Kai Meyer: "Die Sturmkönige", Teil 3: "Glutsand"
Gebundene Ausgabe, 476 Seiten, € 19,60, Lübbe 2009.
Keine Elfen, keine Zwerge, keine Drachen, keine Vampire - und doch bedient sich Kai Meyer eines Fantasy-Stoffs, wie er klassischer kaum sein könnte: der Sagen aus 1001 Nacht. Vielleicht löst der deutsche Autor mit seiner ebenso apokalyptischen wie kunterbunten Morgenland-Version ja noch eine Modewelle aus. "Glutsand" ist jedenfalls ein würdiger Abschluss der originellen "Sturmkönige"-Trilogie; was bisher geschah, finden Sie hier. Und wer die beiden ersten Bände noch lesen möchte, sollte jetzt schleunigst zur nächsten Seite weiterklicken, denn der nächste Absatz beginnt mit einem dicken fetten Spoiler.
Konsterniert mussten Meyers ProtagonistInnen am Ende von Band 2 ("Wunschkrieg") feststellen, dass sie gar nicht in der richtigen Welt leben, sondern in einer Kopie derselben, die ein mächtiges Magier-Paar schuf und in einer versiegelten Flasche am Meeresboden des Originals versenkte. Grund für ihren drastischen Eingriff (und einen in der Fantasy-Literatur bemerkenswerten Plot-Twist) war das Überhandnehmen der Wilden Magie, deren verheerende Auswirkungen einfach nicht mehr in den Griff zu bekommen waren. So wurde die Notbremse gezogen, alles Magische in die Kopie verbannt, die Originalwelt nahm den uns bekannten nicht-magischen Geschichtsverlauf ... und nur die Kopien der Menschen haben in ihrer Flaschenwelt nach wie vor den Scherben auf. Vor allem wegen der alles massakrierenden Dschinn-Heere, die sich nun auf Bagdad, die letzte freie Stadt des Morgenlands, zubewegen. Der Samarkander Junis kommt gerade zurecht, als die erste Angriffswelle auf die Stadt losrollt: Schlammvulkane werden zum Ausbruch gebracht, Rieseninsekten fallen über die Verteidiger her und die fliegenden Knochenthrone der Dschinnfürsten schweben höhnisch über den Legionen lobotomisierter Menschensklaven, die in völligem Wahnsinn über alles und jeden herfallen: Der jüngste Tag bricht an.
Als letzte Hoffnung für die Welt ist eine - das Motiv kennen wir doch - bunt zusammengesetzte neunköpfige Gruppe unterwegs, angeführt vom Schmuggler und begnadeten Teppichreiter Tarik, der ein Fragment eines Dschinnfürsten in sich trägt, den er leider doch nicht so ganz töten konnte. Dazu kommen die verhinderte Assassine Sabatea, deren Blut tödlicher ist als jedes Schlangengift, der Bagdader Hofmagier Khalis, der byzantinische Krieger Almarik, das Geschwisterpaar Nachtgesicht und Ifranji aus den Slums von Bagdad und ein geflügeltes Elfenbeinpferd. Plus zwei "Mitglieder", die nicht wirklich einsatzfähig sind: Khalis' scheintote Tochter Atalis, die er - was für ein Bild! - in einem mit Honig gefüllten Kristallschrein konservierte. Und die ehemalige Sturmkönigin Maryam, die am Ende von Teil 2 starb und die Tarik in vager Hoffnung auf Wiederbelebung kurzerhand zu Atalis in den Sarkophag stopfte. Gegen Khalis' ausdrücklichen Wunsch, und spätestens hier enden die Tolkien-Assoziationen. Denn die Fellowship of the Flying Carpet ist alles andere als eine eingeschworene Gemeinschaft: Misstrauen, Rivalitäten und wechselseitige Rachegelüste treiben sie an - selbst das ätherische Elfenbeinpferd pocht unbarmherzig auf die Einlösung einer Blutschuld. Wie hatten sie jemals annehmen können, auch nur in Skarabapur anzukommen, ohne sich zuvor gegenseitig die Schädel einzuschlagen? grübelt Tarik.
So sind denn auch die Motive der GefährtInnen, ans Ziel ihrer Queste zu gelangen, gänzlich unterschiedlich - nur der Weg eint sie: Ins besagte Skarabapur, wo die Quelle der Wilden Magie liegen soll und wo angeblich die welterschütternde Macht des Dritten Wunsches gesammelt wird. Eine alte Stadt, vielleicht nur eine imaginäre, oder auch einfach das Symbol der Erfüllung aller Wünsche ... noch wissen sie es nicht. Sehr schön kommt Meyer jedenfalls in vielfältigster Weise immer wieder auf Wünsche und Ambitionen als das zentrale Motiv der "Sturmkönige"-Trilogie zurück. Und die moralischen Ambiguitäten, die daraus entspringen, können die Heldentaten der "Guten" ebenso skrupellos wie die Massenmorde der "Bösen" (fast) verständlich erscheinen lassen.
Auf dem Weg ans unklare Ziel - und zu einem Showdown, der nichts zu wünschen übrig lässt - kommen sie jedenfalls noch an einer Menge Stationen von opulenter Bildhaftigkeit vorbei: In einem menschenleeren Persien, in dem die Dschinne Wälle aus den Schädeln der Getöteten errichtet haben, einer Glaswüste aus geschmolzenem Sand, unter deren Oberfläche sich gigantische Tiere bewegen, und schließlich einem Abgrund, der wie der Rand der Welt aussieht. "Glutsand" ist wie schon seine beiden Vorgänger eine Orgie aus Farben, bizarren Formen und Action - das schreit alles geradezu danach als Anime verfilmt zu werden!