Grafik: Insitut für Jugendkulturforschung

Philipp Ikrath: "Wenn sie sich vor allem fürchten und überall große Gefahren und Probleme sehen, wird das Gefühl, dass man auf sich alleine gestellt ist und sich durchsetzen muss, größer."

Foto: Insitut für Jugendkulturforschung

Jugendliche vertrauen heute kaum mehr auf Solidarität durch Staat und Gesellschaft. Sie sind geplagt von Ängsten um ihre berufliche Zukunft und fürchten sich vor einer weiteren Wirtschaftskrise. Auf der persönlichen Ebene steht für sie Selbstverwirklichung und Spaß im Vordergrund. "Sie stehen immer irgendwie unter Druck", sagt Philipp Ikrath, Geschäftsführer des Instituts für Jugendkulturforschung im derStandard.at-Interview.

derStandard.at: Das Institut für Jugenkulturforschung hat herausgefunden, dass über 70 Prozent der jungen Frauen und knapp 60 Prozent der jungen Männer davor Angst haben, später einmal keine Pension zu bekommen. Hat Sie das Ergebnis überrascht?

Ikrath: Dass das eine große Angst der Jugendlichen ist, ist bekannt. Dass es allerdings in diesem Ausmaß verbreitet ist, ist schon eine Überraschung. Drei von vier Frauen und sechs von zehn Männern fürchten sich davor, dass sie keine Pensionen bekommen. Ganz offensichtlich glauben die jungen Menschen nicht mehr an den Generationenvertrag. Sie vertrauen allerdings noch auf den Zusammenhalt innerhalb der Familie. Die Angst, dass sich um die Leute niemand mehr kümmert, wenn sie alt sind, ist nicht sehr weit verbreitet. Auf Solidarität auf der staatlichen oder gesellschaftlichen Ebene vertrauen sie kaum mehr.

derStandard.at: Kümmert sich die Politik zu wenig um die Jungen und um ihre Sorgen?

Ikrath: Ja. Diese Ängste hängen sehr stark von der momentanen Situation und von aktuellen Ereignissen ab. Dass die Jugendlichen der Politik gegenüber sehr distanziert sind und generell das Gefühl haben, dass sie sich zu wenig um ihre Anliegen kümmert, ist sehr stark verbreitet. Dass die Politik zu wenig für die Zukunft tut und statt dessen nur für das Hier und Jetzt arbeitet ist ein weiterer Aspekt, den unsere Jugend sehr stört.

derStandard.at: Wir wissen, dass gerade unter den Jungen sehr viele FPÖ-WählerInnen zu finden sind. Glauben Sie, dass sie die FPÖ als eine Antwort auf ihre Sorgen sehen?

Ikrath: Ich denke nicht, dass die Jungen glauben, dass die FPÖ das alles besser machen könnte. Aber es ist zumindest ein Antistatement zur momentanen Politik. Sie erwarten sich von der FPÖ genauso wenig konstruktive Veränderungen wie von den anderen Parteien.

derStandard.at: Haben Sie bei Ihrer Befragung nach politischen Präfenzen differenziert?

Ikrath: Ja. Wir haben abgefragt wer sich eher dem linken Spektrum (Grüne und SPÖ) und wer sich eher dem rechten Spektrum zugehörig fühlt (ÖVP, FPÖ, BZÖ). Von 500 Befragten fühlen sich 202 Personen dem linken Spektrum zugehörig, dem rechten Spektrum 126. Der Rest wollte sich nicht deklarieren.

derStandard.at: Wirkt sich die politische Ausrichtung auf die Zukunftsängste aus?

Ikrath: Von jenen, die angaben, dem rechten Spektrum zugehörig zu sein, fürchten 71 Prozent um ihre Pension, bei den Linken sind es immerhin auch noch 60 Prozent. Wobei der Bildungshintergrund hier ebenfalls eine wesentliche Rolle spielt. Die, die sich dem linken Spektrum zugehörig fühlen, sind üblicherweise auch bildungsnäher. Jene, die eine bessere Bildung haben, also maturiert haben oder studieren, sind was die Zukunft betrifft, generell optimistischer.

derStandard.at: Auch die Wirtschaftskrise hinterlässt ihre Spuren in den Gemütern der Jungen?

Ikrath: Das Vertrauen in das Wirtschaftssystem ist massiv geschwunden. Ungefähr 50 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen fürchten sich vor einer massiven Geldentwertung. Interessant ist auch, dass die jungen Frauen generell etwas ängstlicher sind, beziehungsweise eher bereit sind, ihre Ängste einzugestehen.

derStandard.at: Fürchten sich auch hier wiederum Jugendliche, die sich dem rechten Spektrum zuordnen mehr vor einer Inflation als Linke?

Ikrath: Ja. Diese Tendenz gilt auch für diese Frage. Jene Jugendlichen, die sich dem rechten und konservativen Spektrum zuordnen, fürchten sich deutlich mehr. Dies betrifft zum Beispiel auch das Thema Sicherheit. Von jenen, die sich dem rechten Spektrum zuordnen, hat ein Drittel Angst, Opfer eines terroristischen Anschlages zu werden. Von den links-orientierten Jugendlichen hat ein Fünftel davor Angst.

derStandard.at: Die FPÖ spielt sehr stark damit, Ängste zu schüren. Kann man sagen, dass also die Argumentation der FPÖ bei den Jugendlichen ankommt?

Ikrath: Das ist eine Henne-Ei-Frage. Zumindest kann man sagen, dass die FPÖ diese Ängste anspricht. Was die FPÖ sagt, fällt bei dieser Gruppe auf fruchtbaren Boden.

derStandard.at: Interessant ist, dass diese ängstlichen Jugendlichen sich auch einer Partei zuwenden, die weiter Ängste schürt, anstatt einer, die Zuversicht verspricht.

Ikrath: Die Jugendlichen sehen das nicht so, dass die FPÖ Ängste schürt, sondern dass sie eine Partei ist, die Probleme und Defizite offen anspricht. Sie unterstellen den anderen Parteien, dass Probleme klein geredet werden oder aus opportunistischen Gründen verschwiegen werden. Die FPÖ wird als offen, ehrlich und direkt interpretiert.

derStandard.at: Auch das Thema politischer Extremismus wurde abgefragt. Was ist das spannendste Ergebnis?

Ikrath: Eine relativ große Anzahl – nämlich zwei Drittel der bildungsnahen Jugendlichen – fürchtet sich davor, dass politische Extremisten an Einfluss gewinnen. Bei den bildungsfernen Jugendlichen fürchtet sich die knapp Hälfte davor.

derStandard.at: Ein Schwerpunkt der Jugendstudie 2011 war das Thema Frauenbild.

Ikrath: Wir haben eine offene Frage gestellt, in der die Jugendlichen frei assoziieren sollten, wie sie sich eine moderne, junge Frau vorstellen. Dabei werden vor allem Autonomiewerte wie Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und Selbstständigkeit genannt.

Ein Fünftel der Befragten gibt das an. An zweiter Stelle stehen Selbstbewusstsein, Stärke und Durchsetzungsvermögen – so sehen vor allem junge Männer moderne Frauen. An dritter Stelle steht, dass eine junge Frau auch finanziell selbstständig sein und einen eigenen Beruf haben sollte. Einem Drittel der Frauen ist der Unabhängigkeitsaspekt besonders wichtig. Interessant ist, dass ein Fünftel der jungen Männer gar keine Vorstellung davon hatte, was eine moderne Frau ist. Von den Jugendlichen mit Matura hat fast jeder ein Bild von einer jungen modernen Frau im Kopf. Elf Prozent ohne Matura sehen Attraktivität als wichtigstes Erkennungsmerkmal einer jungen Frau an – bei jenen mit Matura gaben dies knapp drei Prozent an.

derStandard.at: Nur ein Drittel der Frauen hält Unabhängigkeit für besonders wichtig. Ist das nicht wenig?

Ikrath: Ein Drittel der Frauen hat Unabhängigkeit explizit genannt, das bedeutet aber nicht, dass sie für die restlichen zwei Drittel nicht wichtig wäre. Für diese jungen Frauen waren lediglich andere Assoziationen stärker. Der Unabhängigkeitsaspekt schwingt ja auch dort mit, wo er nicht explizit genannt wurde, etwa wenn sich die jungen Frauen über ihre Rolle im Berufsleben definieren.

derStandard.at: Vor einigen Wochen hat eine Studie aus dem Wirtschaftsministerium für Aufsehen gesorgt, der zufolge die Hälfte der jungen Frauen sich für eine Zeit vorstellen könnte, "nur" Hausfrau und Mutter zu sein. Sehen Sie diese Tendenz auch in ihren aktuellen Zahlen?

Ikrath: Aus unserer Studie geht nicht hervor, dass die Geschlechterrollen besonders traditionell gestaltet werden. Der Autonomiegedanken ist sowohl den Männern als auch den Frauen sehr wichtig. Dass das Thema Beruf und Familie ein relativ geringe Rolle spielt, hat mich überrascht. Von einer modernen Frau wird heute nicht erwartet, dass sie Kinder hat. Es steht ihr frei und kann ohne weiteres auch keine Kinder haben.

derStandard.at: Mit welchen Werten identifizieren sich unsere Jugendlichen?

Ikrath: Vor allem Autonomie- und Individualisierungswerte sind unseren Jugendlichen wichtig. Sie wollen selbst entscheiden, was sie tun und sehr aktiv sein. Sie wollen Spaß im Leben haben. Traditionen bewahren spielt eine deutlich geringere Rolle. Auch Themen wie Macht und Einfluss sind im Vergleich zum Selbstverwirklichungswunsch nicht besonders stark ausgeprägt.

derStandard.at: Sind unsere Jugendlichen überdurchschnittlich ängstlich?

Ikrath: Ich kenne keine Vergleichszahlen. Aber es geht klar aus der Studie hervor, dass das Bild von einer optimistisch in die Zukunft blickenden Jugend, die darauf vertraut, dass alles schon irgendwie seinen Weg geht, nicht haltbar ist. Es gibt sehr viele Themen, die bei den Jungen sehr angstbesetzt sind. Und zwar was die individuelle Ebene betrifft, aber auch die gesellschaftspolitische und globale Ebene. Es herrscht wenig Optimismus, dafür viel Angst.

derStandard.at: Was bedeutet das für die jungen Menschen, wenn sie mit so einer latenten Angst leben?

Ikrath: Wenn sie sich vor allem fürchten und überall große Gefahren und Probleme sehen, wird das Gefühl, dass man auf sich alleine gestellt ist und sich durchsetzen muss größer. Das wirkt sich natürlich auch auf die Lebenseinstellung ein. Sie stehen immer irgendwie unter Druck. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 27. Juli 2011)