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Stechmücken den globalen Garaus zu machen wäre ein Segen für die Menschheit, aber womöglich ein ökologischer Fluch.

Foto: REUTERS/James Gathany/CDC

London/Wien – Im Moment dürfte die Gelsenplage bei uns gerade abflauen, sagt Harald Krenn. "Das liegt vor allem am kühlen, windigen Wetter". Wenn es in den nächsten Wochen aber wieder heiß werden sollte, dann sei eine neuerliche Invasion zu befürchten, so der Entomologe und Ökologe vom Department für Evolutionsbiologie an der Uni Wien.

Für uns Menschen sind Stechmücken vor allem lästig, genauer: die weiblichen. Denn während sich die männlichen Gelsen Vegetarier sind, ernähren sich die Weibchen von Blut, was in unseren Breiten im Normalfall "nur" zu juckenden Gelsenstichen führt. In anderen Weltgegenden sind die Folgen von Moskitostichen weitaus dramatischer.

So werden durch Stechmücken weltweit rund 247 Millionen Menschen pro Jahr mit Malaria infiziert, und rund eine Million Menschen sterben jährlich daran. Dazu kommen noch andere fiese, durch die kleinen Blutsauger übertragene Krankheiten wie Gelbfieber, Japanische Enzephalitis oder das West-Nil-Virus, mit dem sich zuletzt auch schon in Ungarn Menschen ansteckten.

Was aber wäre, wenn man die Plagegeister einfach ausrotten könnte? Welche Konsequenzen hätte das für die Ökosysteme auf unserem Planeten? Dieser Frage ging das britische Wissenschaftsmagazin "Nature" (Bd. 466, S. 432) nach und kam dabei zum Resümee, dass man es erstens so genau nicht sagen kann, dass es aber zweitens womöglich gar nicht so schlimm wäre.

3.500 verschiedene Arten

Die Wissenschaft kennt rund 3.500 Stechmückenarten weltweit, von denen ein paar Hundert auch uns Menschen piesacken. Die Insekten leben auf allen Kontinenten (bis auf die Antarktis) und in fast allen Habitaten. Für die Ausbreitung hatten sie auch reichlich Zeit: Die ersten Mücken seien vor mehr als 100 Millionen Jahren aufgetaucht und hätten sich in Ko-Evolution mit vielen anderen Lebewesen entwickelt, sagt Jittawadee Murphy, die seit zwanzig Jahren über Stechmücken und ihre Parasitenübertragung forscht.

Eben deshalb hätte die US-amerikanische Entomologin gar nichts dagegen, wenn die Stechmücken ein für alle Mal vom Planeten verschwinden würden. Geht es um die Malaria-übertragende Anopheles-Mücke, würden ihr wohl die meisten recht geben. Schließlich ist kostet die Malaria nicht nur viele Menschenleben, auch ihre Prävention ist teuer: Allein 2010 werden rund 1,5 Milliarden Euro für Sprays gegen die Anophelesmücke ausgegeben und 1,7 Milliarden für Insektennetze.

Was aber würde passieren, wenn man zum Beispiel auch jene zwei Stechmückenarten los werden könnte, die in der arktischen Tundra massenhaft auftreten?

Darüber sind sich die von "Nature" befragten Wissenschafter uneins – zumal man gar nicht genau weiß, wie groß die Biomasse der Insekten tatsächlich ist. So wird geschätzt, dass die Anzahl der Zugvögel, die sich unter anderem von den Mücken ernähren, um mehr als die Hälfte sinken könnte. Unabsehbar aber ist zum Beispiel, wie sich eine mückenfreie Arktis auf das Verhalten der Rentiere auswirkt, deren Wanderungen auch von ihren Quälgeistern abhängt, die ihnen bis zu 300 Milliliter Blut pro Tag abzapfen.

In der Camargue in Südfrankreich hat man kürzlich die Auswirkungen eines Ökosystems mit weniger Stechmücken empirisch untersucht ("Journal for Applied Ecology", Bd. 47, S. 884). Eine der Folgen war, dass die Vögel im Schnitt zwei statt sonst drei Eier im Nest hatten.

Die meisten Mücken-fressenden Vögel würden wahrscheinlich auf andere Insekten umschwenken. Und Fledermäuse würden sich überhaupt nur zu ganz geringem Teil von Mücken ernähren, weil sie fette Motten und Falter bevorzugen.

Kakao braucht Bartmücken

Schlimmer würde es jedenfalls vielen Pflanzenarten ergehen, die von Stechmückenarten bestäubt werden. Eine Welt ohne bestimmte Bartmücken- bzw. Gnitzenart wäre zum Beispiel auch eine Welt ohne Kakaopflanzen. Hunderte weitere Pflanzenarten würden ebenfalls aussterben.

Folgen hätte eine mückenfreie Welt vor allem aber auch unter Wasser: Ihre Larven sind wichtiger Nahrungsbestandteil. "Außerdem halten sie das Wasser sauber, indem sie Mikropartikel fressen", sagt Harald Krenn. Ohne die Larven wären etwa die Gewässer in der Lobau nicht nutzbar, weil das Wasser zu verschmutzt wäre."

Für den Wissenschafter ist klar, dass in Ökosystemen immer alles eine Rolle spielt – "ob uns Menschen das passt oder nicht, ist unerheblich". Und er schließt mit dem abgewandelten Leitspruch eines Fachkollegen: "Auch die Gelsen und die Wanzen gehören zu dem Ganzen". (Klaus Taschwer/DER STANDARD, Printausgabe, 29. 7. 2010)