Grafik: STANDARD

Es sind nicht nur Atelierfotos, sondern faszinierende Dokumente, in denen intime Schaffensmomente Alberto Giacomettis verewigt wurden: Eines davon zeigt den damals 59-jährigen Künstler, die Hosen über und über mit Gips-patzen besudelt, als er das 183 cm hohe Modell des Schreitenden bearbeitete. Auf Augenhöhe nur symbolisch, in der Realität wirkte der Schweizer Bilderhauer im Vergleich zu L'Homme qui marche geradezu kleinwüchsig. Ein Jahr später wird die erste Bronze gegossen, der entsprechend der Edition fünf weitere folgten. Nummer 2/6 war später in einer Pariser, dann in einer New Yorker Galerie stationiert, ab 1968 in einer amerikanischen Privatsammlung, bis sie um 1980 die Dresdner Bank für einen unbekannten Betrag erwarb.

Interne Rekordwetten

Als sich die Commerzbank 2009 das ehemals drittgrößte Bankinstitut Deutschlands einverleibte, galt dies auch für die über Jahrzehnte angehäufte Kunstsammlung. Im Februar 2010 gelangte die Skulptur bei Sotheby's in London zur Auktion und sollte zwölf bis 18 Millionen Pfund in die Kassen der Commerzbank-Stiftungen spülen. Angesichts des Millionenstaccatos im Sekundentakt war diese Vorgabe schnell Geschichte, und Tobias Meyer grinste unverholen. Aber auch der Chef des Contemporary Departments lag mit der bei internen Wetten deponierten "etwa 40-Millionen"-Prognose falsch. Ein harter Kern von zehn Telefonbietern trieb den Preis innert acht Minuten auf brutto 65 Millionen Pfund (104, 32 Mio. Dollar/ 74,13 Mio. Euro). Damit stieß die noch zu Lebzeiten Giacomettis gegossene Bronze Picasso (So-theby's 2004: Garçon à la pipe, 104,16 Mio Dollar) vom Thron der höchsten Auktionszuschläge jemals. Allerdings nur kurzfristig, denn drei Monate später stand Pablo wieder auf dem Podest (Christie's: Nu au plateau de sculpteur, 106,48 Mio. Dollar).

Und doch warf der dünne Mann aus Bronze einen langen Schatten: Erstmals in der Geschichte des Kunstmarktes lag das zuvor vergleichsweise stiefmütterlich gehandelte Medium Skulptur auf Augenhöhe mit Malerei. Ein Trend, der sich kein halbes Jahr später in Paris spiegelte, als Christie's für Amedeo Modiglianis Tête entgegen der taxierten 4-6 Millionen Euro stolze 43,18 Millionen brutto notierte. Dazu kletterte Giacomettis Marktindex auf ein historisches Hoch und eroberte Christie's noch 2010 vier weitere Platzierungen im Ranking der zehn höchsten Giacometti-Zuschläge.

In Ermangelung relevanter Arbeiten steht die Millionenmaschinerie seither weitgehend still, einzig Sotheby's verzeichnete im Juni 2011 mit Trois hommes qui marchent II (brutto 10,68 Mio. Pfund / 11,95 Mio. Euro) einen Wert in dieser Liga. Mit Spannung erwartet man nun den Auftritt von Annette Venise, eine ebenfalls noch zu Lebzeiten des Künstlers gegossene Büste seiner Ehefrau, die am 7. Februar via Christie's recht bescheiden (1-1,5 Mio. Pfund/1,2-1,7 Mio. Euro) um einen neuen Eigner buhlt. (Olga Kronsteiner, DER STANDARD/ALBUM – Printausgabe, 28./29. Jänner 2012)