Andreas Gaul lässt über seine Loyalitäten beim Gespräch mit derStandard.at auch optisch keinerlei Zweifel aufkommen.

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Das Spielgerät.

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derStandard.at: Ihre Eindrücke von der Weltmeisterschaft?

Gaul: Ich hatte zum ersten Mal das Glück, fast alle Spiele zumindest teilweise zu sehen. Was mir gleich aufgefallen ist: die Stimmung in Neuseeland dürfte sensationell sein. Von außen wirkt das wie ein riesiges Faschingsfest, mit den verkleideten Fans. Immer wieder auch beeindruckend, dass es im Stadion keine Sektoren gibt. Dass man nebeneinander sitzt, sichverbrüdert oder verschwestert und sich freut, dass es auf dem Feld ordentlich zur Sache geht.

derStandard.at: Mit ein bisschen gutem Willen könnte man behaupten, dass sogar in Wien etwas von einer WM-Stimmung zu spüren ist...

Gaul: Es ist ja auch ein Super-Sport (lacht). Und dieses Mal ist auch die Berichterstattung in Österreich sehr gut, das hilft uns natürlich.

derStandard.at: Schauen Sie im Pub?

Gaul: Teilweise. Wenn die Spiele am Wochenende sind. Ich war aber auch ziemlich eingespannt, wir hatten ein Trainingslager mit dem österreichischen Nationalteam und nächste Woche steht ein Auswärtsmatch an.

derStandard.at: Also eher keine Biere um sieben in der Früh...

Gaul: Nein, keine Biere um Sieben. Südafrika gegen Fiji habe ich mit einem Freund vor dessen Hochzeit gesehen. Aber wir haben uns diesbezüglich zurückgehalten. Es blieb dann ja ohnehin noch die Hochzeit.

derStandard.at: Und das spielerische Niveau?

Gaul: Das war die erste WM, wo die kleinen Nationen ganz sensationelles Rugby gezeigt haben.

derStandard.at: Aber die Beschwörungen, das Feld würde enger zusammenrücken, die gab es ja auch schon früher – und manchmal schien da doch etwas Wunschdenken mitzuschwingen. Ist das diesmal wirklich anders?

Gaul: Der Unterschied wird kleiner, auch wenn bis zur Weltspitze schon noch etwas fehlt. In den ersten Halbzeiten kann man das recht gut sehen, da sind die Ergebnisse oft knapp. Rugby ist ja letztlich ein einfaches Spiel: Wenn du den Ball behältst und immer nach vorne gehst, kann der Gegner keine Punkte machen und du ganz gut mithalten.

derStandard.at: Das heißt, es liegt in erster Line an der Organisiertheit der Mannschaften, die auch physisch besser drauf sind?

Gaul: Die sind sicher viel fitter geworden – aber sie haben sich auch technisch verbessert. Du kannst in einen Kontakt so hineingehen, dass du den Ball gegen einen starken Gegner mit hoher Wahrscheinlichkeit verlierst. Du kannst aber auch so hineingehen, dass du ihn nicht verlierst. Das ist eine Frage der Technik, das muss man halt lernen. Aber da muss man auch doppelt und dreimal so fit sein. Das Problem ist eben auch, wenn du viel in der Defensive bist – und das sind die kleinen Nationen – ist alles viel anstrengender.

derStandard.at: Den Ball zu haben, ist also auch im Rugby angenehmer, als ihm nachlaufen zu müssen...

Gaul: Klar, du bist sonst immer unter Druck. Und tacklen ist anstrengender als nach vorne zu gehen.

derStandard.at: Tongas Trainer hat nach dem sensationellen Sieg gegen Frankreich bemängelt, dass es für sein Team nur ganz selten die Möglichkeit gibt, sich mit der Weltklasse zu messen. Warum ist das so schwierig?

Gaul: Im Detail weiß ich das nicht. Aber die großen Nationen touren eben immer nur gegen die anderen großen Nationen. Wenn ich ein Testspiel habe, dann will ich eines gegen einen starken Gegner. Es gibt enge Terminpläne und das ganze ist auch eine Geldfrage. Wir könnten als Österreicher schon ein Trainingslager in Südafrika organisieren und dort dann die südafrikanische Nationalmannschaft fordern. Wir werden das natürlich nicht wirklich machen, aber verbieten könnte es uns niemand. Bei den Tri Nations haben sie sich zum Beispiel ewig gegen Argentinien gewehrt.

derStandard.at: Warum?

Gaul: Weil behauptet wurde, dass sie einfach noch nicht den Level haben. Jetzt ist das für Argentinien natürlich ein Riesenvorteil.

derStandard.at: Wie war es möglich, dass Frankreich nach all den Schwierigkeiten in der Vorrunde im Viertelfinale England doch geschlagen hat?

Gaul: Ich muss sagen, dass mich das Spiel von beiden Seiten nicht überzeugt hat. Keine Mannschaft war wirklich viel besser als die andere, ich würde eher sagen: eine war ein bissl schlechter als die andere. Möglicherweise hat den Franzosen bisher der Einsatz und das Herz gefehlt. Beides haben sie wieder gefunden. Es hat ja jeder gewusst, dass sie es können. Frankreich kann jetzt sicher auch Wales schlagen und dann steht man im Finale.

derStandard.at: Nach den Aufregungen und Streitereien im französischen Lager nach der schwachen Vorrunde gab's Stimmen die gesagt haben, gut, jetzt ist eben auch im Rugby das große Geld angekommen und zerstört den vielbeschworenen Spirit. Egoismus statt Gemeinschaftsgefühl. Der walisische Kapitän Sam Warburton hat ja sogar mit der Aussage, nun ja, schockiert, dass die Spieler nach Siegen nicht mehr zusammen einen trinken gehen. Wird da mit der Professionalisierung sichtbar, dass Rugby doch nur ein Sport wie jeder andere ist?

Gaul: Wir haben in der Nationalmannschaft ein paar Quasi-Profis, und die sagen schon, dass du gerade auf Klubebene merkst, dass es ein stärkeres Konkurrenzdenken gibt. Wenn ich mein Geld mit dem Sport verdiene und mein Wert steigt, wenn ich mich profiliere, trägt das sicher nicht dazu bei, dass ich netter mit meinen Mitspielern umgehe. Das fördert einen gewissen Egoismus und in diesem Sinn zerstört Geld sicher den Charakter.

In den Nationalmannschaften ist der Spirit aber schon noch da. Man sieht das auch in den Spielen, vor allem in denen, wo die vermeintlich kleineren Nationen bis zum Umfallen kämpfen auch wenn alles schon unendlich klar verloren ist. Und Neuseeland ist ja auch sehr streng. Sobald ein Spieler nach Europa zum Geldverdienen geht, fliegt er automatisch bei den All Blacks raus.

derStandard.at: Apropos! Wieviel schwächer ist das Team ohne den verletzten Spielmacher Dan Carter?

Gaul: Carter ist natürlich irre, ein Weltklassespieler, der auf dieser Position (Flyhalf, Anm.) nicht zu ersetzen ist. Noch dazu ist er einer der erfahrensten. Im Viertelfinale gegen Argentinien hat es aber ganz gut funktioniert. Außerdem gibt es da ja auch noch 14 andere, die da ein Wörtchen mitzureden haben. Ein Mann wie Carter kann den Unterschied ausmachen, die Frage ist, ob Neuseeland den Unterschied überhaupt brauchen wird. Der Ausfall ist aber immerhin schon eine programmierte Ausrede, falls es mit dem Titel nicht klappten sollte.

derStandard.at: Für Sie bleiben die All Blacks also die Topfavoriten...

Gaul: Ich glaube, die bringen das schon drüber.

derStandard.at: Australien im Halbfinale wird der erste wirkliche Test im Turnier sein...

Gaul: Gut, sie haben in den Tri Nations das letzte Spiel gegen Australien verloren. So ist es natürlich nicht. Aber es gibt dann immer noch einiges, was man sich an guten Omen so zusammenreimen kann. Im Eden Park, wo das Match stattfinden wird, hat Neuseeland seit ewig nicht mehr verloren und Australien, soweit ich weiß, auch noch nie gewonnen. Es spricht also viel für die Neuseeländer.

derStandard.at: Die Formation einer Rugbymannschaft steht ja fest. Hat ein Trainer trotzdem taktischen Spielraum?

Gaul: Die Taktik wird immer auf eine konkrete Mannschaft zugeschnitten. Grundsätzlich geht es darum, die Vorteilslinie immer und immer wieder zu überschreiten um entweder irgendwann in der Tryzone anzukommen oder, wenn der Gegner in Kickdistanz Penalties verursacht, mit Kicks aufs Tor zu punkten. Habe ich massige und starke Spieler, werde ich versuchen im direkten Kontakt den Gegner Stück für Stück wegzuschieben. Mit schnellen Spielern wird durch Laufspiel verstärkt mit den Flügeln der Raum attackiert.

Bei Standardsituationen können die ersten zwei bis drei Phasen geplant werden, um so eine echte Struktur ins Spiel zu bekommen. Ganz wichtig ist eine solide und sichere Verteidigung. Es heißt, die Verteidigung macht Weltmeister.

derStandard.at: Sie sind ein Zweite-Reihe-Stürmer. Was ist Ihr Job auf dieser Position?

Gaul: Die Locks sind die Größten in der Mannschaft. Nicht unbedingt die schwersten, weil sie beim Lineout, dem Outeinwurf, den Ball fangen sollen und dabei von den Kollegen angehoben werden. Auch in anderen Standardsituationen, wenn Bälle irgendwo in der Luft herumfliegen, sollen Locks die Bälle fangen. Im Scrum stehe ich in der zweiten Reihe, habe Schultern und Kopf zwischen den Popos meiner Vorderleute und drücke auf ihre Schultern. Da zahlt sich dann die Körpergröße aus, weil ich die Belastung besser verteilen kann. Ich versuche, den Druck aufzunehmen und quasi in den Boden zu übertragen.

Im offenen Spiel ist die Größe weniger vorteilhaft, die Locks haben nämlich den Schwerpunkt deshalb recht hoch und können daher recht einfach getacklet werden. Ich bin also nicht unbedingt ein Ballträger, sondern in erster Linie ein Supportspieler. Ich unterstütze also den Ballträger. Geht der zu Boden formt sich ein Ruck oder ein Maul. Dort kann ich dann Gas geben. Während der Scrum eine Maximalkraftsache ist, sollst du danach aufstehen und wie ein Reh über den Platz hüpfen. Für einen Lock ist deshalb die Mischung von Kraft und Ausdauer besonders wichtig.

derStandard.at: Letzte Woche hat man ja in Österreich der WM ein bisschen Konkurrenz gemacht und Meisterschaft gespielt. Ihr Klub, Donau Wien, im Derby gegen Celtic. Wie ist das ausgegangen?

Gaul: Ich glaube 38:10. Oder 33:10?

derStandard.at: Naja, so genau wollen wir es jetzt nicht nehmen. Ihr habt jedenfalls gewonnen?

Gaul: Jaja, wir haben's gewonnen!

derStandard.at: Donau ist ja sehr dominant in den letzten Jahren, wie geht man da in eine neue Saison. Welche Ziele setzt man sich?

Gaul: Wir sind jetzt fünffacher Staatsmeister und es gab bisher erst fünf Staatsmeisterschaften. Wir wollen immer die Meisterschaft gewinnen, das ist die erste Priorität. Wir spielen aber seit drei Jahren auch im Central and Eastern European Rugby Cup mit Mannschaften aus Tschechien, Ungarn und Rumänien. Da war es für uns wichtig, einen Schritt nach vorne zu machen. Wir haben zwei Jahre lang keine Spiele gewonnen, haben zuletzt aber nur ganz knapp Platz drei verpasst. Das heißt also, wir wollen uns international verbessern, mehr Jugendarbeit machen, bei den Frauen besser werden – wobei, die sind ohnehin sensationell unterwegs.

Um Geld geht es bei uns ja nicht, sondern nur um den Spass an der Sache, und da ist es relativ einfach, sich zu motivieren. Du willst einfach besser werden, sonst hätte es ja keinen Sinn. Weil, man muss schon viel trainieren. Das geht schon über einen Hobbysport hinaus. Die Energie, die man hineinsteckt, will man dann auch wieder zurückbekommen. Und am Schönsten geht das, wenn du gewinnst.

derStandard.at: Sie sind jetzt 34, wie lange wollen Sie noch aktiv dabei bleiben?

Gaul: Ich habe viele Teamspiele gespielt. 66 hintereinander, ohne ein einziges zu versäumen. Ich muss jetzt von Saison zu Saison denken. Ich muss schauen, wie es meinem Körper geht. Ich bin noch fit und stark, aber manche Wehwehchen beginnen langsam halb chronisch zu werden.

Dabei war ich eigentlich gesegnet und in meiner Karriere nie wirklich schwer verletzt. Das ist auch ein Vorteil meiner Position: Mein Körper muss nicht zu 100 Prozent perfekt funktionieren. Auch mit 90 Prozent, mit kleinen Zerrungen oder Quetschungen kann ich einigermaßen durchtauchen und eine vernünftige Performance liefern. Aber es ist natürlich immer besser, wenn einem nichts wehtut. (Michael Robausch, derStandard.at. 13.10. 2011)

HALBFINAL-PROGRAMM bei der WM in Neuseeland:

Samstag, 15.10.: Wales vs Frankreich (10:00 MESZ, Auckland)
Sonntag, 16.10.: Neuseeland vs Australien (10:00 MESZ, Auckland)