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Ein Strand nahe der Ortschaft Laura - die Marschallinseln drohen im Meer zu versinken.

Foto: AP/Rusty Middleton

Cancun - Was geschieht mit einer Nation, wenn ihr Staatsgebiet verschwindet? Werden ihre Bürger staatenlos? Verliert das Land seinen Sitz in der UN-Vollversammlung? Und wo sollen die Menschen leben? ... diese Fragen stellen sich kleine Inselstaaten im Pazifik, die ob des Klimawandels um ihre bloße Existenz bangen.

Der steigende Meeresspiegel ist beispielsweise für die Marschallinseln zu einer echten Bedrohung geworden. Die Salzkonzentration im Grundwasser steigt und immer höhere Wellen nagen auf dem Jaluit-Atoll an der wichtigen Verbindung von der Insel zum Flughafen. "Es wird immer schlimmer", sagt der Koordinator für Klimawandel auf den Marschallinseln, Kaminaga Kaminaga. "Menschen, die nah am Ufer wohnen, bleibt nichts anderes übrig, als Tag für Tag die Dämme zu erneuern." Die UN geht davon aus, dass wegen der Erderwärmung und der abschmelzenden Polkappen der Meeresspiegel bis zum Jahr 2100 um durchschnittlich 60 Zentimeter steigen wird. Besonders flache Inseln könnten dann größtenteils überschwemmt werden.

Verhandlungen

Bereits seit Jahren diskutiert die Weltgemeinschaft über den Klimawandel, doch ist wenig passiert. Auch beim UN-Klimagipfel, der derzeit im mexikanischen Cancún stattfindet, verhandeln die Delegationen aus 193 Staaten wieder über die Reduktion der Emission von Treibhausgasen, die für die globale Erwärmung verantwortlich gemacht werden. Konkrete Vereinbarungen erwarten Beobachter jedoch auch auf der 16. Weltklimakonferenz nicht. Die Bewohner der Marschallinseln sowie von Kiribati und Tuvalu im Pazifischen Ozean fragen sich unterdessen, wie viel Zeit ihnen noch bleibt, bis ihre Heimat von der Erdoberfläche verschwindet.

"Wir sehen uns mit ganz neuen Problemen in der Geschichte der Nationalstaaten konfrontiert", sagt der Rechtsberater der Marschallinseln, Dean Bialek. "Im Zusammenhang mit dem Klimawandel stellen sich existenzielle Fragen, für die das Völkerrecht keine angemessenen Antworten bereithält." Bisher lösten sich Staaten durch Aufspaltung, Beitritt oder Eroberung auf - niemals zuvor ist ein Land aber tatsächlich verschwunden.

Völkerrecht

Die Regierung der Marschallinseln hat nun das Zentrum für Klimawandelrecht an der Columbia Universität um juristische Beratung gebeten. Im Mai kommenden Jahres wollen sich Rechtsexperten aus der ganzen Welt in New York zu einer Konferenz treffen und über die völkerrechtliche Zukunft der bedrohten Inselstaaten diskutieren.

"Wenn Länder wie Tuvalu und Kiribati unbewohnbar werden, sind ihre Bürger dann staatenlos? Was ist ihre Position im internationalen Recht?", fragt die australische Juristin Jane McAdam. "Die Antwort ist kompliziert - es kommt darauf an." Ob das Land seine Souveränität und die Menschen ihre Staatsbürgerschaft behalten, hängt beispielsweise davon ab, ob die UN-Vollversammlung dem Staat seinen Sitz entzieht. Auch das Abkommen über die Rechtsstellung von Flüchtlingen aus dem Jahr 1951 regelt lediglich die Situation von politisch Verfolgten, nicht aber die Rechte von Umweltflüchtlingen.

Identität

Die Bewohner der Marschallinseln sorgen sich auch um ihre wirtschaftliche Zukunft. Das Haupteinkommen des Inselstaates stammt aus Fischereilizenzen, die für die Ausbeutung der reichen Fischgründe zwischen den zahlreichen Atollen verkauft werden. Zudem haben Geologen in den vergangenen Jahren große Mineralvorkommen am Meeresboden entdeckt. "Was passiert mit diesen Ansprüchen, wenn die Inseln untergehen?", fragt der Direktor des Zentrums an der Columbia, Michael B. Gerrad.

Auf der UN-Klimakonferenz will die Delegation der Marschallinseln um internationale Unterstützung für ihre Schutzmaßnahmen gegen den steigenden Meeresspiegel werben. So sollen an den Küsten widerstandsfähige Pflanzen zum Erosionsschutz gesetzt und vor der Hauptstadt Majuro die Dämme erhöht werden.

Doch auch wenn die finanziellen, diplomatischen und rechtlichen Fragen eines Tages geklärt werden sollten, befürchten die Bewohner der Marschallinseln auch den Verlust ihrer Kultur und Identität. Das Wasser reicht bereits bis an einige Friedhöfe der Inseln heran, die ersten Grabstätten sinken ins Meer ab. "Sogar im Tod sind wir betroffen", so Klimawandel-Koordinator Kaminaga. (APA/dapd)