Das Gelände der Kaiserebersdorfer Kaserne in Wien-Simmering ist seit 40 Jahren Zufluchtsort für Flüchtlinge. Der Integrations-fonds übergibt das gelbe Haus demnächst ans Innenministerium

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Das Integrationswohnhaus im Wiener Flüchtlingsdorf Macondo war bisher wichtige Anlaufstelle für sämtliche Bewohner. Nun wird es geschlossen – und möglicherweise durch ein Polizeianhaltezentrum ersetzt – Von Martina Stemmer

Wien – Den äußersten Rand von Simmering will Tavfa Ibrahim auf keinen Fall gegen eine niederösterreichische Kleinstadt eintauschen. „Meine Kinder lieben Wien", sagt sie, „und was sollen wir in Mödling anfangen?" Die aus Syrien stammende Kurdin lebt seit vier Monaten mit ihren beiden Söhnen in „Macondo", jenem Flecken Stadt, an dem sich seit mehr als 40 Jahren Flüchtlinge ansiedeln.

Familie soll nach Mödling übersiedeln

Jetzt soll die Familie vom 11. Bezirk nach Mödling übersiedeln. „Ich hoffe, wir kommen doch noch wo anders unter. Denn Arbeit finde ich dort sicher keine." So wie 140 weitere Asylberechtigte leben die Ibrahims übergangsmäßig in einem schmucklosen gelben Wohnbau, dem Kardinal-König-Haus. Vor gut 15 Jahren ließ der Integrationsfonds dieses Gebäude auf dem Gelände der Kaiserebersdorfer Kaserne zwischen den städtischen Entsorgungsbetrieben und dem Alberner Hafen errichten.

Übergangswohnung

Nun soll die Einrichtung, in der Flüchtlinge nach positivem Asyl-Bescheid ein Jahr bleiben können, geschlossen werden. „Die Nachfrage nach den Wohnplätzen ist in den letzten Jahren gesunken", sagt Ursula Schallaböck vom Integrationsfonds. „Die meisten Asylberechtigten wollen lieber gleich etwas Dauerhaftes als eine Übergangswohnung." Man konzentriere sich künftig auf die anderen beiden Flüchtlingshäuser in Mödling und im 9. Bezirk.

Während das zweite Wohnheim in Macondo, in dem Asylberechtigte bis zu fünf Jahre lang unterkommen, bestehen bleibt, soll das gelbe Haus im Herbst dem Innenministerium übergeben werden. Was dann aus dem Bau wird, ist noch unklar.

Polizeianhaltezentrum

Angedacht ist ein Polizeianhaltezentrum, in dem Familien, deren Asylbescheid abgelehnt wurde, bis zu ihrer Abschiebung untergebracht werden. Anerkannte Flüchtlinge, die in Österreich bleiben dürfen, und Einwanderer, die auf ihre Abschiebung warten, leben dann Tür an Tür.

Zufluchtsort für Zuwanderer

Seit den Siebzigern dient das Gelände der Kaiserebersdorfer Kaserne als Zufluchtsort für Zuwanderer mit Flüchtlingsstatus. Rund 3000 Menschen leben derzeit dort. In den Siebzigern siedelten sich neben Osteuropäern und Vietnamesen vor allem Lateinamerikaner an – woher auch der Name Macondo stammt: ein fiktiver Ort, in dem Nobelpreisträger Gabriel García Márquez seinen Roman „Hundert Jahre Einsamkeit" ansiedelte. Viele, die im wild umwucherten Flüchtlingsdorf mit der zum Wohnbau umfunktionierten Kaserne und den schmalen gelben Reihenhäusern anfangs nur eine Zwischenstation sahen, sind bis heute dort geblieben.

Es gibt kaum Wickel

Maria Raso zum Beispiel. Mit ihren vier Kindern flüchtete sie Ende der Siebziger aus der Tschechoslowakei, seit 1982 wohnt sie in der alten Kaserne. „Ich lebe sehr gerne hier", sagt sie. „und habe auch nicht vor, wegzugehen." Wickel zwischen Neuankömmlingen und Alteingesessenen gäbe es kaum. „Es kapieren eigentlich alle sehr schnell, dass wir hier eine Gemeinschaft sind. In einer großen Gemeindebausiedlung passiert wahrscheinlich mehr als bei uns."

Zeiten, in denen bis zu 30 Nationen gemeinsam feierten

Wobei der Zusammenhalt früher noch größer gewesen sei – auch wegen der von den aus Chile stammenden Bewohnern organisierten Feste. „Da waren wirklich alle da. Und für die Kinder gab es sogar ein Ringelspiel." An diese alten Zeiten, in denen bis zu 30 Nationen gemeinsam feierten, will die Künstlergruppe Cabula6 anknüpfen: Sie hat eine Wohnung in der Kaserne gemietet und gemeinsam mit den Bewohnern eine Reihe von Projekten – vom Freiluftkino bis zum Graffiti-Workshop – auf die Beine gestellt. „Ich glaube, wir erleben gerade einen sehr wichtigen Moment in der Geschichte von Macondo", sagt Cabula6-Mitglied Jeremy Xido. „Es kann zum Vorzeigeviertel in Sachen internationaler Nachbarschaft werden. Oder zum verlorenen Ghetto."

Mikrokosmos wird verändert

Sollte das Polizeianhaltezentrum kommen, verändere das den Mikrokosmos grundlegend. „Das gelbe Haus war eine wichtige Anlaufstelle für alle." Gemeinsam mit Sozialarbeitern und der MA 17 (Integration) überlegt die Künstlergruppe, wie es bezüglich Stadtteilarbeit weitergehen könnte. Angedacht sind ein Gemeinschaftsgarten, ein Info-Büro sowie eine Reihe von Kulturveranstaltungen. (Martina Stemmer, DER STANDARD Printausgabe 9.2009)