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Auszug aus einem Spiegel-Artikel aus dem Jahr 1990, der im Zuge der Bestellung von Michael Spindelegger zum neuen ÖVP-Chef über soziale Netzwerke verteilt wurde. Spindeleggers Sprecher: "Schnee von gestern. Das Verfahren wurde vor 20 Jahren eingestellt." Ex-Staatsanwalt Wolfgang Mekis heute: "Der Fall war ein klassisches Beispiel dafür, wie sich die Politik in die Justiz einmischt."

Foto: Archiv spiegel.de

Während SPÖ und ÖVP um ein neues Bundesheer-Modell ringen, blieb eine Fußnote der Geschichte bislang unerwähnt. Michael Spindelegger, der die Heeresdebatte im Vorjahr mit angestoßen hatte, war bereits 1990 in eine Diskussion um die Wehrpflicht involviert: Er soll in der Oerlikon-Munitionsaffäre eine zentrale Rolle gespielt haben, die damals den Ruf des Bundesheeres schwer schädigte.

Eines vorweg: Die für Spindelegger unangenehme Affäre, die die Öffentlichkeit bereits vergessen hat, brachten allem Anschein nach seine Gegner wieder aufs Tapet. Es war der Tag, an dem der Außenminister als neuer ÖVP-Chef vorgestellt wurde, als der Bericht "Fliederbusch für die Gattin" des deutschen Nachrichtenmagazins Spiegel über Social-Media-Kanäle verbreitet wurde.

20 Millionen Schilling zu teuer

Der Spiegel-Artikel stammt vom Jänner 1990 und beruft sich auf Enthüllungen des Investigativjournalisten Alfred Worm, der seit Dezember 1989 über Wochen hinweg regelmäßig über die Affäre im Nachrichtenmagazin Profil berichtete. derStandard.at hat die Archive durchforstet und klärt auf, was hinter der Affäre Oerlikon steckte.

Rückblende ins Jahr 1987, in dem Robert Lichal Verteidigungsminister wurde. Jahre zuvor hatte Lichal eine bessere Bewaffnung für die Exekutive gefordert, seitdem nannte man ihn "Revolver-Hofrat" und "Django der Nation". Im August 1987 bestellte der Minister beim Schweizer Waffenproduzenten Oerlikon-Bührle AG um 35 Millionen Schilling (rund 2,5 Millionen Euro) Übungsmunition. Dabei hagelte es Kritik.

Auftrag für den Duzfreund

Denn laut den Recherchen des Investigativjournalisten Alfred Worm hätte das Heer die Munition erstens gar nicht gebraucht, und zweitens von einer französischen Firma um 20 Millionen Schilling (rund 1,5 Millionen Euro) billiger bekommen. Oerlikon erhielt trotzdem den Zuschlag; der Waffenlobbyist von Oerlikon war Lichals Duzfreund. Beide waren - wie auch Spindelegger - Mitglied im Cartellverband (CV).

Spindelegger zählte damals zu Lichals engsten Mitarbeitern, heute gilt der "Revolver-Hofrat" als politischer Ziehvater des VP-Chefs. 1987 hatte Lichal den jungen Juristen als Ministersekretär ins Verteidigungsministerium geholt. Spindelegger war immer loyal und konnte dafür später auf seinen Mentor zählen, der ihm - wo immer möglich - die politische Räuberleiter machte.

Spindeleggers Wohnung durchsucht

Der Auftragsvergabe an Oerlikon spaltete die Armeeführung. Das Lichal-Lager erklärte, Oerlikon hätte den Zuschlag erhalten, weil es Gegengeschäfte mit der Schweiz gegeben hätte und die Franzosen nicht rechtzeitig liefern hätten können. Das andere Lager sagte, man bräuchte gar keine Munition, es gäbe durch den Deal keine Gegengeschäfte und die Franzosen wären lieferbereit gewesen. "Die Argumente zugunsten von Oerlikon sind vollkommen an den Haaren herbeigezogen. Man hat hier schlicht und einfach 20 Millionen Schilling beim Fenster hinausgeworfen", sagte damals ein Divisonär im Profil.

Die Justiz reagierte. Neben Lichal, dem Oerlikon-Waffenlobbyisten und dessen Sohn stand auch Michael Spindelegger im Visier der Justiz. "Die Staatsanwaltschaft Wien leitete 1988 Vorerhebungen gegen vorerst unbekannte Täter im Bereich des Bundesheeres wegen Verdachts des Amtsmissbrauches ein", schrieb der Offizier Jörg Zeyringer 1991 in seiner Diplomarbeit "Das Bundesheer im Fadenkreuz", in der er die Affäre Oerlikon aufarbeitete. "Im Zuge der Erhebungen durch die Staatsanwaltschaft erhärtete sich der Verdacht gegen Minister Lichal und seinen Sekretär Michael Spindelegger so sehr, dass 1989 gegen beide Voruntersuchungen wegen des Verdachts der Untreue eingeleitet wurden", schrieb Zeyringer.

Laut einem Profil-Bericht durchstöberten die Ermittler unter anderem auch Spindeleggers Privatwohnung in der Hinterbrühl. Fündig wurden sie allerdings in der Grinzinger Villa des Waffenlobbyisten Walter Schön, wo sie folgenden Aktenvermerk aus dessen Sakko-Tasche fischten: "Spindelegger: 1: Parteienfinanzierung; zwei Millionen; 2: Auftragsvolumen: 35 Mio". Spindelegger dementierte im Profil umgehend, dass beim Oerlikon-Deal Geld an die Partei geflossen wäre und stritt jede Form der Parteienfinanzierung ab.

"Politik hat sich in Justiz eingemischt"

Dennoch bestand für die Staatsanwaltschaft der dringende Verdacht einer verbotenen ÖVP-Parteienfinanzierung, gegen die vier Beschuldigten wurden gerichtliche Voruntersuchungen eingeleitet. Die Liste der Staatsanwaltschaft war lang: Verdacht der Beihilfe zum Amtsmissbrauch, Verdacht des Amtsmissbrauches, Vergehen der Verleitung zu Pflichtwidrigkeiten, Verbrechen der Untreue, Verdacht der strafbaren Handlung und Ausnützung einer Amtsstellung.

Doch der ermittelnde Staatsanwalt Wolfgang Mekis kam nicht weit. Heute sagt er gegenüber derStandard.at: "Der Fall war ein klassisches Beispiel dafür, wie sich die Politik in die Justiz einmischt." Der damalige VP-nahe Justizminister Egmont Foregger entzog Mekis den Fall und leitete ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein. Der Vorwurf: Mekis hätte ermittelt, ohne zuvor die Oberstaatsanwaltschaft eingeschaltet zu haben. Laut Profil-Journalist Alfred Worm wäre dieser Vorwurf haltlos gewesen.

Historischer Hilferuf des Staatsanwalts

Mekis sah den Fall nie mehr, die Oberstaatsanwaltschaft kümmerte sich von nun an um die Causa. "Dass die Oberstaatsanwaltschaft den Akt an sich gezogen hat, hat es noch nie vorher gegeben", sagt Mekis. Er berief eine Pressekonferenz ein, in der er den Verdacht der politischen Intervention offen ansprach. Es war das erste Mal, dass ein Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit um Hilfe rief.

Der Fall blieb bei der Oberstaatsanwaltschaft. Im Dezember 1990 stellte sie die Voruntersuchungen ein, da sie die Vorwürfe als nicht erwiesen erachtete. Die Affäre hatte dennoch Folgen: In Österreich wurde die Sinnhaftigkeit des Heeres infrage gestellt. Bereits am 6. Jänner 1990 forderte die einflussreiche Kronen Zeitung eine Heeresreform und titelte: "Nach Munitionsaffäre: Weg mit diesem Bundesheer!"

Sinnlose Tätigkeit

Offizier Zeyringer untersuchte in seiner Diplomarbeit die Einstellung der Grundwehrdiener während der Munitionsaffäre und befragte 740 Grundwehrdiener. Die damals erschütternde Bilanz: 70,3 Prozent der befragten Soldaten hielten ihren Dienst für eine sinnlose Tätigkeit.

Die Oerlikon-Affäre wird auch im 1995 erschienen Buch "Politische Affären und Skandale in Österreich" von Michael Gehler und Hubert Sickinger behandelt. In einem Beitrag schrieb Politologe Hubert Sickinger, Experte auf dem Gebiet der Parteienfinanzierung: "In der Munitionsaffäre wurde zwar nicht zum ersten Mal, allerdings besonders markant die undurchsichtige Vergabepraxis bei Waffenkäufen sichtbar."

"Schnee von gestern"

Insgesamt lasse sich feststellen, schrieb Sickinger, dass bei größeren Waffenkäufen durchwegs Provisionäre zwischengeschaltet wurden, die jedenfalls einige Prozente erhielten. "Diese Provisionen sind jedenfalls ausreichend hoch, um Spekulationen über Weiterflüsse von bestimmten Anteilen an Partei(suborganisation)en oder auch Beamte zu nähren", schrieb der Parteifinanzierungsexperte.

Die Reaktion aus dem Büro Spindelegger zu der Oerlikon-Affäre fiel gegenüber derStandard.at knapp und schriftlich aus, ohne auf Fragen einzugehen: "Das Verfahren, von dem hier die Rede ist, wurde vor über 20 Jahren eingestellt. Die Vorwürfe waren an den Haaren herbeigezogen und haben keiner juristischen Prüfung standgehalten. Das Ganze ist somit Schnee von gestern und ist jetzt dort, wo es hingehört: in den Archiven der Presse." Die Satzstelle "vor über 20 Jahren eingestellt" wurde dabei fett gedruckt. (Benedikt Narodoslawsky, derStandard.at, 17. Mai 2011)