Zweifelhafte Aktionen: Willkommen im Südburgenland!

Foto: Heribert Corn

Über den Autor:
Martin Pollack, geb. 1944 in Bad Hall, ist Schriftsteller, Journalist und Übersetzer. Er studierte Slawistik und osteuropäische Geschichte und war lange Korrespondent für das Wochenmagazin "Der Spiegel". 2010 wurde ihm der Georg-Dehio-Buchpreis verliehen. Zuletzt erschien von ihm "Der Kaiser von Amerika. Die große Flucht aus Galizien" (Zsolnay Verlag, 2010).

Foto: Heribert Corn

Der Frauenhandel hat sich mit der massenhaften Auswanderung im 19. Jahrhundert entwickelt. Und er war immer grenzüberschreitend.

Die Botschaft des knallroten Plakats auf dem einfachen Dreiecksständer ist eindeutig. Girl's Night Ranch. Aktion ab 45 €, heißt es da, dazu die Zeichnung eines nackten Mädchens, damit wirklich jeder kapiert, was angepriesen wird – obendrein in Aktion! Etwas weiter eine Plakatwand, zwei mal fünf Meter, sie wirbt für ein anderes Etablissement: Night Club Flying Lady, 30 min. 55 €.

Willkommen im Südburgenland. Hier bin ich zu Hause. Diese Plakate sehe ich Tag für Tag an der Straße, im Ortsgebiet. Werbung für Bordelle, als handle es sich bei den dort tätigen Frauen um Liegen in einem Bräunungsstudio, für die man stundenweise bezahlt. Solche Plakate und die dazugehörigen Lokale gibt es im Südburgenland überall.

Im Prinzip ist gegen Bordelle nichts einzuwenden. Mit öffentlicher Werbung, die Frauen wie Ware anpreist, ist das etwas anderes. Die ist sexistisch und frauenverachtend. Das scheint keinen zu stören. Dazu kommt, dass erfahrungsgemäß nicht alle Mädchen in solchen Einrichtungen den Männern ihre Dienste freiwillig anbieten. Die Mädchen stammen oft aus den ärmsten Ländern der Dritten Welt und der ehemaligen Sowjetunion, aus der Ukraine, Belarus, Moldawien. Viele werden in die Prostitution gezwungen, werden an Zuhälter wie Ware verkauft. Sie werden ins Ausland gelockt mit Versprechen einer gut bezahlten Arbeitsstelle als Kindermädchen, Kellnerin, was immer – einmal weg von zu Hause, von der Familie werden sie brutal gefügig gemacht, verprügelt, vergewaltigt, ihrer Dokumente beraubt. Zwangsprostituierte ohne Sprachkenntnisse und Papiere sind ihren Peinigern schutzlos ausgeliefert. Von den Behörden haben sie kaum Hilfe zu erwarten. Auch nicht in Österreich. Nach Berichten der Uno ist Trafficking in Women, Frauenhandel, einer der lukrativsten Zweige der organisierten Kriminalität, vergleichbar – und oft eng verbunden – mit dem Drogenhandel.

Der weltweit vernetzte Frauenhandel ist keine neue Erscheinung, er hat sich im Verein mit der massenhaften Auswanderung im 19. Jahrhundert entwickelt. Die wichtigsten Herkunftsgebiete für die "lebende Ware", wie man die Opfer treffend nannte, waren damals, jedenfalls was Europa angeht, ungefähr dieselben wie heute: Galizien (heute Westukraine), das westliche Russland (Ukraine und Belarus), Russisch-Polen, Bessarabien (heute Moldawien). Armut und Ausbeutung bedingen einander, auch sexuelle Ausbeutung setzt Elend voraus. Daran herrschte in diesen Gebieten kein Mangel, Galizien war das Armenhaus der Monarchie. Der Galizier arbeitet wenig, weil er zu wenig isst, er ernährt sich elend, weil er zu wenig arbeitet, und er stirbt zu früh, weil er sich elend ernährt, beschrieb ein zeitgenössischer Autor die schlimmen Zustände. Das galt für ukrainische und polnische Kleinbauern und Tagelöhnen ebenso wie für die Masse der Juden. Das Elend war ein idealer Nährboden für den Frauenhandel.

Beim "Handel mit lebender Ware" spielten, wie bei der Auswanderung, Agenten eine wichtige Rolle. In vielen Fällen waren sie jüdischer Herkunft, so wie zahlreiche ihrer Opfer. Das lieferte der antisemitischen Hetze willkommene Nahrung. Allerdings gibt es dafür eine einfache Erklärung. Die Juden waren in Galizien und anderen Gebieten Osteuropas traditionell als Vermittler tätig, als Pächter, Zwischenhändler und Händler, oft über Grenzen hinweg. Auch der Mädchenhandel funktionierte schon damals grenzüberschreitend. Wichtige "Absatzgebiete" waren die Türkei, Ägypten und Länder Westeuropas, vor allem aber Südamerika. Rekrutiert wurden die Frauen aus den ärmsten Schichten der jüdischen Schtetl und Elendsbezirke der größeren Städte. Angeworben wurden die Mädchen, wie heute, mit der Aussicht auf gut bezahlte Anstellungen in reichen Häusern im Ausland, als Bonne oder Gesellschafterin, und wenn das nicht wirkte, bot ein skrupelloser Händler schon auch einmal die Ehe an.

Auch heute träumen hunderttausende Mädchen und Frauen aus der Ukraine, Moldawien und Belarus davon, mit Hilfe von Heiratsagenturen einen Traummann im Westen zu finden, um so der Misere zu Hause zu entkommen. Viele dieser Büros werden laut Berichten internationaler Experten von straff organisierten kriminellen Netzwerken kontrolliert.

Im Schtetl in Osteuropa gab es die Institution der sogenannten stillen Chuppa, jiddisch für stille Hochzeit, derer sich Mädchenhändler gern bedienten. Um ein Mädchen in seine Gewalt zu bekommen, hielt der Händler, bevorzugt als reicher Geschäftsmann aus Argentinien oder Brasilien auftretend, bei den Eltern um seine Hand an. So ein vornehmer Bräutigam im Zylinder machte bei armen Leuten naturgemäß Eindruck, sodass sie nicht zögerten, ihm die Tochter anzuvertrauen. Oft begnügte man sich mit einer stillen Chuppa, für die es keinen Rabbiner brauchte, von den Behörden ganz zu schweigen. Dafür reichten zwei Zeugen, das konnten auch Nachbarn sein.

In galizischen Zeitungen finden sich Berichte von umtriebigen Händlern, die dreißig und mehr Mädchen pro Jahr unter die Chuppa, den Hochzeitsbaldachin, führten – um sie gleich darauf als Prostituierte zu verkaufen. Es gab in diesem anrüchigen Gewerbe allerdings auch viele Frauen, denen naive Mädchen, besonders leicht auf den Leim gingen, weil sie einer Frau eher vertrauten. Nach vorsichtigen Schätzungen wurden um 1900 allein aus Galizien jährlich rund 10.000 Mädchen, viele minderjährig, als Prostituierte ins Ausland gebracht. Die größte Nachfrage bestand in Lateinamerika, wo man die Mädchen aus Osteuropa Polacas nannte, da viele aus polnischsprachigen Ländern stammten.

Der Handel mit "delikatem Fleisch", wie man die zwielichtigen Geschäfte nannte, nahm solche Ausmaße an, dass es den Händlern geboten erschien, im Jahre 1890 eine eigene Organisation ins Leben zu rufen, die den Mädchenhandel aus den osteuropäischen Elendsvierteln kontrollierte. Sie nannte sich Warszawskie Towaszystwo Wzajemnej Pomocy, Warschauer Gesellschaft zur gegenseitigen Hilfe, nach dem Vorbild jüdischer Bruderladen, Hilfsorganisationen von Handwerkern und Arbeitern. Allein in Argentinien besaß die Organisation um 1900 angeblich über 400 eingetragene Mitglieder, die über 3000 Bordelle betrieben. Später änderte der Hilfsverein jüdischer Bordellbesitzer und Mädchenhändler seinen Namen zu Zwi Migdal, nach dem Namen eines Gründungsmitglieds. Um ihre Gebarungen gegenüber den ohnehin nicht sonderlich wachsamen Behörden zu tarnen, bedienten sich die Händler untereinander eines eigenen Codes. Gut gewachsene Mädchen wurden "Silberlöffel", eine auffallende Schönheit wurde als "Brillantkreuz" angepriesen, während man unansehnliche Frauenspersonen als "Kartoffelsäcke" handelte. Es kam vor, dass Mädchen von der eigenen Familie angeboten wurden. "Dass die eigenen Eltern ihre Töchter in die Sklaverei und Hurerei verkaufen, ist erschreckend und ein Zeugnis für das entsetzliche Elend der Menschen in Galizien", schrieb die Tageszeitung Kurjer Lwowski (Lemberger Kurier) vom 4. August 1891.

Die Tatsache, dass der Mädchenhandel in Galizien und anderen osteuropäischen Regionen vorwiegend von Juden betrieben wurde, rief auch jüdische Intellektuelle auf den Plan. Als eine der ersten trat die jüdische Publizistin und Frauenaktivistin Bertha Pappenheim, geboren 1859 in einer frommen jüdischen Familie in Wien und in die Literatur eingegangen als Anna O., deren Fallgeschichte Sigmund Freud zusammen mit Josef Breuer publizierte, gegen den jüdischen Mädchenhandel auf. Sie bereiste wiederholt Osteuropa, um sich mit eigenen Augen von den dortigen Zuständen zu überzeugen. Was sie vorfand, übertraf ihre schlimmsten Befürchtungen. "Wie bekannt, sind die Händler und Agenten vielfach Frauen, kapitalkräftige Kaufleute, die oft unter dem Deckmantel größter Ehrbarkeit ihr Geschäft betreiben. Fast ebenso unfasslich wie das Gewerbe selber ist, dass in Rumänien sowie in Galizien die Mädchenhändler als solche in den jüdischen Gemeinden gekannt und dennoch geduldet sind."

Bertha Pappenheim bemühte sich, im Rahmen verschiedener Organisationen den Mädchenhandel zu bekämpfen. Besondere Bedeutung maß sie der Beratung von Emigrantinnen bei, einer besonders leichten Beute von Mädchenhändlern. Sie ließ in europäischen Häfen Broschüren verteilen und Plakate anschlagen, um die unwissenden Mädchen zu warnen. Viel geholfen hat es nicht. Bertha Pappenheims Aktivitäten konnten nicht verhindern, dass der Mädchenhandel ständig zunahm. Das hatte auch damit zu tun, dass die staatlichen Behörden in Europa und Lateinamerika den Kampf gegen das schändliche Übel nur halbherzig betrieben und lieber wegschauten.

Daran hat sich bis heute wenig geändert. Über hundert Jahre später werden Mädchen und Frauen wie damals von weltweit agierenden kriminellen Organisationen sexuell versklavt und wie Ware gehandelt. Und wir alle schauen weg. (DER STANDARD, Printausgabe, 22./23.1.2011)