"In Italien ist jede Idee automatisch zum Scheitern verurteilt. Wir sind ein Volk, dessen Ideen und Hoffnungen komplett abgetötet wurden und damit auch jegliche Kreativität."

Foto: Robert Newald

Im Zuge der Mailänder Modewoche 2007 präsentierte Toscani Bilder des magersüchtigen, französischen Models Isabelle Caro, um auf die Problematik des Schlankheitswahnes aufmerksam zu machen.

Foto: Oliviero Toscani

Foto: Oliviero Toscani

"Es ist ein einziges Desaster."

Foto: Orazio Truglio

Foto: Orazio Truglio

"Priester küsst Nonne": Das Bild wurde in Italien verboten.

Foto: Oliviero Toscani

Foto: Oliviero Toscani

"Wenn eine Kampagne die Medien nicht interessiert, ist sie nutzlos." Mit diesen Worten wurde der italienische Fotograf Oliviero Toscani, der zwischen 1982 und 2000 die international umstrittenen Werbeplakate für das Modeunternehmen Benetton fotografiert hatte, gerne zitiert. Deshalb, so der heute 68-Jährige, spielten Kampagnen immer öfter mit Tabubrüchen oder Schock-Elementen: Magersüchtige Models, Religionskritik, Aids-Kranke und Todeskandidaten. Für Verwirrung gesorgt hat Toscani Anfang des Jahres, als er bei den im März anstehenden Regionalwahlen in der Toskana antreten wollte. Und zwar zuerst für die radikal-liberale Radicali Italiani (RI) und anschließend zusammen mit Premierminister Silvio Berlusconis Mitte-Rechtsbündnis Popolo della Libertà (PdL). Warum er nach einigen Zerwürfnissen für keine der beiden Parteien antritt, warum ihm "Kritiken egal" sind, warum die Toskana "wie Kuba ist", sagt er im derStandard.at-Gespräch.

derStandard.at: Sie wollten zu Beginn für Radikalen antreten, dann für Berlusconis PdL. Woher dieser Sinneswandel?

Oliviero Toscani: Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich mich nicht alleine in den Wettkampf begeben will und dass es interessant wäre, unterstützt zu werden.

derStandard.at: Ihnen war egal, wer Sie dabei unterstützt?

Oliviero Toscani: Ich gehöre selbst nicht dem Mitte-Rechts-Lager an, eher dem Mitte-Links-Lager. Aber die Toskana ist wie Kuba, sie wird seit 60 Jahren von der Linken regiert. Jedes Regime, egal welcher Richtung, verdirbt nach einer gewissen Zeit. In Italien ist man sehr müde geworden, auch in der Toskana. Es bräuchte einen Wechsel, der neue Energie bringt für die, die neu dazukommen würden in eine Regierung. Ich richte nicht mehr über Links und Rechts. Man versteht die Trennlinien ohnehin nicht mehr. Ich hätte in Italien gerne eine Verwaltung, die endlich ein bisschen Energie, guten Willen und Hoffnung versprüht. Enthusiasmus ist in Italiens Politik einfach nicht mehr vorhanden.

derStandard.at: Für den Enthusiasmus würden Sie selbst mit Berlusconi zusammenarbeiten?

Oliviero Toscani: Ich hätte das für mich getan und Berlusconis PdL hätte mich unterstützt. Ich wäre soetwas wie das trojanische Pferd gewesen.

derStandard.at: Nun wollte die PdL allerdings keine Zusammenarbeit mit Ihnen, weil sie Sie nicht für einen "geeigneten Kandidaten" gehalten hat ...

Oliviero Toscani: Nein, ich habe keine Antwort bekommen und habe daraufhin gesagt, dass ich meine Kandidatur zurückziehe. Sie haben scheinbar große Zweifel gehabt und nach zehn Tagen ist mir klargeworden, dass ich nicht länger warten kann. Denn das hieß für mich, dass es keine Anzeichen für Visionen oder für Enthusiasmus gab. In Italien ist jede Idee automatisch zum Scheitern verurteilt. Wir sind ein Volk, dessen Ideen und Hoffnungen komplett abgetötet wurden und damit auch jegliche Kreativität.

derStandard.at: Was zum Teil daran liegt, dass Berlusconi seit 15 Jahren das Parlament und die italienische Politik mit seinen persönlichen Justizangelegenheiten lahmlegt. Vergangenen Mittwoch wurde einmal mehr eine neue Immunitätsregelung verabschiedet, die eine Aussetzung der zwei Prozesse gegen Premier Silvio Berlusconi bewirkt. Gibt es für Sie Grenzen der Zusammenarbeit?

Oliviero Toscani: Mir ist klar, dass das politische System langsam ist und dass die Politiker sich nicht für langfristige Verbesserungen für das Leben der Menschen interessieren, sondern einzig und alleine für die eigenen Interessen. Die interessieren sich für gar nichts, nicht für das Volk, und für keinerlei kreative Ideen in der politischen Welt.

derStandard.at: Wie sehen die Ideen, die Sie haben, aus?

Oliviero Toscani: Ich hätte Enthusiasmus aufgebracht und eine Lebendigkeit, die nicht typisch ist für Politiker. Nur leider ist es unnötig, überhaupt damit anzufangen, Ideen zu entwickeln, weil sie sowieso abgewürgt werden.

derStandard.at: Welche Ziele würden Sie verfolgen, wenn Sie Präsident der Toskana wären?

Oliviero Toscani: Die Toskana hat unglaubliches Potential. Sie ist wunderschön und das ist alles vom Menschen, von seiner Kreativität, durch Freigeist und die Kunst geschaffen worden. Das ist hier nicht Patagonien. Die Toskana ist die einzige Region, die weltweit als Region bekannt ist. Klar, man kennt beispielsweise auch die Champagne, aber das ist eine Landschaft und keine Region. Aber Regionen gibt es sonst keine, die einen derart guten Ruf haben. Und von dem sollten wir ausgehen: Dass wir der gesegnetste Ort überhaupt sind und dass man das nützen muss. Wir könnten also die besten kreativen Köpfe der Welt einladen, um zusammen für die Kreativität der Toskana zu arbeiten.

derStandard.at: Das ist Ihr politisches Programm?

Oliviero Toscani: Es wäre schön gewesen, das auf politischer Ebene duchzuführen, also die gesamte Toskana miteinzubeziehen.

derStandard.at: Sie sehen sich also eher als Botschafter der Toskana?

Oliviero Toscani: Nein. Als Präsident der Region hätte ich mit der damit einhergehenden Macht eine kulturelle Großaktion gestartet.

derStandard.at: Werden Sie sich politisch engagieren im Wahlkampf?

Oliviero Toscani: Nein, ganz sicher nicht. Ich hab keine Zeit mehr zu verlieren durch Politiker und das politische System. Das ist purer Zeitverlust.

derStandard.at: Das sagen Sie, weil die PdL Sie als Kandidat nicht wollte?

Oliviero Toscani: Nein, die PdL sagt gar nichts. Kaum jemand kann etwas mit neuen Ideen anfangen und da denke ich mir doch, dass das einfach unmöglich ist! Es wird also so weitergehen wie bisher. Amen. Es war zu schön, kurz die Hoffnung zu haben, dass es möglich wäre, etwas zu ändern.

derStandard.at: Die Toskana ist schon seit jeher Hochburg der Linken...

Oliviero Toscani: Es ist ein linkes System, aber sie ist nicht mehr links. Sie ist komplett zerstört.

derStandard.at: Die Linke befindet sich derzeit in einer tiefen Krise, Ex-Premier Romano Prodi (Partito Democratico, PD) attestiert der PD, der größten Oppositionspartei, Führungslosigkeit ...

Oliviero Toscani: Weil sie keine Ideen haben! Sie sitzen auf ihrer Macht fest und spielen die Beamten und Manager der Politik. Sie haben keine Ideen, wissen nicht, was sie machen sollen, kritisieren sich nur ständig gegenseitig. Es ist ein einziges Desaster. Und es ist letztendlich auch ein administratives Regime, ein System ohne jegliche Idee oder Kreativität.

derStandard.at: Rechts wie links?

Oliviero Toscani: Ja und die Linke sollte das weniger aufweisen. Die Linken sagen, dass sie so intelligent sind, demonstrieren das aber nicht besonders. Sie sind unfassbar langweilig. Zur Rechten: Wer die Medien in der Hand hat, dem gehört die Macht. Dieses Kommunikationsmittel legt die politische Linie fest. Auch ich arbeite in der Kommunikationsbranche und bringe eine Alternative auf zu dem dummen, primitiven italienischen Fernsehen.

derStandard.at: Gerade darum drängt sich die Frage auf, wieso Sie mit der PdL zusammengearbeitet hätten.

Oliviero Toscani: Das ist keine Zusammenarbeit! Ich bin von den Radikalen und die PdL hätte mich unterstützt. Ich hätte gerne meine Politik gemacht, und sie hätten weiter ihre gemacht. Es ging darum, gemeinsam das Linksbündnis zu schlagen. Wenn ich nach Wien fahre, ist es doch egal, wer mich hinbringt, Hauptsache, ich komme in Wien an.

derStandard.at: Es gibt Leute, die meinen, dass es nicht egal ist, wie man seine Ziele erreicht.

Oliviero Toscani: Das ist Ei des Kolumbus, das trojanische Pferd. Verstehen Sie, das ist eine Idee! Es gibt Mittel, die man benützen kann. Ich wollte in Wien ankommen.

derStandard.at: Den Weg dorthin könnte man dennoch kritisieren ...

Oliviero Toscani: Man kann alles kritisieren! Ich sehe das machiavellisch: Der Zweck heiligt die Mittel. Verstehen Sie das oder nicht?

derStandard.at: Man könnte es auch so interpretieren, dass Sie Aufmerksamkeit erregen wollten und es Ihnen – wie bei Ihren Fotos – darum ging, zu schockieren, um ...

Oliviero Toscani: Nein, warum? Was hat das damit zu tun? Wer sagt denn, dass ich nur schockieren will? Fotografie ist Teil der Kunst, die Kunst an sich schockiert, aber mein Ziel ist ja nicht zu schockieren. Entschuldigen Sie, aber das ist eine Beleidigung.

derStandard.at: Was ich versucht habe, zu sagen, war, dass Ihnen durchaus immer wieder vorgeworfen wird, dass Sie sich in Wirklichkeit nur selbst in Szene setzen wollen.

Oliviero Toscani: Ich mache meine Arbeit. Dann gibt's eben die Deppen, die sich belästigt fühlen, damit sollen sie selbst klar kommen. So geht es ja nicht allen.

derStandard.at: Ja, zurück zu Ihrer Person: Die Kritik lautet ...

Oliviero Toscani: Sollen die doch sagen, was die wollen! Hören Sie: Ich bin nicht auf der Suche nach Konsens. Konsens führt zu Mittelmäßigkeit, Kritiken sind mir vollkommen egal. Auf welche Kritiker soll ich denn hören? Bei den Politikern reicht eine Kritik und die Idee ist abgetötet. Auf Kritiker höre ich nicht mehr, die sollen sich doch zum Teufel scheren.

derStandard.at: Kehren Sie der Politik jetzt endgültig den Rücken zu?

Oliviero Toscani: Die Politik ist mittlerweile komplett primitiv. Meine politische Karriere ist mir egal. Ich hab einen Beruf und dem geh ich nach. Wer in Italien nicht fähig ist zu einem Beruf, der wird Politiker.

derStandard.at: Ihnen geht es laut Ihnen nicht um Macht, nicht ums Schockieren. Worum ging es Ihnen dann, als Sie sich zur Wahl stellen wollten?

Oliviero Toscani: Das ist mein Beitrag als Bürger für dieses Land, das derzeit schlicht nicht funktioniert, das eingeschlafen, traurig und wenig kreativ ist und mit dem ich mich nicht mehr identifizieren kann. Deswegen wollte ich meine Zeit, mein Engagement, meine Fähigkeit dafür einsetzen, um zu schauen, ob sich etwas verändern lässt.

derStandard.at: Mit was für einer Art von politischem Programm?

Oliviero Toscani: Dinge anbieten, die Politiker in der Regel nicht anbieten.

derStandard.at: Wie etwa?

Oliviero Toscani: Wie ich bereits gesagt habe, müsste man das kulturelle Projekt überdenken.

derStandard.at: Was bedeutet das?

Oliviero Toscani: Eine Reihe von Mitstreitern, international wie national, dazu zu animieren, die kulturelle Energie zu überdenken, an dessen Ende eine Reihe Ideen herausgeschaut hätte und mögliche Projekte, die der Region geholfen hätten.

derStandard.at: Ein politisches Programm haben Sie nicht, es geht Ihnen also um Kultur?

Oliviero Toscani: Es braucht immer die Kultur, um etwas zu starten, ohne sie verändert man nichts. Und von diesem Ausgangspunkt geht der Rest aus. Ich habe einen Beruf, der mir viel Genugtuung verschafft. Politisch gesehen ist der Zeitpunkt dramatisch. Ich bin viel im Ausland und jedes Mal, wenn in nach Italien komme, denke ich mir, dass man etwas machen muss. Es tut mir leid, dass wir in diesem Interview über ein Projekt geredet haben, das gestorben ist. (fin, derStandard.at, 4.2.2010)