Gibt sich gerne kühl: Jon Hamm als Kreativdirektor Don Draper in "Mad Men". Hinter ihm Elisabeth Moss und Vincent Kartheiser.

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DER STANDARD: Serienhelden leiden häufig darunter, dass sie ihre Figur nicht mehr loswerden. Wie geht es Ihnen mit Don Draper?

Hamm: Sagen wir so: Ich werde beim Einkaufen nicht als Don Draper angesprochen. Möglicherweise liegt das daran, dass ich im Alltag nicht mit Anzug und strengem Seitenscheitel herumlaufe.

DER STANDARD: Und als Schauspieler? Wie viele Don-Draper-Rollen wurden Ihnen bisher angeboten?

Hamm: Während der ersten Saison bekam ich tatsächlich schrecklich viele Angebote mit Rollen, die in den 1960ern angesiedelt waren, Werbe- oder Geschäftsmänner, die Don Draper recht ähnlich waren. Ich wollte sie alle nicht.

DER STANDARD: Wie fühlt sich denn so ein Don-Draper-Anzug an?

Hamm: Die Anzüge sind sehr verschieden von dem, was wir heute tragen. Sie sind fester und sitzen enger. Mit Don Drapers Anzug sitzt man automatisch aufrechter, steht etwas gestreckter. Es ist ein steiferes Gefühl. Bei einer Hochzeit eines Freundes während der ersten oder zweiten Staffel musste ich direkt vom Set zum Flughafen und konnte meine Kleidung nicht wechseln, also schnappte ich einen Anzug aus Mad Men. Auf den Fotos wirke ich völlig aus der Zeit.

DER STANDARD: War Ihnen von Anfang an klar, dass hier eine außergewöhnliche Serie entstehen würde?

Hamm: Wir wussten, dass wir bei einem sehr besonderen Projekt mitarbeiten. Es war uns bewusst, dass es etwas komplett anderes ist.

DER STANDARD: Das Besondere an "Mad Men" ist die Liebe zu den Details der 1960er-Jahre. Betreiben Sie Ihre eigenen Recherchen oder überlassen Sie das Serienerfinder Matthew Weiner?

Hamm: In erster Linie übernimmt das eine Unmenge an Spezialisten. Unsere Kostümdesignerin verpasst der Show in jeder Staffel ihren eigenen Look. Am Beginn des Drehs zu jeder neuen Staffel kommt sie mit Riesenpostern mit Looks und Styles. Mode verändert sich mit den Jahren - darauf achten wir auch in der Serie. Der Stil der vierten Saison ist völlig verschieden von jenem der ersten.

DER STANDARD: Weniger konservativ?

Hamm: Vordergründig, denn obwohl die Figuren für ihre Zeit modern sind - sie leben im fortschrittlichen Manhattan und sind Trendsetter - heißt das nicht zwangsläufig, dass sie auch die neueste Mode tragen oder sich nach dem letzten Schrei einrichten. Ich nehme nicht an, dass jemand von uns ausschließlich mit Möbeln aus dem Jahr 2010 lebt, manches ist älter. Genauso ist es mit der Serie. Das sieht man am Draper-Haus: Manches ist aus den 1950ern und älter.

DER STANDARD: Wissen Sie ab Folge eins, wo Don Draper beim Saisonfinale steht?

Hamm: Nein. Die Autoren machen ein großes Geheimnis um die Serie. Am Beginn einer Staffel wissen selbst sie nur grob, wo sich die Charaktere hinbewegen. Dann schreiben sie die Serie zu Ende, um die Darsteller zu "Punkt B" zu bringen. Wir, die Darsteller, wissen davon nur wenig.

DER STANDARD: In Ihrem Sinne?

Hamm: Absolut! Ich will Don Drapers Ende nicht kennen. Als Menschen wissen wir schließlich auch nicht, was in den nächsten sechs Monaten passiert.

DER STANDARD:Was fasziniert die Zuseher 2010 an den Sixties?

Hamm: Ich denke, es hat mit gesellschaftlichen Strukturen zutun. In den späten Sechzigern vollzog sich ein umfassender gesellschaftlicher Wandel. Die Eisenhower-Generation war konservativ und um ihre Besitzverhältnisse besorgt. Hier hinein brachen die Babyboomer, die von der Idee des Wandels getrieben, in gewisser Weise aber auch sehr selbstsüchtig waren. Kennedy elektrisierte die Menschen eine Zeitlang. Danach setzte eine gewisse Ernüchterung ein, und ich denke, das erleben wir heute ebenso. Als wir 2005 mit der Show starteten, begann die zweite Bush-Ära. Aus der Unzufriedenheit kam die Sehnsucht nach dem Wandel. Die Menschen hatten Hoffnung und dachten: Jetzt ändert sich alles, und wir steuern auf großartige Zeiten zu. Jetzt realisieren sie: Okay, es ist dieselbe alte Scheiße.

DER STANDARD: Manche sagen, Serien sind heute besseres Kino?

Hamm: Ich stimme mit Einschränkungen zu. Es gibt nach wie vor großartige Kinofilme, aber es gibt auch einen großen Qualitätsunterschied zwischen Film und Fernsehen - und das ist die Art, wie in Serien Geschichten erzählt werden. Wir haben mehr Zeit, um zu erzählen. Für Schauspieler ist es großartig, weil man eine lange Zeit mit einem Charakter zur Verfügung hat. Man hat die Chance, Veränderungen zu spielen und kann eine Figur reicher und tiefgründiger gestalten. Tony Soprano zum Beispiel ist am Ende der Serie eine völlig andere Person als zu Beginn. Das Geschäftsmodell des Kinos änderte sich in den letzten 20 Jahren: Sie setzen fast nur auf Breitenwirkung, weil die Produktionen so teuer sind. Darunter leidet die Vielfalt.

DER STANDARD: Sind Online-Videos eine Option?

Hamm: Durchaus. Die Art, Fernsehen zu konsumieren, verändert sich. Ich sah zwei Staffeln von Damages auf meinem iPhone. Dreiminütige Webisodes sind auch spaßig. Ich denke, dass es teilweise in diese Richtung geht. Noch netter wäre es allerdings, wenn wir dafür auch bezahlt würden. (Doris Priesching, DER STANDARD; Printausgabe, 2./3.10.2010)