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Junge Gläubige tauschen nach dem Anschlag in der Pelzgasse besorgte Blicke. Die Polizei soll vor der Gefahr gewarnt worden sein. Die Exekutive dementiert dies.

Foto: APA/Roland Schlager

Das Eskalationspotenzial bei den Sikhs war weder Stadtpolitikern noch Staatsschützern bewusst.

Kumar Baluinder hat Angst. "Diese radikalisierten Leute könnten ja auch in unsere Wohnungen eindringen und dort ein Blutbad anrichten. Sie könnten auf unsere Kinder losgehen", sagt der Vizeobmann des Vereins der Ravi Dassi am Tag nach dem blutigen Überfall auf den Tempel seiner Religionsgruppe (siehe Wissen und Interview) in der Wiener Pelzgasse.

Wie berichtet, stürzten sich am Sonntag gegen 13 Uhr während eines Gebets des eigens aus Indien eingeladenen Gurus Sant Niranjan Dass mehrere Männer mit gezückten Waffen – einer Pistole und Messern – auf den Prediger und seinen Begleiter Sant Rama Nand. Die Gurus brachen von Kugeln getroffen zusammen. Bei der folgenden Auseinandersetzung wurden 16 Menschen verletzt, fünf davon – vier Täter und der Prediger – schwer. Guru Nand starb Sonntagabend an seinen schweren Schussverletzungen, Guru Dass liegt verletzt im Spital. Es gehe ihm aber "sehr gut", verlautete die indische Botschaft.

Kommunikationsprobleme

Dass er und andere Ravi Dassi sich jetzt vor neuerlichen Angriffen fürchten, sei der Polizei bekannt, meint Baluinder. Doch bei den Beamten sei das "bei einem Ohr hinein und beim anderen wieder hinausgegangen." Ähnliche Kommunikationsprobleme dürfte es schon vor dem Überfall gegeben haben: Während Baluinder darauf besteht, dass die Information über einen Warnanruf an die Exekutive weitergegeben worden sei, heißt es bei der Polizei, bei der Veranstaltungsanmeldung sei davon nicht die Rede gewesen.

Nun will die Polizei vor der Entscheidung über Personenschutz für Angehörige der überfallenen Religionsgruppe erst "gründlichere Ermittlungsergebnisse" abwarten. Schon jetzt hingegen würden die indische Botschaft und das Konsulat verstärkt überwacht, sagte am Montag Werner Autericky, Leiter des Wiener Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT). Denn zu diesem Zeitpunkt waren laut Polizeierkenntnissen "Gruppen von Unterstützern der Ravi Dassi" aus den umliegenden Ländern auf dem Weg nach Wien. Diese, so Autericky, müsse man genau überwachen. Immerhin habe der in Wien explodierte Konflikt sogar in Indien grobe Folgen (siehe "Tote bei Ausschreitungen im Panjab"). Laut der "Times of India" ist eine 25-köpfige Delegation der Sikh-Strömung "Shri Guru Ravidas Sabha" nach Wien aufgebrochen, um "den Frieden wiederherzustellen".

Den detaillierten Ablauf der Ereignisse konnten die Sicherheitsbehörden bisher nicht rekonstruieren. Auslöser des Angriffs waren höchstwahrscheinlich Inhalte der Predigt, an deren Übersetzung gearbeitet wird. Auch die Frage, wer mit der Pistole, die auf dem Boden liegend gefunden wurde, geschossen hat, ist ungeklärt. Verteidigt haben sich die Ravi Dassis nicht mit Dolchen, sondern mit Pfannen und einem Mikrofonständer.

Gesichert ist inzwischen, dass drei der Tempelangreifer schon seit 2001 respektive 2008 als Asylwerber in Wien leben. Klar ist auch, dass sie den Staatsschützern bisher nicht aufgefallen waren: In den Verfassungsschutzberichten seit 2001 kommen radikale Sikhs und die Ravi Dassi nicht vor.

Stadler gegen "Problemgurus"

Der blutige Tempelüberfall in Wien hatte auch eine Reihe politischer Reaktionen zufolge: Ewald Stadler, BZÖ-Spitzenkandidat für die EU-Wahlen am 7. Juni, forderte ein "Einreiseverbot für Problemgurus und Hassprediger". Die Wiener Integrationstadträtin Sandra Frauenberger (SP), die am Montag die Zuwanderungskommission der Bundeshauptstadt vorstellte, meinte, die Eskalation sei nicht absehbar gewesen. (Irene Brickner/DER STANDARD-Printausgabe, 26.5.2009)