Das Wissenschaftsmagazin "Nature" hat die Studie zur Entstehung der Eusozialität zu seiner Coverstory gekürt.

Coverfoto: Nature

Cambridge/Wien - Für die Erklärung der Entstehung von Insektenstaaten oder auch menschlichen sozialen Einheiten im Zuge der Evolution bedarf es keiner Erweiterungen der Theorie der natürlichen Selektion. Konzepte wie die sogenannte Verwandtenselektion sind für die Beantwortung der Frage, wie die Selbstlosigkeit in die Welt kam, nicht nötig, erklärt ein Harvard-Forschertrio, dem der aus Österreich stammende Martin Nowak, Edward O. Wilson und Corina Tarnita angehören.

Die Weitergabe von Genen an die Nachkommenschaft gilt spätestens seit Richard Dawkins' Klassiker "The Selfish Gene" als Hauptantrieb für die Evolution. Ein Individuum, das durch seine genetische Ausstattung an eine herrschende Situation besonders gut angepasst ist, wird mehr Nachkommen in die Welt setzen als weniger gut angepasste Artgenossen. So verändert sich die Population langsam aber sicher.

Nicht ganz ins ursprüngliche Konzept passt die Selbstlosigkeit von Individuen und die Entstehung von Insektenstaaten. In solchen eusozialen Gebilden verzichten ganze Klassen an Tieren auf die eigene Fortpflanzung, um der Königin oder sonst dem Staat zu dienen. Und auch in menschlichen Gesellschaften ist Altruismus ein durchaus häufig anzutreffendes Phänomen.

Eine Theorie zur Erklärung dieser evolutionären Errungenschaften, die dem Prinzip der Weitergabe der eigenen Gene widerspricht, ist die sogenannte Verwandtenselektion. Demnach ist die Weitergabe, wenn schon nicht der eigenen, dann doch von möglichst ähnlichen, also verwandten Genen ein Antrieb für die Evolution. Je genetisch enger verwandt zwei Individuen sind, desto eher ist eines davon bereit, selbstlos dem anderen zu helfen.

Nowak und seine Kollegen konnten nun anhand von Modellrechnungen im Wissenschaftsmagazin "Nature" (Bd. 466, S. 1057) beweisen, dass diese Erweiterung gar nicht nötig ist. Alleine die natürliche Selektion reicht aus, um eusoziale Gebilde entstehen zu lassen. Allerdings führt der Weg dorthin durch ein "evolutionäres Labyrinth": Als erste Voraussetzung müssen sich innerhalb einer Population Gruppen bilden, etwa wenn Nachkommenschaft von Eltern versorgt wird. Als Nächstes müssen sich Charaktereigenschaften ausbilden, welche das Umschalten zur Eusozialität fördern. Am wichtigsten ist die Errichtung eines eigenen Nestes, das auch verteidigt wird.

Schließlich müssen sich noch Gene ausbilden, die selbst Zusammenarbeit fördern. Die Grenze zur Eusozialität wird dann überschritten, wenn ein Weibchen und ihre Nachkommen nicht mehr ausschwärmen, sondern im alten Nest verbleiben. Für zwei Arten an sozialen Ameisen wurden tatsächlich schon Gene identifiziert, welche ein Verlassen des Nests unterdrücken.

Die Wissenschafter räumen ein, dass der Weg zur Eusozialität alleine über die natürliche Selektion ein komplizierter ist. Staatenbildende Organismen haben sich im Zuge der Evolution entsprechend selten ausgebildet, die vergleichsweise wenigen Arten sind damit aber höchst erfolgreich, wie man etwa an Ameisen oder auch Menschen sieht. (tasch/DER STANDARD, Printausgabe, 26. 8. 2010)