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Das Bruttoinlandsprodukt sagt nichts mehr über das Glücksempfinden der Menschen aus, sagt Sozialwissenschafter Gehmacher.

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Ist Bhutan Europa einen Schritt voraus? Im Königreich wird das Bruttonationalglück längst gemessen.

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Standard: Ist das herkömmliche Bruttoinlandsprodukt wirklich so ungeeignet, den Wohlstand eines Landes zu messen?

Gehmacher: In reichen Ländern ist es nicht mehr gut geeignet. Es sagt nichts über das Glücksempfinden der Menschen aus. In armen Ländern korreliert es noch stark mit dem Glück.

Standard: Aber was soll ein Glücksindex aussagen? Die Zahl der Arbeitslosen korreliert nun mal stark mit dem BIP. Was hat ein Arbeitsloser davon, wenn der Glücksindex hoch ist?

Gehmacher: Das stimmt nicht. Viele reiche Länder verlieren trotz Wachstums Arbeitsplätze an China und andere Länder. Durch unser System entstehen Umweltschäden, andere Belastungen, wir haben viele psychisch kranke Menschen, und der soziale Zusammenhalt wird viel schwächer. Darum brauchen wir eine neue Kultur, eine neue Lebensform.

Standard: Ganz so ist es aber auch nicht: Ist das Wachstum hoch, gehen üblicherweise die Arbeitslosenzahlen zurück.

Gehmacher: Es ist aber die Frage, was wächst. Wenn das Gesundheits- und Pflegewesen wächst, die Städte besser gebaut werden und Elektroautos eingeführt werden, wächst die Wirtschaft auch. Aber es ist verbunden mit einer neuen Nachhaltigkeitskultur, die stärker auf Glück ausgerichtet ist. Es braucht beides: wirtschaftliches Wachstum und die Humankultur. Das BIP ist ein guter Indikator für die Deckung materieller Bedürfnisse. Aber es ist nicht allein verantwortlich für den Erfolg einer Gesellschaft.

Standard: Aber Glück ist subjektiv, schwer vergleichbar. Wenn ich glücklich bin, empfinde ich wahrscheinlich etwas anderes als Sie, wenn Sie glücklich sind.

Gehmacher: Es stimmt schon, dass Glück ein subjektives Gefühl ist. An der mangelnden internationalen Vergleichbarkeit ist daher was dran. Aber dahinter stecken sehr wohl dieselben Gefühle. Und wir stehen erst am Beginn der Diskussion. Als man begonnen hat, Uhren zu bauen, sind auch nicht gleich alle Uhren genau gegangen. Wir treten jetzt in ein Stadium ein, wo wir endlich lernen, auch das zu messen, was wirklich wichtig ist: Liebe und Glück. Das müssen wir erst noch lernen, aber das ist sehr entscheidend für den Fortgang unserer Gesellschaft.

Standard: Die praktische Wirtschaftspolitik wird sich aber wohl trotzdem weiter an Kennzahlen wie dem BIP orientieren, weil sie versucht, Jobs zu erhalten und die Steuereinnahmen hoch zu halten.

Gehmacher: Aber die klassischen Kennzahlen sind genauso zweifelhaft. Es fehlt beispielsweise der gesamte Schwarzmarkt. Man sagt, dass 40 Prozent schwarz passieren, da werden Sie ja nicht glauben, dass diese Zahlen etwas aussagen.

Standard: Aber für Politiker sind Jobs und Steuereinnahmen nicht ganz unwichtig. Drum hängen sie so an diesen Kennzahlen.

Gehmacher: Sicherlich, weil sie es so gelernt haben. Sie denken nur: 'Wie gewinne ich die nächste Wahl?' Aber das ist eine kurzfristige, partielle Sicht.

Standard: Ist der Wunsch nach einer neuen Wirtschaftsordnung nicht trotzdem Wunschdenken, weil der Mensch einfach immer nach mehr strebt?

Gehmacher: Der Mensch strebt nach Glück, nicht nach mehr. Das ist nur eine lineare Sicht der Dinge. Und eine lineare Sicht ist meistens falsch. (Günther Oswald, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.2.2011)