Foto: Atrium-Verlag

Art Spiegelman: Im Schatten keiner Türme. Atrium Verlag 2011

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DER STANDARD-
Schwerpunktausgabe 9/11

Grafik: STANDARD

"Es gibt so etwas wie Ironie." - Art Spiegelman wird nicht müde, dies zu betonen. Wie etwa im Juli 2008, als er auf Kritik an seinem Cover für die Zeitschrift The New Yorker reagierte: Mitten in der heißen Phase des Präsidentschaftswahlkampfs zeichnete er Kandidat Obama, wie er im Osama-bin-Laden-Look im Oval Office steht und triumphierend einen Faustgruß mit Gattin Michelle austauscht, die aussieht, als käme sie frisch von einem Black-Panther-Treffen. Ein satirischer Schlag in die Magengrube der "Politik der Angst" , die - als Nachwehe von 9/11 - Obamas Kandidatur begleitete.

"Cartoons sind dann am besten, wenn sie wie Impfstoff funktionieren" , sagte Spiegelman im öffentlichen US-Radiosender NPR. "Sie spritzen eine kleinen Menge Gift unter die Haut, um einen stärker zu machen." Humor und Horror liegen auch in seinem monumentalen 9/11-Comic Im Schatten keiner Türme, der dieser Tage erstmals auf Deutsch erscheint, nah beieinander.

"Seltsamerweise behaupteten nach dem 11.September manche Experten, dass die Zeit der Ironie nun vorbei ist" , lautet eine Schlüsselaussage darin. Das Bild dazu: ein riesiges Plakat, das Spiegelman und seiner Frau die Sicht auf die Towers verstellt, als sie sich nach dem Einschlag des zweiten Flugzeuges panisch auf die Suche nach ihrer Tochter machen, die ganz in der Nähe zur Schule geht. Es wirbt ausgerechnet für den Schwarzenegger-Film Collateral Damage. Hinter dem Inferno auf dem Plakat steigen die realen Rauchwolken auf.

Das Desaster als Muse

Spiegelman, Begründer des legendären Underground-ComixMagazins RAW, nennt das Desaster seine Muse. Mit seiner persönlichen Holocaust-Aufarbeitung Maus schrieb er Comic-Geschichte. Bevor er dafür 1992 einen Pulitzerpreis erntete, gingen die Wogen der Empörung hoch: Holocaust und Humor (das Vorurteil, dass Comics ausschließlich der Belustigung dienen, hält sich hartnäckig) - das geht gar nicht, verlauteten die Wächter der Political Correctness. Dass Spiegelman sich erlaubte, Juden mit Mäuse- und Nazis mit Katzen-Köpfen zu zeichnen, wurde mehr diskutiert als die nahegehende meisterhafte Verwebung einer Familien- mit der Weltgeschichte.

Maus und der Holocaust bilden auch in Im Schatten keiner Türme wichtige Referenzpunkte. Immer wieder taucht in der großformatigen Comic-Collage sein Maus-Alter-Ego auf, kettenrauchend, wetternd gegen die Stadtverwaltung von NYC, die zu wenig gegen die Giftwolke von Ground Zero tut, darüber sinnierend, dass die Luft nach dem 11. September so "unbeschreiblich" roch, wie sein Vater den Geruch des Rauchs von Auschwitz beschrieben hatte.

Angst, Paranoia, Patriotismus

In Im Schatten keiner Türme illustriert Spiegelman mit wechselnden Stilmitteln, wie sich Angst und Paranoia bruchstückhaft und wie in Zeitlupe in sein Gehirn genauso wie in jenes der Politik einbrennen. Figuren aus den Anfängen der Comicstrips - die 100 Jahre zuvor just in den großen Zeitungshäusern an der Park Row, nahe dem World Trade Center, entstanden - geistern über die schrill-bunten Seiten. Auch Tiere spielen wieder eine Rolle: Der Wappenadler als Symbol für den Patriotismus, der jegliche Kritik erstickt, Saddam Hussein als eklige Spinne oder eine Horde von Schweinen, Echsen und anderem Getier, das Cowboy Bush kriegsbegeistert in den Abgrund folgt. Und nicht zu vergessen die Masse der Vogel-Strauß-Menschen, die angesichts des Traumas den Kopf einfach in den Sand stecken.

Dass Spiegelman illustriert, wie er sich von Al-Kaida und seiner Regierung gleichermaßen terrorisiert fühlt, wurde ihm in den Staaten übelgenommen: Kein Verlag war bereit, die zehnteilige Serie zu veröffentlichen. 2002 und 2003 debütierte sie in der deutschen Zeit, erst 2004 kam sie in den USA als Buch heraus. "Damals wurde die Wahrheit fast nur in Form von Comedy ausgesprochen, wie etwa in der Daily Show" , sagte Spiegelman in einem Interview.

Es mangelt auch in seiner 9/11-Abrechnung nicht an Komik angesichts der Katastrophe: Geschickt lässt Spiegelman Comic-Helden längst verflossener Zeiten (wie die Katzenjammer Kids und Little Nemo) die Skurrilität der Ereignisse und die Flüchtigkeit des vermeintlich Ewigen vorführen, legt das "Kitschbombardement" an den Jahrestagen frei und spart nicht mit sarkastischen Einsprengseln - wie dem Horrorsammelkartenset "Architekten der Apokalypse" , auf denen Bush und Co als Monster abgebildet sind.

Spiegelman bleibt ein kompromissloser Verfechter des Rechts auf satirische Beleidigung: Er trat für die dänischen Mohammed-Karikaturisten ein und hält Vorträge über "Verbotene Bilder" von Honoré Daumier über George Grosz bis zu zeitgenössischen Zeichnern. "Ich bin ein Absolutist der freien Rede" , sagt er. Den Jahrestag begeht er, indem er abtaucht. (Karin Krichmayr, DER STANDARD - Printausgabe, 10./11. September 2011)