Neutronen zwischen zwei Platten können im Schwerefeld der Erde unterschiedliche Quantenzustände einnehmen. Eine vibrierende Platte (unten) hebt sie von einem Zustand in den anderen - das erlaubt eine hochpräzise Energiemessung.

Foto: Florian Aigner, TU Wien

Wien - Hochpräzise Atomuhren oder Magnetresonanzverfahren in der Medizin beruhen auf dem Effekt, dass Teilchen ihren Quantenzustand verändern, wenn man sie anregt. Für diese Anregung werden üblicherweise elektromagnetische Wellen genutzt. Wissenschafter der Technischen Universität (TU) Wien haben nun ein Verfahren entwickelt, das stattdessen auf die Schwerkraft zurückgreift.

Mit dieser Methode lässt sich nicht nur die Gravitation präzise vermessen. Die Forscher, deren Arbeit nun in der Wissenschaftszeitschrift Nature Physics veröffentlicht wurde, stoßen damit in jene bisher unerforschten Bereiche vor, wo Gravitation und Quantentheorie zusammenfließen. So könnten mit dieser Methode Experimente zur eigenartigen Welt der Stringtheorien durchgeführt werden.

Die Auswirkungen der Gravitation auf sehr kleine Teilchen und über sehr kurze Distanzen zu messen ist schwer. "Die Aussagekraft von Atomen bei solchen Experimenten ist begrenzt, weil ihr Verhalten von elektrischen Kräften mit kurzer Reichweite, wie der Van der Waals- oder der Casimirkraft, stark dominiert wird, die Schwerkraft spielt hier kaum eine Rolle", erklärte Hartmut Abele vom Atominstitut der TU Wien, der gemeinsam mit seinen Kollegen Tobias Jenke und Hartmut Lemmel sowie Wissenschaftern des Institut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble die Arbeit durchgeführt hat. Ans ILL sind die Wissenschafter gegangen, weil sie für ihr Experiment sehr langsame, sogenannte ultrakalte Neutronen benötigen.

Quantensprung durch Einfluss der Schwerkraft

So ein Neutron kann im Gravitationsfeld nur ganz bestimmte Quantenzustände einnehmen, also eine ganz bestimmte Energie haben. Werte dazwischen sind nicht möglich. Dabei gibt es den Grundzustand und verschiedene angeregte Zustände. Wechselt ein Neutron seinen Zustand, ist das ein "Quantensprung". Verursacht werden solche Quantensprünge durch den Einfluss der Schwerkraft, "der Energiezustand des Neutrons ist im Wesentlichen durch die Gravitationskonstante gegeben", so Jenke.

In ihrem Experiment lassen die Wissenschafter nun diese Neutronen zwischen zwei horizontal angeordnete Spiegel fliegen, die nur ein paar hundertstel Millimeter voneinander entfernt sind. Bei ihrem horizontalen Flug durch diesen Spalt nehmen die Neutronen verschiedene Energiezustände ein, wobei sich Neutronen in höheren Zuständen näher beim oberen Spiegel aufhalten. Weil aber die Oberfläche des oberen Spiegels aufgeraut ist, werden sie dort absorbiert sobald sie dagegen stoßen. Aus diesem Grund schaffen es nur Neutronen im ersten Energiezustand, die sich näher beim unteren, polierten Spiegel befinden, durch den Spalt.

Die Wissenschafter versetzen nun das gesamte Spiegelsystem in Vibration. Bei bestimmten Frequenzen werden die Neutronen durch die Vibrationen angeregt, also in einen höheren Energiezustand versetzt. Reguliert man diese Frequenz präzise, werden tatsächlich alle Neutronen zu einem Quantensprung gezwungen. Weil sie damit eher im oberen Bereich fliegen, werden sie vollständig vom oberen Spiegel absorbiert. Kein Neutron passiert damit den Spalt. "Genau das gleiche passiert bei der Resonanzspektroskopie, etwa bei der Kernspinresonanzspektroskopie, wie sie in der Medizindiagnostik eingesetzt wird, mit Hilfe von elektromagnetischer Anregung. Das Außergewöhnliche dabei ist, dass wir das erstmals mit Hilfe der Gravitation machen können" so Jenke.

Wenn man weiß, bei welcher Frequenz es zu den Quantensprüngen kommt, kann man daraus auf die Gravitation schließen. Im Prinzip handelt es sich bei dem Experiment um ein Gravimeter, das mit Hilfe von Quanten die Schwerkraft sehr präzise misst, und das auf sehr kurzen Längenskalen.

Theorien-Tests im Labor

Schon seit Jahrzehnten wird versucht, die Gravitation mit der Quantentheorie zu einer gemeinsamen Theorie aller Kräfte zu vereinen. So entstanden etwa verschiedene Stringtheorien. "Mit unserer Neutronen-Methode werden wir jetzt daran gehen, solche Theorien direkt im Labor zu testen", so Abele. Denn die Stringtheorien haben ein Problem: Sie funktioniert nur, wenn man davon ausgeht, dass es zehn Raumdimensionen gibt, und nicht nur drei (links-rechts, vorne-hinten, oben-unten). Deshalb gehen die Stringtheoretiker davon aus, dass diese Extradimensionen sehr klein sind. Gibt es diese Extradimensionen, hätten sie in diesem Größenbereich auch Einfluss auf die Gravitation. Mit dem Experiment der Wiener Physiker könnte nun erstmals überprüft werden, ob es im Mikrometer-Bereich zu Einflüssen auf die Schwerkraft kommt. Auch Theorien über die geheimnisvolle "Dunkle Materie" können nun auf winziger Größenskala mit Hilfe der Neutronen-Experimente untersucht werden. (red/APA)