Wien - Noch heute prangt an dem Haus Boltzmanngasse 3 in Wien-Alsergrund in großen Lettern der Schriftzug "Institut für Radiumforschung". Wo nun das Stefan-Meyer-Institut für subatomare Physik und das Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) untergebracht sind, wurde heute vor 100 Jahren, am 28. Oktober 1910, das "Institut für Radiumforschung" eröffnet. Dort wurden zahlreiche wichtige Entdeckungen gemacht und grundlegende Erkenntnisse über Radioaktivität gewonnen. 

Geschichte - die Untersuchung radioaktiver Substanzen

Radiumforschung war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eines der spannendsten Forschungsgebiete der Physik. Auch die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien erkannte wenige Jahre nach Entdeckung der Radioaktivität - 1896 fand der französische Physiker Antoine Henri Becquerel heraus, dass Uransalz fotografische Platten schwärzte - die Bedeutung des neuen Forschungsfeldes und gründete 1901 eine Kommission für die Untersuchung radioaktiver Substanzen.

Ausgangsmaterial für die Untersuchungen war Pechblende, ein uranhältiges Erz, zu dem österreichische Wissenschafter vergleichsweise leichten Zugang hatten: Die Abbaustätte lag auf dem Gebiet der k.k. Monarchie, in St. Joachimsthal (heute Jáchymov) in Böhmen. Schon die Pioniere der Radioaktivitätsforschung in Paris, Becquerel sowie Marie und Pierre Curie (Nobelpreis 1903), hatten für ihre Untersuchungen Pechblende aus St. Joachimsthal verwendet.

Das Material wurde damals zur Farbenherstellung verwendet. Die verbleibenden Rückstände enthielten das erst von Marie Curie entdeckte Radium, das aufgrund seiner starken Radioaktivität für die Wissenschaft höchst interessant wurde. Nicht nur das Element selbst wurde erforscht, sondern auch seine zur damaligen Zeit völlig unbekannten Eigenschaften: die Charakteristika der Strahlung, die Veränderungen des strahlenden Elementes und die zugrundeliegenden Gesetzmäßigkeiten.

Günstige Umstände

Dass das noch junge Forschungsgebiet in Wien ausgebaut werden konnte, war mehreren günstigen Umständen zu verdanken: Der leichte Zugang zu Pechblende vertiefte den wissenschaftlichen Kontakt zu den Curies in Paris und zum Physiker Ernest Rutherford in Manchester. Dazu kam der Mäzen Karl Kupelwieser, der den Bau eines eigenen Institutsgebäudes für die Radiumforschung finanzierte. In einem Brief vom 2. August 1908 an die Akademie begründete er dies folgendermaßen: "Ich wollte [mit meiner Stiftung], so weit meine Kräfte reichen, zu verhindern trachten, daß mein Vaterland die Schande treffe, daß es eine ihm gewissermaßen als Privilegium von der Natur zugewiesene Aufgabe sich habe von anderen entreißen lassen."

Mitarbeiter der ersten Stunde

So konnte am 28. Oktober 1910 das allererste Forschungsinstitut der Akademie eröffnet werden. Entscheidend für dessen Erfolg war, dass hochbegabte Physiker dafür gewonnen werden konnten. Der zum Leiter bestellte Stefan Meyer arbeitete auch in der internationalen Radium-Standard-Kommission unter Ernest Rutherford mit. Assistent Meyers wurde der junge Wissenschafter Viktor Franz Hess, dessen Spezialgebiet die Luftelektrizität war. Diese steht - wie sich bald herausstellte - mit radioaktiver Strahlung aus dem Weltall im Zusammenhang. 1912 entdeckte er bei wissenschaftlichen Ballonfahrten, dass die elektrische Leitfähigkeit der Atmosphäre und die Gammastrahlung mit zunehmender Höhe anstiegen. Er ging von einer energiereichen Teilchenstrahlung aus dem Weltall aus, die dafür verantwortlich war, dass die Luft ionisiert und damit leitend wurde. Für die Entdeckung der kosmischen Strahlung erhielt Hess 1936 den Nobelpreis.

Auch die Chemiker George de Hevesy und Friedrich Paneth waren Mitarbeiter der ersten Stunde. Ihr Spezialgebiet war die Radiochemie. Am Institut für Radiumforschung begannen sie ihre Arbeiten zum Nachweis bestimmter Elemente durch Beimischung radioaktiver Isotope. Diese "Tracermethode" brachte George de Hevesy 1943 den Nobelpreis. Die Physikerin Marietta Blau und ihre Dissertantin Hertha Wambach arbeiteten an der Entwicklung fotografischer Messmethoden in der Kernphysik, für die sie 1937 den Lieben-Preis der Akademie erhielten. Im selben Jahr gelang ihnen auf der Suche nach geeigneten radioaktiven Quellen der Nachweis, dass kosmische Strahlung die Spaltung von Atomkernen initiieren kann.

Vertreibung

Vor 1938 war das Institut für Radiumforschung eine anerkannte Größe in der internationalen Atomforschung. Doch die fruchtbare wissenschaftliche Atmosphäre wurde von den Nationalsozialisten zerstört. Viele prominente Physiker, darunter Stefan Meyer, Marietta Blau und Friedrich Paneth wurden vertrieben. Es gelangen zwar auch während des Zweiten Weltkrieges noch wichtige Entdeckungen, etwa jene des Elements 85 ("Astat") in der Natur durch die Physikerin Berta Karlik, doch die Glanzzeit des Instituts war vorbei.

Nach dem Krieg verlagerte sich der Forschungsschwerpunkt hin zur Kernforschung, vor allem zur starken Wechselwirkung im Atomkern. Nach zweimaliger Umbenennung erhielt das Institut 2004 in Erinnerung an seinen ersten Leiter, den Namen Stefan-Meyer-Institut für subatomare Physik.

Die ÖAW feiert gemeinsam mit dem Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien im Rahmen eines Festsymposiums am 8. November den 100. Geburtstag des Instituts für Radiumforschung. Erwartet wird dazu auch der Amerikaner James Cronin, Nobelpreisträger für Physik 1980. (APA)