"Ein Stereotyp ist wie ein schattiger Ort, an dem man sich ausrastet, wenn man erschöpft ist. Die Frage ist, wann es soweit ist. Manche Menschen geben sich gar keine Mühe, sondern greifen gleich zum Stereotypen."

Foto: Nebojša Babić

Den serbischen Schriftsteller Dragan Velikić verbindet einiges mit dem deutschsprachigen Raum im Allgemeinen und mit Wien im Speziellen: Viele seiner Werke wurden ins Deutsche übersetzt und von österreichischen und deutschen Verlagen publiziert, er hatte zahlreiche Stipendienaufenthalte und Lesungen in Österreich, und schließlich wurde er 2005 als Botschafter Serbiens nach Wien berufen. Mit daStandard.at spricht er über seine großen und kleinen Migrationen nach Wien und wie seine Erfahrungen in der Diplomatie sich auf sein literarisches Schaffen auswirken.

daStandard.at: In Serbien oder auch im ehemaligen Jugoslawien ist es nicht ungewöhnlich, dass arrivierte Schriftsteller als Botschafter ins Ausland entsendet werden. Das berühmteste Beispiel ist wohl der jugoslawische Schriftsteller und Nobelpreisträger Ivo Andrić, der zugleich Berufsdiplomat war.

Dragan Velikić: Ja, diese Kombination hat bei uns eine lange Tradition. Ein weiteres prominentes Beispiel ist Miloš Crnjanski, und es gibt noch zahlreiche andere aus Vergangenheit und Gegenwart. Ich denke allerdings, der Beruf des Schriftstellers allein qualifiziert niemanden für die Diplomatie.

daStandard.at: Sie wurden ja von der damals proeuropäischen Regierung des damaligen Staates Serbien und Montenegro zum Botschafter in Wien berufen. Warum fiel die Wahl auf Sie?

Velikić: Es gab bereits in der Regierung unter Zoran Djindjić (2001 – 2003, Anm. d. Red.) die Idee, wieder Schriftsteller in die Diplomatie aufzunehmen. Ich bin stolz darauf, niemals einer Partei angehört zu haben, und vor dem Zerfall Jugoslawiens habe ich jeglichen Kontakt mit der Politik gemieden. Ich nehme an, man hätte mir diesen Posten nicht angeboten, wenn ich nicht bereits besondere Beziehungen zu Österreich gehabt hätte. In meinem Fall war klar, entweder ich gehe in diplomatischer Funktion nach Österreich oder ich gehe gar nicht.

daStandard.at: Wie sahen diese besonderen Beziehungen damals aus?

Velikić: Österreich ist ein Land, das ich sehr gut kenne. Meine Kindheit und meine Ausbildung standen gewissermaßen in der österreichisch-ungarischen Tradition. Wien und Österreich habe ich durch zahlreiche Stipendienaufenthalte, Lesungen und Diskussionsveranstaltungen kennengelernt. Im Laufe von fünfzehn Jahren war ich regelmäßig in Wien zu Besuch und habe die gesellschaftlichen Veränderungen genau beobachtet. Damals habe ich in zwei Realitäten gelebt, ich war wie eine Fliege im Fenster, zwischen zwei Glasscheiben, ich konnte sowohl nach Serbien als auch nach Österreich schauen.

daStandard.at: Und was haben Sie da gesehen?

Velikić: Ich habe gesehen, dass beide Seiten in Stereotypen und Vorurteilen gefangen waren. Meine Aufgabe habe ich darin gesehen, diese Stereotypen aufzuweichen. Ein Stereotyp ist wie ein schattiger Ort, an dem man sich ausrastet, wenn man erschöpft ist. Die Frage ist, wann es soweit ist. Manche Menschen geben sich gar keine Mühe, sondern greifen gleich zum Stereotypen.

daStandard.at: Wie war es für Sie, als Botschafter nach Österreich wiederzukommen?

Velikić: Als Botschafter hatte ich dann eine ganz andere Perspektive. Zuvor war ich nie in den diplomatischen Vertretungen meines Landes gewesen, ich hatte mich durch die Strukturen von Milošević gar nicht vertreten gefühlt. Auch mit meinen Landsleuten in Österreich hatte ich zuvor nicht wirklich viel Kontakt gehabt, außer im Rahmen der literarischen Kreise. Nun war ich aber für die Anliegen aller dieser Menschen zuständig.

daStandard.at: Was macht einen guten Botschafter aus?

Velikić: Da gibt es kein generelles Rezept, aber als Diplomat muss man jedenfalls ein vielschichtiges Wesen haben, man muss sich leicht in unterschiedlichen Welten bewegen und eine kulturologische Nähe zum Land haben. Ein Botschafter ist wie ein Hausmeister, er muss sich überall ein wenig auskennen. Ein Diplomat muss kommunikativ sein, ein autistischer Botschafter ist kein guter Botschafter. Ich habe mich, trotz meiner zahlreichen Aufenthalte in Österreich, vier Monate lang auf meine Funktion als Botschafter vorbereitet, weil Wien als Standort sogar für einen Karrierediplomaten eine große Herausforderung bedeutet hätte. Aber man darf nicht vergessen, dass in jeder Botschaft ohnehin professionelle Beamte beschäftigt sind, die den Botschaftsbetrieb abwickeln.

daStandard.at: Wie hat sich Ihre Erfahrung als Botschafter auf Ihr Dasein als Schriftsteller ausgewirkt?

Velikić: Es hat meinem Image als Schriftsteller ziemlich geschadet, vor allem in Deutschland. In Europa hat man sich gewissermaßen daran gewöhnt, dass Serbien auf der Strafbank sitzt, und man wollte gar nicht sehen, dass Veränderungen stattfinden, und dass in der Zwischenzeit auch "gute Leute" wichtige Funktionen bekleiden können. Man kann es nicht jedem recht machen, das muss man aber auch nicht, man muss nur seine Arbeit tun. Mir persönlich ist es nicht schwer gefallen, diesen Job zu machen. Eitelkeiten herumstolzierender Hähne, wie etwa die Frage, wer wen als erster begrüßt hat, wer wem die Hand gibt, berühren mich als Person und Schriftsteller gar nicht.

daStandard.at: Und hat die Erfahrung als Botschafter Ihr Schreiben beeinflusst?

Velikić: Nicht direkt. Nicht in dem Sinn, dass ich Memoiren darüber schreiben könnte wie Churchill. Ich war ja politisch gesehen nicht so wichtig. Faktum ist aber, dass man als freischaffender Künstler sich die Menschen, mit denen man Kontakt hat, aussuchen kann, man kann Situationen vermeiden, die einem auf die Nerven gehen. Als Botschafter kann man das nicht. Man hat eine Funktion zu erfüllen und dafür muss man viele oberflächliche Gespräche über sich ergehen lassen. Solche Oberflächlichkeiten fressen Menschen mit Substanz auf, und Künstler sind Menschen mit Substanz. Jedenfalls ist Österreich für mich das zweitwichtigste Land nach Serbien, und es ist ganz natürlich für mich, dass die Handlung meiner Romane auch hier angesiedelt ist. Die Erfahrungen in der Diplomatie finden sicherlich ihren Niederschlag in meinem Schreiben, wenn auch indirekt.