochshow im Fernsehen wird von einer Telenovela abgelöst, keiner der Patienten scheint sich dafür zu interessieren. Gabriele Brabec erzählt von den Einschränkungen im täglichen Leben, die die Krankheit mit sich bringt. "Ich darf täglich nicht mehr als einen halben Liter trinken. Im Sommer ist das manchmal hart." Bestimmte Ernährungsrichtlinien verbessern die Lebensqualität der Patienten und die Verträglichkeit der Dialysebehandlung: Dazu gehört nicht nur die Aufnahme von wenig Flüssigkeit, empfohlen wird auch salz-, phosphat- und kaliumarme Kost sowie viel Eiweiß. „Außerdem ist man irrsinnig gebunden", ertönt aus dem Nachbarbett eine Stimme. Georg Gelbmann spricht damit nicht nur die Besuche im Krankenhaus an. "Früher bin ich gerne in Urlaub gefahren, aber jetzt will ich erreichbar sein, für den Fall, dass ich eine Niere bekomme." Im aufgeschlagenen Rätselheft auf seinem Schoß ist bereits alles ausgefüllt. Wie auch Georg Gelbmann, hat jeder Patient eine Strategie entwickelt, um die Behandlungszeit so kurzweilig wie möglich zu gestalten. Nach rund vier Stunden ist die Dialyse beendet. Die Patienten gehen nach Hause, um sich in zwei Tagen erneut für einige Stunden das Zimmer zu teilen. (Ursula Schersch, derStandard.at, 01.04.2009)