Künstler Brad Downey hat sich vergewissert: Unter dem Pflaster liegt tatsächlich der Strand. "House of Cards III" , realisiert 2007 in Berlin, wo der 1980 in Kentucky geborene Künstler heute lebt.

Foto: Brad Downey

Dennoch ist der tote Kunststar Ausgangspunkt der Ausstellung "Street and Studio" in der Wiener Kunsthalle.

Wien – 1959 schlug Constant vor, die Börse von Amsterdam niederzureißen, um an ihrer Stelle einen Spielplatz zu errichten. Eine radikale Utopie – freilich nie realisiert -, sich jedoch als Bild fruchtbar fortpflanzend. Ebenso wie ein anderer Slogan der Situationistischen Internationale, die sich flanierend den urbanen Raum zurückerobern wollte: "Unter dem Pflaster der Strand" , proklamierten sie im Paris der 1960er-Jahre. Schon damals war die Stadt nicht nur Inspiration, sondern Material, das beim ziellosen Umherschweifen, dem "dérive" , dazu aufrief, es zu benutzen, selbst wenn das bedeutete, es zweckzuentfremden.

Und mehr als vierzig Jahre danach, 2008 in Amsterdam, tatsächlich – eine Sandwerdung dieser Ideen: Brad Downey hob Gehsteigplatten ab, wie um sich zu vergewissern, dass Guy Debord nicht gelogen hat. Seine Sandburg (Castle Beneath Cities, 2008) wirkt wie ein Seufzer der Erleichterung.

"Der Akt oder Prozess ist ein positiv zu verstehender Ruf zu den Waffen, welcher alle urbanen Bewohner daran erinnert, dass ihre Stadt ihnen gehört" , sagt Downey, legitimer Erbe der Situationisten.

Andere Pflastersteine stapelte er zum Kartenhaus oder spielte Domino mit ihnen oder – seine wohl beiläufigste Arbeit im öffentlichen Raum – hämmerte derart auf Parkbänke, dass die Eisenfüße quaderförmige Muster im Asphalt hinterließen. Alles Eingriffe, die der Minimal Art nahestehen.

Vor die Kunsthalle Wien, in deren Inneren man das Phänomen Street and Studio von Basquiat ausgehend verfolgt, pflanzte Downey nun eine mit Beton ausgegossene Telefonzelle.Ein Relikt mit dem im Mobilzeitalter schon vorher keiner mehr telefonierte.

Aber eigentlich ist Basquiat, der nur 27-jährig an einer Speedball-Überdosis (einer teuflischen Mischung aus Kokain und Heroin) starb, Ausgangspunkt der Schau, die die neue, an urbanen und suburbanen Kulturen inspirierte visuelle Sprache auffächert.

Denn Basquiat war nicht nur der erste afroamerikanische Künstler, der am Kunstmarkt Höchstpreise erzielte (die Basler Fondation Beyeler richtet dem toten Malerstar aktuell eine Retrospektive aus), sondern auch der Inbegriff eines Künstlers zwischen Sub- und Hochkultur, zwischen der am Rande der Illegalität operierenden Street Art und schicker Galeriekunst. Er überzog den Süden Manhattans mit Graffiti-Phrasen, verdiente Geld mit dem Verkauf selbstbemalter T-Shirts, gründete eine Noise-Rock Band, um dann als bunter Hund in Warhol, Haring und Clemente Freunde und Kunstkollaborateure zu finden und sich mühelos in den teuren Kunstolymp zu hieven.

Energie und Impulse des Undergrounds fanden letztendlich doch den Weg auf elitäre Leinwände, und es ist diese Rahmenware, die gemeinsam mit Großformaten u. a. von Rita Ackermann oder Ramm:ell:zee den etwas behäbigen Kern der Ausstellung bilden.

Wesentlich stärker und dynamischer ist die Ausstellung in ihren Ecken, dort, wo der Saal räumlich ausfranst. Arbeiten wie jene 666 von Sol Lewitt dokumentierten Wandzeichnungen (Graffiti-Tags) oder Sophie Calles Arbeit zu Bewohnern der Bronx dienen als Überleitung zu jüngeren, auch österreichischen Positionen. Zu Rita Vitorelli etwa, die Spiegelscherben wie Tags im öffentlichen Raum verteilt, die zarte Eingriffe mit Alltäglichem und Vorgefundenem vornimmt.

Aber was passiert tatsächlich, wenn Kunst, deren Ideen sich auf der Straße entzünden, ins Museum kommt? Wenn das, was vielen Bußgeldern oder gar Kittchen eingebracht hat, nun beklatscht an der Wand hängt? Die tatsächlichen Sprayer sind in ein cleanes und räumlich distanzierendes Medium Video gebannt. Man musste fast damit rechnen, dass Christian Eisenberger diese Gräben aufreißen wird: Mit blauen Lippen stolpern Drogenabhängige vom Karlsplatz über Gedichte eines Lebensmüden; das durchstanzte Katalogcover nutzt er für Graffiti-Stencils, die er am Areal des Museumsquartiers verteilt. Und auch im Ausstellungsraum "malt" er über den Rand hinaus. Street Art im White Cube? Vielleicht ist das doch wie kastriert. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 10./11.07.2010)