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Ein kleines Mädchen bei einer Weihnachtsfeier in einem christlichen Viertel von Islamabad: Waffen gehören zum Spielzeug. Christen und andere religiöse Minderheiten werden zunehmend verfolgt.

Foto: AP/Muheisen

Der Staat Pakistan droht den Kampf gegen Fundamentalismus zu verlieren.

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Wie ein Dieb huscht Ashiq Masih ins Zimmer, ein altes Wolltuch hat er sich tief ins Gesicht gezogen, damit man ihn nicht erkennt. "Es ist sicherer nach Einbruch der Dunkelheit", sagt der 50-Jährige mit den grauen Bartstoppeln. Wir treffen uns in einem christlichen Slumviertel am Rande einer von Pakistans gesichtslosen Provinzstädten. Von der engen, dunklen Gasse stolpert man direkt in den einzigen Raum, der als Wohn- und Schlafzimmer dient. Durch die Ritzen zieht die Kälte. Auf dem Fernseher steht ein Holzkreuz, an den Wänden hängen Bilder von Jesus und der Jungfrau Maria. In der Ferne hört man den Muezzin.

Unruhig blickt Ashiq um sich. Die Angst hat sich in sein Gesicht gegraben, die Stirn ist von Falten zerfurcht. Seit Monaten hält er sich mit seinen vier Kindern versteckt. Alle paar Tage wechseln sie den Unterschlupf. Ashiq ist der Mann von Asia Bibi - jener Christin, die im November zum Tode am Galgen verurteilt wurde. Nicht weil sie gestohlen oder gemordet hat, sondern weil sie nach einem Streit mit der Nachbarin anstößige Sätze über den Propheten Mohammed gesagt haben soll.

Blasphemie lautet die Anklage. Ein Mullah hat ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt. "Die Situation ist kritisch", sagt ihr Anwalt besorgt. "Sehr, sehr kritisch." Die ganze Familie sei in Lebensgefahr - und alle, die ihnen helfen.

"Distriktgefängnis von Sheikhupura" steht in Urdu über dem blau-roten Stahltor. Irgendwo dahinter sitzt Asia in Einzelhaft, seit 18 Monaten. Der Richter zog nicht einmal in Betracht, dass die Nachbarin sie fälschlich beschuldigt haben könnte. Ihr Anwalt legte Berufung ein. Asia ist nun Aktenzeichen "FIR NO. 326/2009" . "Kaste: Christ" steht dahinter.

Vielleicht ist es ein Versehen - Christ ist keine Kaste. Aber es sagt viel über den Status aus. Die Großeltern von Asia und Ashiq waren Hindus und sind unter den Briten zum Christentum konvertiert, um dem Kastensystem zu entfliehen. Viele Christen sind Dalits, wie die Unberührbaren heute heißen, sie gelten als "unrein" . Auch in Pakistan lebt das Kastensystem vielerorts fort - Christen stehen ganz unten in der Hackordnung.

Etwa 2,4 Millionen Christen leben in Pakistan. "Schwarze Gesetze" nennen Menschenrechtler die Blasphemieparagrafen. Sie stammen von dem Militärdiktator Zia ul-Haq (1977-1988), der die Islamisierung begann. Der Bannstrahl seiner Erben trifft nicht nur Christen. In Pakistan werden zusehends religiöse Minderheiten verfolgt - auch muslimische. Laut der Express Tribune sitzen derzeit in der Provinz Punjab 130 Menschen wegen Blasphemievorwürfen hinter Gittern - nur acht davon seien Christen. Die anderen 122 seien Muslime. Punjab-Gouverneur Salman Taseer, ein Kritiker der Gesetze, wurde jüngst ermordet.

Ashiq hat die Nachricht von Taseers Tod wie ein Donnerschlag getroffen. Asia und ihre Familie haben ihren mächtigsten Fürsprecher verloren. Welcher Richter wird es wagen, Asia freizusprechen, wenn er selbst die Rache der Fanatiker fürchten muss? Der Fall Asia Bibi ist zur Machtprobe geworden, zu einer Richtungsentscheidung für ein ganzes Land. (Christine Möllhoff aus Lahore /DER STANDARD, Printausgabe, 8.1.2011)