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Das Archivbild zeigt einen Langobarden-Helm bei einer Ausstellung in Bonn. Mit DNA-Proben aus Gräberfeldern wird unter anderem die Bildung von Gemeinschaften und Identitäten untersucht.

Foto: APA/EPA/Oliver Berg

Wien - Mit einem fächerübergreifenden Ansatz wollen sich Historiker, Genetiker, Evolutionsbiologen, Anthropologen und Archäologen an die Erforschung ausgewählter Gräberfelder aus dem sechsten Jahrhundert machen. Damit wollen die Forscher erstmals überprüfen, inwieweit sich die genetischen Befunde mit Daten aus historischen Quellen und der archäologischen Einordnung von Fundstücken in den Gräbern decken. Geplant wird die groß angelegte "archäo-genetische" Pilotstudie im Rahmen des internationalen zweitägigen Workshops "Genetic History", der derzeit in Wien stattfindet.

"Das ist wirklich etwas Neues", so Walter Pohl vom Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) im Gespräch. Bisher hätten Historiker und Genetiker erst sehr selten zusammengearbeitet. Das liege auch daran, dass solche Kooperationen erst seit wenigen Jahren interessant seien, da sich die Methoden der Genetik "rasant weiterentwickelt" hätten. Es sei mittlerweile möglich, genetische Codes aus Knochen aus alten Gräbern zu extrahieren und diese "alte DNA" dann zu analysieren.

"Etwas unbekümmert"

Die Archäo-Genetik selbst ist zwar nicht neu, allerdings hätten sich solche Zusammenarbeiten bisher eher auf prähistorische Wanderungen und in diesem Zusammenhang auf die Frage, "wer sind unsere Vorfahren", konzentriert. Pohl beunruhigt, dass dabei oft "etwas unbekümmert vorgegangen" worden sei. Man habe bei diesen Untersuchungen sehr schnell Verbindungen hergestellt, die aus der Sicht des Historikers "so kurzschlüssig nicht hergestellt werden sollten". Man habe nun den Workshop organisiert, um sich darüber auszutauschen, wie man über alle Disziplinen hinweg "methodisch sauber" arbeiten kann, so der Wissenschafter.

Das neue Forschungsprojekt

Im Rahmen der Veranstaltung soll auch ein ambitioniertes Forschungsprojekt auf den Weg gebracht werden, bei dem sich die Forscher vor allem auf das Frühmittelalter, also die Zeit von 400 bis 1000 unserer Zeitrechnung konzentrieren werden. Im Zentrum stehen die Einsatzmöglichkeiten modernster DNA-Analysen für die historische Forschung und damit die Frage: Wie kann die Genforschung erklären helfen, wie sich Gemeinschaften bilden und Identitäten entwickeln? Das bis 2016 laufende Projekt "Scire" ("Social Cohesion, Identity and Religion in Europe (400-1200)"), für das Pohl einen "Advanced Grant" des Europäischen Forschungsrats ERC erhalten hat, ist an der Universität Wien und an der ÖAW angesiedelt.

Die Wissenschafter wollen mit molekularbiologischen Methoden jeweils 40 DNA-Proben aus vier ungarischen und italienischen Gräberfeldern aus dem sechsten Jahrhundert gewinnen. Die Proben sollen aus zwei den Langobarden zugeordneten Feldern und zwei Grabanlagen, die vermutlich von anderen Gruppen angelegt wurden, gewonnen werden. So könnte man einerseits ergründen, ob die Proben aus den "langobardischen" Gräbern tatsächlich genetisch stärker miteinander übereinstimmen und andererseits analysieren, wie genetisch einheitlich die Gräberfelder "in sich" sind. Gleichzeitig biete sich die Möglichkeit, Informationen aus historischen Schriftquellen, die besagen, dass die Langobarden in den Jahren 568/569 vom heutigen Ungarn nach Italien gezogen sind, zu überprüfen. "Wir lassen uns von den Ergebnissen auch gerne überraschen", so der Historiker.

Verändertes Bild der der "Völkerwanderungszeit"

Das Bild der "Völkerwanderungszeit" habe sich in den vergangenen dreißig Jahren stark verändert. Die Sichtweise, dass sich "geschlossene Völker" damals auf den Weg nach Europa gemacht haben und dabei immer "das selbe Volk" geblieben sind, habe sich gewandelt. "Wir sehen, wie Gruppen, die als Völker bezeichnet werden, ihre Zusammensetzung immer wieder ändern." Anhand dieser Periode der Migration könnte man viel darüber lernen, wie solche Prozesse dabei ablaufen. Pohl betonte, dass Völker oder ethnische Gruppen vermutlich mehr "kulturell, als biologisch definiert" seien. Die Zusammenarbeit mit den Genetikern biete eine gute Möglichkeit dieses Bild zu konkretisieren. (APA/red)