Rund 1,9 Millionen Jahre alt und mit Stein "verwachsen": Schädel der neuen Australopithecus-Art. (oben: Schädelrekonstruktion)

Foto: Foto: Uni Zürich / Peter Schmid
Foto: Uni Zürich / Peter Schmid

Zürich/Wien - Sterkfontein heißt auf Afrikaans starke Quelle und ist die offizielle Bezeichnung für Kalksteinhöhlen im Nordwesten von Johannesburg in Südafrika. Seit ein paar Jahren dürfen sich die Höhlen aber auch noch anders nennen: nämlich "die Wiege der Menschheit", wie die Unesco 1999 beschloss, als sie Sterkfontein zum Weltkulturerbe erklärte.

Das kommt nicht von ungefähr: Sterkfontein, wo seit über 100 Jahren Fossilien gesucht werden, ist die reichste lokal begrenzte Fundstätte der Welt für frühe Hominiden: So stammt zum Beispiel der Schädel von "Mrs. Ples", einem Australopithecus africanus, der auf ein Alter von 2,6 bis 2,8 Millionen Jahre geschätzt wird, von dort. Bekannt ist das Höhlensystem außerdem für "Little Foot", ein Skelett, das man auf rund vier Millionen Jahre datiert.

Nun kommt ein weiterer spektakulärer Fund aus unmittelbarer Nähe dazu. In den 15 Kilometer von Sterkfontein entfernten Höhlen von Malapa fanden Forscher eine neue Hominidenart namens Australopithecus sediba, die vor 1,78 bis 1,95 Millionen Jahren gelebt haben dürfte und gewissermaßen ein Missing Link zwischen den älteren Australopithecinen und den "neueren" Vertretern der Gattung Homo darstellen könnte.

Fund eines Neunjährigen

Entdeckt wurden die Überreste bereits im August 2008, dank des neunjährigen Sohns des Paläoanthropologen Lee Berger von der Universität Witwatersrand: Er stieß in den Malapa-Höhlen auf das Fragment eines Schlüsselbeins. Bei systematischen Nachforschungen fanden die Forscher um Lee Berger und Peter Schmid von der Universität Zürich innerhalb von vier Wochen über 30 Hominidenelemente.

Für Schmid war das etwas absolut Einmaliges: "Vor dieser Entdeckung konnte man alle bekannten Fossilien dieser Periode, die für den Ursprung des Menschen infrage kommen, auf einem kleinen Tisch ausbreiten." Das habe sich mit den neuen Funden, einem weiblichen Vormenschen und einem männlichen Kind, schlagartig geändert. Ihre hervorragende Konservierung führt Berger darauf zurück, dass die Höhle unzugänglich war: Fleisch- und Aasfresser konnten sich nicht über die Leichen hermachen.

Die neue Art, die von den Forschern in der aktuellen Ausgabe von Science (Bd. 328, S. 195) beschrieben wird, besitzt einen für den Australopithecus typischen relativ kleinen Schädel. Auch die Körpergröße von knapp 1,30 Metern und die kräftigen Arme und Hände stimmen überein mit dem Bauplan der Australopithecinen. Sprunggelenk und Fersenbein sind so geformt, dass der Fuß gut nach innen gedreht werden konnte, was beim Klettern von Vorteil ist. Andere Merkmale hingegen passen eher zur Gattung Homo, zu welcher der Homo sapiens gehört.

Der Australopithecus sediba habe wohl aus Sicherheitsgründen noch auf Bäumen geschlafen, sagte Schmid. Auf dem Boden habe er sich auf zwei Beinen fortbewegt. Und womöglich stelle er die bisher fehlende Verbindung zwischen den Gattungen Australopithecus und Homo dar. (Klaus Taschwer/DER STANDARD, Printausgabe, 09.04.2010)

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Hintergrund

Meilensteine aus sechs Millionen Jahren

 

Als Homo sapiens (verständiger Mensch) ist der Mensch heute die einzige lebende Art aus der Familie der Hominiden (Menschenartigen). Die meisten Hominiden sind jedoch keine direkten Vorfahren des Menschen, sondern starben wie der Neandertaler als Seitenlinie der Evolution aus. In der folgenden Auflistung einiger spektakulärer Ausgrabungen ist jeweils das Alter der Fundstücke angegeben. Die Lebensspanne der einzelnen Arten überschnitt sich häufig.

  • 7 bis 6 Millionen Jahre - Sahelanthropus tchadensis: Dieses bisher älteste bekannte Mitglied der Menschenfamilie entdeckt ein Forscherteam aus Frankreich und dem Tschad im Juli 2001 in der Sahel-Zone in Zentralafrika. Der Fund namens Toumaï könnte aus der Zeit der Trennung der Affen- und Menschenartigen (Hominiden) stammen. Nach späteren Untersuchungen ähnelte er frühen Menschen mehr als den Menschenaffen.
  • 6 Millionen Jahre - Orrorin tugenensis: Französische und kenianische Wissenschafter finden im Oktober 2000 in der Boringo-Region (Kenia) die Reste des "Millennium-Menschen". Er zeigt deutliche Hinweise auf den aufrechten Gang. In der Fachwelt ist jedoch umstritten, ob er ein direkter Vorfahr des Menschen war.
  • 4,4 Millionen Jahre - Ardipithecus ramidus: Der Fund aus Äthiopien zählt zu den Menschenartigen (Hominiden) und ist weit mehr von den Affen entfernt als bisher vermutet.
  • 3,2 Millionen Jahre - Australopithecus afarensis: Am 30. November 1974 wird in Äthiopien "Lucy" ausgegraben, ein Teilskelett, das als letzter gemeinsamer Vorfahr mehrerer Abstammungslinien von Hominiden gilt.
  • 2,5 - 2,3 Millionen Jahre - Homo rudolfensis: Dieser Mensch hat ein größeres Gehirn als die Australopithecinen und nutzte auch schon Werkzeuge. Er ist möglicherweise einer der direkten Vorgänger des modernen Menschen.
  • 1,8 - 2 Millionen Jahre - Australopithecus sediba: Die in einer Höhle der südafrikanischen Region Sterkfontein gefundenen Fossilien eines Buben und einer Frau könnten eine Übergangsform zwischen den noch affenartigen Vormenschen (Australopithecinen) und den Frühmenschen darstellen.
  • 1,8 Millionen - 300.000 Jahre - Homo erectus (Javamensch): Mit dem Homo erectus begann eine Wanderbewegung aus Afrika nach Europa und Asien. 1891 entdeckt der Holländer Eugene Dubois einen Javamenschen, der vor 500.000 Jahren gelebt hat. In Georgien finden Forscher seit 1999 mehrere 1,75 Millionen Jahre alte menschliche Überreste, die dem Homo erectus zugerechnet werden.
  • 500.000/780.000 Jahre - Homo heidelbergensis: Im Oktober 1907 wird im Dorf Mauer bei Heidelberg ein rund 500.000 Jahre alter Unterkiefer dieses Menschen ausgegraben. 1995 werden in Gran Dolina (Spanien) 780.000 Jahre alte Überreste von vier Menschen dieser Art und Werkzeuge gefunden. Sie zählen zu den frühesten Menschen Europas, starben wahrscheinlich aber aus.
  • 160.000 Jahre - Homo sapiens: Die bisher ältesten Überreste des modernen Menschen findet ein internationales Forscherteam 1997 in Äthiopien. Die erst 2003 analysierten Schädelknochen erhärten nach Ansicht der Forscher die Vermutung, dass die modernen Menschen in Afrika entstanden sind und sich von dort in die ganze Welt ausgebreitet haben.
  • 120.000 - 10.000 Jahre - Homo floresiensis: Der als "Hobbit" bekanntgewordene, nur ein Meter große indonesische Urmensch war im Jahr 2004 auf der Insel Flores gefunden worden. Es gilt als umstritten, ob er eine eigene Art ist oder ein kleinwüchsiger Homo sapiens.
  • 40.000 Jahre - Homo neanderthalensis: Ein Fund von 1856 in der Feldhofer-Grotte im Neandertal stellt den Beginn der Forschung zur Evolution des Menschen dar. Heute gilt der Neandertaler als ausgestorbene Seitenlinie des Menschen. (APA)