Die intensive Nutzung digitaler Medien verändert unser Gehirn. "Digital Natives", die mit PC, Internet und Handy aufgewachsen sind, sind schneller im Erkennen von Bildern und können zusätzlich rascher mit der Hand auf das Gesehene reagieren, erklärt der deutsche Neurobiologe Gerald Hüther im Gespräch mit der APA. Durch die intensive Nutzung von Computern und häufiges SMS-Schreiben ist bei ihnen außerdem jene Gehirnregion im motorischen Cortex größer, die für die Steuerung des Daumens zuständig ist. Am Freitag (27.8.) setzen sich Hüther und Urs Gasser, Leiter eines Projekts über "Digital Natives" in Harvard, bei den Alpbacher Technologiegesprächen mit der digitalen Generation auseinander.

´ "Nutzungsabhängige Neuroplastizität"

Die Nervenzellverschaltungen im Gehirn werden angepasst, sobald man sich über längere Zeit mit besonderer Begeisterung mit etwas beschäftigt. "Nutzungsabhängige Neuroplastizität", heißt das in der Fachsprache, und die hat es laut Hüther bei Einführung mechanischer Geräte oder technischer Neuerungen schon immer gegeben. Zwar können solche Nervenschaltungen bis ins hohe Alter neu entstehen, gerade Kinderhirne sind aber besonders formbar. "Digital Natives" - dazu gehören laut Gasser alle nach 1980 Geborenen - verarbeiten Informationen folglich anders als die "Digital Immigrants", die nicht von klein auf von Neuen Medien umgeben waren.

Diskussionen darüber, ob die Anpassungsprozesse im Gehirn der Generation Internet "gut oder schlecht, ob sie vorteilhaft oder gefährlich sind", hält Hüther für müßig. Die entscheidende Frage sei, ob man sich mit einem so angepassten Hirn besser oder schlechter in der realen Welt zurechtfinde. Computer, sagt Hüther, seien eine immense Entlastung des menschlichen Gehirns als Informationsspeicher und Steuerinstrument. Damit entstünden neue Freiräume und Möglichkeiten der Entfaltung menschlicher Potenziale. Computerspiele wiederum würden eine "wunderbar kreative Erprobung von Problemlösungsstrategien" ermöglichen.

Dennoch warnt der Neurobiologe vor einem allzu sorglosen Umgang: "Die Neuen Medien sind wie ein Hammer: Ich kann damit etwas Neues bauen, die Welt gestalten, oder ich kann jemandem auf den Kopf hauen." Indem beim Computer im Gegensatz zu früheren Maschinen Ursache und Wirkung nicht mehr klar erkennbar seien, würden Dinge für unser Gehirn weniger gut durchschaubar und schienen mehr oder weniger unbegrenzt.

Negative Folgen davon: Wer die meiste Zeit in computergenerierten Welten verbringt, verlernt körpereigene Signale wahrzunehmen. Im schlimmsten Fall können die Vernetzungen im Gehirn verkümmern, die für die Wahrnehmung und Interpretation der Körpersignale zuständig sind - Folge sind ein gestörtes Hunger- und Durstgefühl sowie Schlafbedürfnis. Auch die Fähigkeit, sich in andere Menschen einzufühlen, deren Emotionen zu erkennen und mit der angemessenen Gestik und Mimik darauf zu reagieren, kann sich verringern.

Menschheitsgeschichte Werkzeuge zur Affektregulierung

"Mit modernen Medien gibt es erstmals in der Menschheitsgeschichte Werkzeuge zur Affektregulierung", betonte Hüther. Sie können also eingesetzt werden, um die zwei großen Grundbedürfnisse des Menschen zu stillen - das nach Verbundenheit und Zugehörigkeit bzw. Herausforderungen. "Wenn man seine Bedürfnisse ohne moderne Medien nicht stillen kann, macht das die Menschen krank, süchtig."

Um dies zu verhindern, brauche es eine andere Kultur, in der Kindern stärker das Gefühl von Zugehörigkeit und Bedeutung vermittelt wird, fordert Hüther. Und Kinder bräuchten Aufgaben, an denen sie wachsen können, etwa indem sie Verantwortung für ein Haustier übernehmen, sich sozial engagieren oder Zeit mit alten Menschen verbringen. Und: "Wir brauchen wieder Schulen, wo die Kinder nicht wie in Treibhäusern für Gurken und Tomaten nach EU-Norm verwaltet und unterrichtet werden, sondern wo man ihnen vermittelt, dass sie gebraucht werden." (APA)