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Bei Patienten die unter Neurodermitis leiden, verstärkt sich der Juckreiz unter Stress.

Foto: APA/Oliver Berg

Frankfurt/Main - Die Verlockung ist groß. Wenn es juckt, will jeder nur das Eine: Kratzen. Wohlwissend, dass es der Haut schadet und das Problem sich mitunter verstärkt. Das Dilemma kennt jeder vom Mückenstich. Für manche Menschen ist Juckreiz ein quälender Dauerzustand.

Chronischer Juckreiz besitzt als Symptom die Ausmaße einer Volkskrankheit. Bis zu 17 Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind davon betroffen. Das hat eine Studie der Universitätsklinik in Münster ergeben. Bei Patienten über 65 Jahren liegt die Rate sogar bei bis zu 23 Prozent. "Je älter, desto häufiger", sagt die Hautärztin Sonja Ständer. Die Behandlung kann schwierig sein, weil die Ursachen für das Jucken vielfältig sind. "Nicht nur Hauterkrankungen, sondern auch neurologische und psychiatrische Erkrankungen lösen Juckreiz aus", erklärt Ständer. Unter ihrer Leitung wird das in Fachkreisen auch "Pruritus" genannte Symptom in Münster daher in einem "interdisziplinären Kompetenzzentrum" angegangen.

Pruritus-Forschung in den Kinderschuhen

Das Phänomen Juckreiz wurde lange Zeit vernachlässigt. "Als Einzelsymptom wurde ihm nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt, da man die Neurobiologie des Symptoms nicht verstand und davon ausging, dass mit Therapie der Grunderkrankung auch das Symptom verschwindet", sagt Ständer. In vielen Fällen laufe Juckreiz allerdings nicht synchron mit der Grunderkrankung. Daher sei oftmals eine spezielle Versorgung der Patienten notwendig.

Während akuter Juckreiz, etwa nach einem Mückenstich, meist schnell wieder vorbeigeht, ist der chronische Juckreiz krankhaft. Nicht selten wird er zu einer schweren körperlichen und seelischen Belastung. Wer über einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen kontinuierlich darunter leide, solle unbedingt ärztliche Hilfe aufsuchen, rät die Fachmedizinerin aus Münster: "Dabei ist es unerheblich, ob der Juckreiz am gesamten Körper oder nur an einzelnen Stellen vorhanden ist."

Lange Liste möglicher Auslöser

In einer "Juckreiz-Sprechstunde" geht Ständer gemeinsam mit ihren Patienten auf Spurensuche. Die Liste der möglichen Auslöser ist lang: Hauterkrankungen, innere Störungen in der Leber- oder Nierenfunktion, Vitaminmangel, Zuckerkrankheit, Schilddrüsenfunktionsstörungen, Darmerkrankungen, Einnahme bestimmter Medikamente oder in seltenen Fällen bösartige Erkrankungen.

Aber auch Stress, etwa durch zunehmende Belastung im Beruf oder in der Familie, könne als Ursache in Betracht kommen. "Stress fördert die Entstehung von Juckreiz und bei bereits bestehendem Juckreiz verschlechtert er diesen", sagt die Hautärztin deutlich. Gerade bei Patienten, die unter Neurodermitis litten, sei dies häufig zu beobachten - mit Zunahme von Stress verschlechterten sich die Ekzeme und der Pruritus.

Erste-Hilfe-Maßnahmen für zu Hause

Jährlich werden rund 1.300 Patienten an dem Kompetenzzentrum betreut. Eine Therapie, zu der in vielen Fällen auch ein stationärer Aufenthalt gehört, kann langwierig und schwierig sein. Bei bis zu 70 Prozent der Patienten lässt sich chronischer Juckreiz damit aber wirksam behandeln. Als "Erste-Hilfe-Maßnahmen" für zu Hause empfehlen die Experten unter anderem das Tragen von luftiger, nicht-synthetischer Kleidung, kurzes Anlegen von feuchten oder kühlenden Umschlägen, kaltes Duschen sowie das Eincremen zur Rückfettung der Haut.

Wichtig sind solche Hausmittel vor allem, damit der Teufelskreis aus Jucken und Kratzen durchbrochen wird. "Kratzen ist die reflexartige Antwort auf Juckreiz und vermag diesen zu stillen", sagt Ständer. Doch das Aufkratzen der Haut verursacht wiederum juckende und entzündliche Hautveränderungen sowie Juckreiz bei der Wundheilung. Einige Patienten kürzen die Nägel und tragen nachts Handschuhe. Tagsüber kann das Kratzen auf kleine Kratzkissen "umgeleitet" werden. Eine Dauerlösung ist das aber nicht, wie die Hautärztin betont: "Kratzen kann willentlich nur für kurze Zeit unterdrückt werden. Der Kratzwunsch wird nachhaltig erst bei Therapie des Juckreizes verschwinden." (APA)