Elisabeth Ertl kam 1956 in Linz zur Welt. Die Pädagogin wurde selbst als Kind umgeschult, ist Mitbegründerin der Linkshänder-Initiative, und arbeitet hauptberuflich als Lehrerin in der Steiermark.

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Standard: Wie ist die gesellschaftliche Lage für Linkshänder heute?

Ertl: Man muss heutzutage keine Scheu mehr haben, sich zu seiner Linkshändigkeit zu bekennen. Das Problem ist aber das Unwissen. Die Menschen wissen zu wenig über die Bedeutung der Händigkeit und unterschätzen so die Probleme der Linkshänder. Es heißt heute, es wird nicht mehr umgeschult. In manchen Elternhäusern und Kindergärten passiert das aber sehr wohl noch, wenn auch meistens unbeabsichtigt. Das Kind muss dann zum Beispiel mit der "schönen Hand" grüßen. Im Kindergarten wird das Thema nicht angesprochen. Linkshändige Kinder glauben dann, sich an die rechtshändige Mehrheit anpassen zu müssen. Das Vorurteil, es werde nicht umgeschult, führt dazu, dass man bei Kindern mit Schulproblemen nicht an diese Ursache denkt.

Standard: Welche Auswirkungen hat die Umschulung auf Körper und Psyche?

Ertl: Händigkeit ist eine Hierarchiebeziehung zwischen einer Führungshand und einer Hilfshand, die im Gehirn angelegt ist. Wenn diese auf den Kopf gestellt wird, kommt es im Hirn zu einer fortwährenden Rebellion. Der Balken, die Verbindung zwischen den beiden Gehirnhälften, wird überlastet, und der betroffene Mensch wird fehleranfällig. Kinder neigen dann zu Legasthenie, zu Stottern und zu motorischer Ungeschicklichkeit. Das Gehirn verbraucht etwa dreißig Prozent mehr Energie. Die Kinder ermüden dadurch um vieles schneller und sind in ihrer Konzentrationsfähigkeit gestört. Es kommt zu Schreibunlust und in weiterer Folge zu Schulunlust. Auch psychosomatische Beschwerden sind häufig. Bei Erwachsenen gibt es Hinweise auf Zusammenhänge mit Allergien und Autoimmunkrankheiten.

Standard: Und welche Maßnahmen müssten ergriffen werden, um die Situation der Linkshänder zu verbessern?

Ertl: Das Wichtigste ist die Verhinderung der Umschulung durch Aufklärung der Eltern und Fortbildung der Kindergartenpädagoginnen. Darüber hinaus sollte es mehr Gebrauchsgegenstände für Linkshänder geben, vor allem Werkzeuge und Musikinstrumente. Aber: In einem klassischen Orchester wird man als Linkshänder mit einer seitenverkehrten Geige nach wie vor keine Chance haben. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD Printausgabe, 29.08.2011)