Ab wann aus dem vereinzelt vorkommenden Augenzucken eine Tickstörung wird und ab welchem Zeitpunkt von Krankheit die Rede ist, lässt sich nur schwer bestimmen.

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Wenn einem auf der Straße jemand zuzwinkert, hat das nicht zwangsläufig etwas zu bedeuten. Manchmal steckt hinter der vermeintlichen Kontaktaufnahme ein unwillkürlicher Blinzeltick, der für das Gegenüber oft auffälliger ist als für die zwinkernde Person selbst. Was genau diese Augenzuckungen verursacht, ist bis heute nicht restlos geklärt, oft sind aber leichte psychische Anspannungen Auslöser dafür.

Empfindliches Organ

Das Auge gehört zu den empfindlichsten Körperteilen des Menschen und ist deshalb besonders anfällig für Verletzungen, Krankheiten und Reaktionen auf Reize. "Wenn einem etwa ein Windstoß ins Gesicht bläst, der unangenehm ist, zuckt eine Person sofort mit den Augen zusammen, und erst später zieht man eine Grimasse oder wendet sich ab", nennt Johannes Nepp von der Universitätsklinik für Augenheilkunde und Optometrie der MedUni Wien ein Beispiel aus der Praxis. "Die Augen sind das schützenswerteste und empfindlichste Organ unseres Körpers", ergänzt Nepp. Derart empfindlich sind die Augen deshalb, weil sich dort sehr viele Nervenendigungen befinden und daher auch geringe Reize ausreichen, um eine Reaktion auszulösen.

Psychische Anspannung

Warum ein Blinzeltick, also unwillkürliche Muskelzuckungen am Auge entstehen, kann unterschiedliche Ursachen haben – alle kennt man noch immer nicht. Erkrankungen am Auge, eine Überreizung oder ein Fremdkörper im Auge können beispielsweise zu diesen Zuckungen führen. Auch eine neurologische Erkrankung ist unter Umständen als Auslöser für die Kontraktionen denkbar – dann treten diese aber meist zugleich mit anderen Symptomen wie Schmerzzuständen, Sprachstörungen oder sensorischen Störungen auf. Als häufigste Ursache gelten aber psychische Anspannungen, die das Augenlid zucken lassen – wobei es sich hierbei gar nicht um außerordentliche Stresssituationen oder -zeiten handeln muss. "Blinzelticks können aus einer unterbewussten Anspannung heraus entstehen. Dafür reicht es schon, wenn jemand nur ein bisschen mehr als normal angespannt ist", erklärt Nepp. Die Spannungsentladung erfolgt dann in der unwillkürlichen Blinzelbewegung. Diese Muskelzuckungen sind in der Regel nicht von langer Dauer, sondern manifestieren sich als kurzfristige, akute Erscheinungen. Meist verschwinden sie genauso schnell wieder, wie sie aufgetaucht sind. Dauern die Kontraktionen aber längerfristig an oder werden sie stärker, empfiehlt sich der Gang zum Augenfacharzt, der abklärt, ob eine Erkrankung am Auge vorliegt. Bei einem negativen Befund reichen häufig Entspannungsübungen oder gesprächstherapeutische Ansätze aus, um das Zucken wieder loszuwerden.

Ab wann aus dem vereinzelt vorkommenden Augenzucken eine Tickstörung wird und ab welchem Zeitpunkt von Krankheit die Rede ist, lässt sich nur schwer bestimmen. "Die Übergänge sind fließend – von einer kurzfristigen Fehlreaktion in Form eines zuckenden Auges hin zu einer Krankheit, die Betroffene in ihrer Tätigkeit einschränkt und zu einem enormen Leidensdruck führt", erklärt der Mediziner.

Vom Zwinkern zum Lidkrampf

Kommt es an beiden Augen zu einem unkontrollierten und exzessiven Blinzeln und Schließen der Augenlider, ist von einem Blepharospasmus, dem Lidkrampf, die Rede. Zu Beginn der Krankheit fällt das vermehrte Blinzeln auf, das sich mit der Zeit jedoch intensiviert und länger andauert. Die wirksamste Therapie gegen diese Krämpfe stellt das Spritzen von Botulinustoxin (Botox) dar, das die Muskulatur lähmt und die Symptomatik erheblich reduziert. Begleitet wird diese Injektionsbehandlung oft von psychotherapeutischen Methoden und Bewegungstherapien.

Manche Patienten haben über Jahre hinweg immer wieder mit diesen Lidkrämpfen zu kämpfen: Sie können nicht Auto fahren, lesen oder einkaufen gehen, was ihre Lebensqualität enorm beeinträchtigt. "Auslöser des Leidens ist oft ein Schicksalsschlag, nachdem Menschen anfangen, die Augen zu krampfen. Hier ist es ganz offensichtlich, dass die Psyche eine Rolle spielt", so Nepp.

Fehlinterpretation der Mimik

Was Blepharospastikern aber besonders zu schaffen macht, ist die "Sprachstörung in der nonverbalen Kommunikation", wie es der Mediziner nennt. Durch die zusammengekniffenen Augen wirken sie auf andere aggressiv – das Gegenüber reagiert dann oft automatisch mit einem aggressiven Verhalten. Um solche Situationen zu vermeiden, ziehen sich Patienten immer mehr aus dem öffentlichen Leben zurück. Selbsthilfegruppen und ähnliche Veranstaltungen, wo sich Betroffene austauschen können, gewinnen für sie daher enorm an Bedeutung, um einer völligen Isolierung vorzubeugen. (urs, derStandard.at, 1.2.2012)