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Die Gastarbeiter-Pensionen sind niedrig, die Wohnverhältnisse ungünstig und nach dem Austritt aus dem Berufsleben fehle der Anschluss an die österreichische Mehrheitsgesellschaft.

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Auch Migranten werden alt. Dieser Satz klingt zunächst einmal logisch wie banal. Trotzdem war es eine große Überraschung, als man Ende der 90er im Zuge einer EU-Studie über die Lebensqualität älterer Menschen in der äußeren Wiener Gürtelregion feststellte: Ein gar nicht kleiner Teil der älteren Bevölkerung hat eine Migrationsgeschichte.

Niemand hatte damals daran gedacht, dass es eine Bevölkerungsgruppe gibt, die man, salopp gesagt als "alte Migranten" bezeichnen könnte. Es sind dies großteils ehemalige Gastarbeiter aus der Türkei oder Ex-Jugoslawien, die jahrzehnte in Österreich gelebt und gearbeitet haben und nun das Pensionsalter erreichen. Christoph Reinprecht vom Institut für Soziologie an der Uni Wien war damals an der EU-Studie beteiligt. Seitdem beschäftigt sich der Universitätsprofessor mit dem Thema Migration und Alter, forscht darüber, was es bedeutet in einem fremden Land älter zu werden.

Niedriges Einkommen, kleine Pension

Das Erfahrungsdreieck Arbeit-Alter-Migration präge diese Menschen, so Reinprecht. Ein Großteil der Arbeitsmigranten sei in Österreich schweren körperlichen Tätigkeiten nachgegangen, was im Alter bestimmte Beeinträchtigungen nach sich ziehe. Die Höhe der Einkommen bzw. der Pensionen sei niedrig, die Wohnverhältnisse oft schlecht und nach dem Austritt aus dem Berufsleben fehle der Anschluss an die österreichische Mehrheitsgesellschaft. Der Grund: Bis Ende der 90er gab es seitens der österreichischen Einwanderungspolitik kaum Deutschkurse oder andere Integrationsmaßnahmen. "Die gehen eh wieder zurück" war die Devise.

Doch die ausländischen Arbeitskräfte blieben, holten ihre Familien nach, ließen sich in ethnisch ähnlichen Nachbarschaften nieder und lernten die Deutsche Sprache nur so weit sie diese benötigten. Die Gewerkschaften waren auch nicht wirklich dahinter, die Arbeitsmigranten miteinzubeziehen, sah man diese doch mehr als Konkurrenz und Lohndrücker denn als Kollegen. Aus all diesen verschiedenen Gründen ist vor allem die migrantische Arbeiterschicht das, was Reinprecht "partiell integriert" nennt. Das heisst Integration in den Arbeitsmarkt und das Sozialsystem, aber wenig Teilhabe an der österreichischen Lebenswelt.

Rückkehr?

Warum, so könnte man fragen, gehen diese Leute nicht zurück in ihre Heimatländer? Die Antwort: Ihre Familie ist in Österreich. In den 80ern erfolgte eine zweite Phase der Einwanderung. Viele derer, die sich entschieden hatten in Österreich zu bleiben, holten ihre Angehörigen nach. Heute leben 1.315.512 nicht in Österreich geborene Personen in Österreich. Rund 13 Prozent davon sind über 60 Jahre alt, das sind 256.745 Menschen, von denen Angabe der Statistik Austria zufolge ein Großteil, nämlich 167.603, die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt.

Es gäbe zwar Migranten, die sich im Alter vorstellen könnten zwischen zwei Ländern zu pendeln, erklärt Reinprecht, doch habe die Familie in der Migration eine extrem wichtige Funktion, die im Alter noch mehr an Bedeutung gewinne. Darin liege laut Reinprecht aber auch der "Kern der Verletzbarkeit" der älteren Migranten, die in starken Familienbanden leben. Das Abhängigkeitsverhältnis drehe sich um, die Älteren seien vermehrt auf die Jüngeren angewiesen, sei es für den Gang zum Amt, zum Arzt oder zum Sachwalter.

Zu wenig informiert

Eine Brückenfunktion nehmen in dieser Hinsicht die Mitarbeiter von Terra ein, der einzigen Beratungsstelle Wiens, die sich auf ältere Migranten spezialisiert hat. Sie helfen beim Stellen von Pensionanträgen, Anrufen bei Behörden, Verfassen von Briefen und leisten viel Aufklärungsarbeit.

Zwar bietet die Pensionsversicherungsanstalt auch Pensionsberatungen an, "aber wenn unsere Klienten von dort wieder kommen, haben sie eigentlich gar nichts erfahren." sagt Marko Kolm, Leiter von Terra. Die vier Sozialarbeiterinnen bei Terra sprechen deshalb die Muttersprachen der ehemaligen GastarbeiterInnen. Viel komplizierter als das Sprachproblem zu lösen ist aber die manchmal äußerst vertrackte Pensionssituation. Wer seine Pensionsanspruchszeiten in verschiedenen Ländern erworben hat, muss oft Jahre warten, bis das Feststellungsverfahren in seinem Herkunftsland ermittelt wird. Bis dahin leben die Betroffenen am Existenzminimum. Wer Pech hat, aus einem Land zu kommen, mit dem der Staat Österreich kein Abkommen hat, dem Kosovo oder Pakistan beispielsweise, der kann 14 Jahre und 11 Monate in Österreich gearbeitet haben – die gearbeitete Zeit im Heimatland wird nicht zum verflixten 15. Jahr aufgerechnet, das man in Österreich braucht um eine volle Pension zu beziehen.

Auch Gesundheits- und Sozialleistungen sind bei Terra ein immer wiederkehrendes Thema. Obwohl sie Anspruch darauf hätten, glaubten viele MigrantInnen, dass Pflegegeld, Heimhilfen, Essen auf Rädern und andere Dienstleistungen gar nicht für sie gedacht seien, so Kolm. Es gäbe ein großes Informationsdefizit und zu wenige Stellen, die auf die Beratung von älteren MigrantInnen spezialisiert seinen.

Christoph Reinprecht von der Universität Wien beschreibt die Lage so: "Es ist gewissermaßen paradox: Diese Menschen sind als Steuer- und Beitragszahler voll in die Sozial- und Pensionsversicherung inkludiert, aber bei der Umsetzung der Leistungen, da spießt sich's." (Selina Nowak, 17. Oktober 2011, daStandard.at)