Die menschliche Nase kann mehrere tausend Düfte wahrnehmen. Da bestimmte Gerüche eng mit emotionalen Erinnerungen assoziiert werden, trägt das Riechen maßgeblich zur Lebensqualität bei.

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Spätestens wenn die Nase verschnupft ist, wird einem bewusst, wie wichtig das Riechorgan eigentlich ist: Ohne zu riechen wird alles zum Einheitsbrei. Sprachlich werden riechen und schmecken aber oft nur unscharf getrennt; denn "schmeckt ein Essen gut" ist eigentlich die Nase dafür zuständig. Die Zunge kann lediglich zwischen vier Geschmacksqualitäten unterscheiden, die Feinheiten übernimmt der Geruchssinn. "Das Riechen macht die Obertöne unseres Geschmacksempfindens aus. Sind wir auf süß, sauer, bitter und salzig reduziert, wirkt jede Mahlzeit fad, weil uns die Aromen fehlen", erklärt Andreas Temmel, Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde. Bei der Nahrungsaufnahme werden Speisen mit den Geschmackspapillen geschmeckt und gleichzeitig beim Kauen durch die retronasal aufströmenden Aromen mit dem Riechepithel gerochen.

Riechen und Schmecken gehören zur Chemosensorik, das heißt zu den Sinnen, die chemische Stoffe wahrnehmen. Dinge, die wir riechen, setzen Moleküle frei, die über Riech- und Geschmackssinneszellen Signale an das Gehirn senden, wo die Wahrnehmung stattfindet. Die Geschmacksinformationen werden über drei Hirnnerven an das Gehirn geleitet, Geruchsinformationen lediglich über einen. "Ein kompletter Verlust der Geschmackswahrnehmung ist daher sehr unwahrscheinlich. Eine Schmeckstörung ist etwas Seltenes, eine Riechstörung kommt wesentlich häufiger vor", so Temmel. In Österreich leiden zwischen 1,5 und 5 Prozent der Bevölkerung an Riechstörungen, wobei der Geruchssinn mit dem Alter abnimmt.

Liegt eine Störung des Geruchssinns vor, schränke das im alltäglichen Leben deutlich mehr ein, als eine des Schmecksinns. Dabei unterscheidet man zwischen einem kompletten und einem teilweisen Verlust des Riech- und Schmeckvermögens sowie einer veränderter Wahrnehmung und Interpretation.

Einschränkungen in der Lebensqualität

Die menschliche Nase kann mehrere tausend Düfte wahrnehmen. Da bestimmte Gerüche eng mit emotionalen Erinnerungen assoziiert werden, trägt das Riechen maßgeblich zur Lebensqualität bei. Dennoch bleiben Riechstörungen im Vergleich mit Einschränkungen der anderen Sinne allgemein oft unterbewertet. Ein gestörter oder fehlender Geruchssinn ist zwar nicht lebensbedrohlich, trotzdem greift dieser sehr stark ins Leben der Betroffenen ein. So fehlt nicht nur ein wichtiges Alarmsystem, das vor verdorbenen Lebensmitteln und giftigen Dämpfen warnt, Betroffenen wird auch der olfaktorische Genuss verschiedener Aromen verwehrt.

"Erworbene Riech- und Schmeckstörungen treten im Alter meist schleichend auf – so wie die Schwerhörigkeit – und stören viele Patienten nur unwesentlich. Jene Patienten, die eine plötzliche Riechstörung haben, etwa durch einem Unfall, leiden dagegen sehr darunter: Sie haben beim Kochen Probleme, weil sie Nahrungsmittel nicht mehr auf Unversehrtheit prüfen können, verspüren keine Freude beim Essen und können ihre Körperhygiene nicht mehr kontrollieren", erklärt der HNO-Arzt. Personen, die nichts riechen, sind auch in ihrer Sexualität und Partnerwahl eingeschränkt, da Lust und Sympathie auch unmittelbar mit Geruch zusammenhängen. Vielen Betroffenen macht es stark zu schaffen, dass sie nahe Bezugspersonen wie Familienmitglieder nicht mehr riechen könne. Psychische Probleme wie Depressionen, sexuelle Lustlosigkeit, Reinlichkeitszwang oder Appetitlosigkeit sind oft die Folge.

Geruchsverlust durch Schnupfen

Angeborene Riech- oder Schmeckstörungen sind sehr selten. Weitaus häufiger entstehen Einschränkungen oder Verlust des Geruchsinns durch Entzündungen der Nase und der Nasennebenhöhlen, Virusinfektionen oder Traumata. "Ein banaler Schnupfen kann reichen, um nie wieder etwas zu riechen. Rund ein Drittel jener Patienten, die aufgrund von Riechstörungen ärztliche Hilfe aufsuchen, leiden unter einer postviralen Anosmie, dem vollständigen Verlust des Geruchssinns nach einem Infekt", so Temmel. Störungen des Geschmackssinnes können durch Kopfverletzungen, Infektionen im Mundbereich, Kontakt zu toxischen Substanzen, Bestrahlungen, Veränderungen der Mundschleimhaut und die Einnahme von Medikamenten ausgelöst werden. Auch chirurgische Eingriffe können vorübergehende Schmeckstörungen verursachen – etwa im Rahmen einer Mandel- oder Mittelohroperation.

Die Behandlung einer Sinnenstörung wird nach ihrer Ursache ausgerichtet und gestaltet sich demnach einfacher oder schwieriger. So kann bereits das Absetzten eines Medikamentes ausreichen oder aber eine Operation notwendig sein, um die Störung zu beheben. „Kommt es zu einem Abriss der Nervenfasern, ist keine Therapie möglich. Liegt aber eine mechanische Verlegung vor, kann man diese sowohl mit Medikamenten, als auch mit Operationen beheben", erklärt Temmel.

Hinweis auf andere Krankheiten

Nicht selten deuten Riech- und Schmeckstörungen aber auch auf andere Erkrankungen hin. "Alle chronischen Krankheiten, die mit einer Nervendegeneration einhergehen, können zu einer Riech- und Schmeckstörung führen – so etwa bei Diabetes, Schilddrüsen-, Nieren- und Lebererkrankungen. Auch bei Alzheimer und Parkinson tritt die Riechstörung als erstes Symptom auf", so Temmel. In den USA gelte der "Smell Identification Test", ein Riechtest für zu Hause, standardmäßig als Frühdiagnostik für Alzheimer.

Der Verlust des Geruch- oder Geschmacksinns müsse aber weder auf schwerwiegende Erkrankungen hinweisen, noch zwangsläufig dauerhaft sein. Handelt es sich um einen oberflächlichen Schaden im Bereich der Riechschleimhaut oder der Schmeckrezeptoren – wie häufig nach einem Schnupfen – verschwinde diese Beeinträchtigung meist nach drei bis sechs Monaten, da sowohl die Riechschleimhaut, als auch die Schmeckrezeptoren die einzigen Sinnesorgane sind, die sich regenerieren können. (derStandard.at, 08.04.2010)