Kein anderes Fleisch profitiert meiner Meinung nach dermaßen davon, gepökelt zu werden, wie das Huhn. Das Schwein, das sonst gern als der König der Lake genannt wird, hat genug Eigenfett, um auch ungepökelt nicht so schnell auszutrocknen, vom Huhn kann man das nicht behaupten. Bei ihm braucht es Geschick und Einfühlungsvermögen, um es nicht kaputt zu garen. Ohne adäquate Würze fällt es zudem nur allzu leicht auf die fade Seite. Selbst große Könner scheitern mitunter am Huhn: Ich habe einmal ein Bresse-Huhn, von Herrn Westermann höchstpersönlich gegart, gegessen, das ziemlich langweilig geschmeckt hat.

Einige Stunden in Salzlake gelegt, entwickelt das heikle Huhn aber zuverlässig eine Saftigkeit und einen Eigengeschmack, die ich ihm vor meinem ersten Pökelhuhn nie zugetraut hätte. Ob im Ganzen gebraten oder in Einzelteile zerlegt und paniert – Hühner zu pökeln zahlt sich immer aus.

Dabei widerspricht es zuerst dem Hausverstand, dass etwas saftiger wird, wenn man es lang und ordentlich salzt. Wenn ich das als Nicht-Chemiker richtig verstanden habe, verändert Salz jedoch Proteine dahingehend, dass die Zellen in der Lage sind, mehr Flüssigkeit zu speichern. Zudem wird das Huhn beim Nasspökeln durch und durch gleichmäßig gewürzt.

Die Pökellösung sollte zumindest einen Tag vor dem Hühnerbraten vorbereitet werden. Damit die Gewürze ihre Aromen gut abgeben, muss sie kurz aufgekocht werden, das Huhn darf aber erst darin versenkt werden, wenn die Flüssigkeit abgekühlt ist. Wer's eilig hat: die Gewürze nur in der halben Menge Wasser erhitzen und dann kaltes dazugießen.

Foto: Tobias Müller

Was man in seinen Pökeltopf wirft, bleibt bis auf das Salz jedem selbst überlassen. Ich habe mich hier an Thomas Kellers Bouchon-Lake orientiert und für zwei Liter Wasser (reicht für ein Huhn) Folgendes genommen: 120 Gramm Salz, Petersil, Thymian, Rosmarin, einige angedrückte Knoblauchzehen, sechs Lorbeer-Blätter, einen Esslöffel Pfefferkörner, Saft und Schale einer Zitrone sowie zwei Esslöffel Honig (noch nicht im Bild). Die Mischung verleiht dem Huhn bissweise eine zarte Zitronennote, bleibt aber sonst sehr unaufdringlich und stützt lediglich den Eigengeschmack. Das Ganze kurz aufkochen, abkühlen lassen und das Huhn darin versenken.

Damit es auch untergeht, einen Teller oder einen Gefriersack voller Wasser draufstellen. Das Huhn mindestens sechs, höchstens zwölf Stunden pökeln. Anschließend einige Stunden rasten lassen, damit sich das Salz gleichmäßig im Fleisch verteilt und nicht in den äußeren Schichten stärker vertreten ist. Wer das Huhn etwa in der Früh zwischen sieben und acht einlegt und am Nachmittag gegen vier aus der Lake nimmt, kann es um sieben oder acht guten Gewissens in die Röhre schieben. Alternativ kann es auch am Vorabend versenkt, in der Früh geborgen und am Abend gebraten werden.

Foto: Tobias Müller

Vor dem Braten das Huhn gründlich innen und außen mit Küchenpapier trocknen und etwa zwei Stunden im Voraus aus dem Kühlschrank nehmen. Den Bauchraum salzen und pfeffern. Das Huhn verzurren, um es gleichmäßig garen zu lassen, und außen ordentlich salzen. In eine angeheizte Pfanne legen, damit es nicht kleben bleibt. Bei etwa 230 Grad 40 bis 45 Minuten braten.

Foto: Tobias Müller

Weil das Pökeln der Haut Wasser entzieht, kann es sein, dass sie schneller dunkel wird als das Huhn gar. In diesem Fall das Tier mit einem Stück Alufolie lose bedecken und weiterbraten. Nach der Garzeit das Huhn mit seinem Saft übergießen und mindestens 15 Minuten im abgeschalteten, leicht geöffneten Rohr rasten lassen. Ducasses goldene Regel empfiehlt sogar eine Rastzeit, die halb so lang ist wie die Bratzeit. Je nachdem, wie gern man seine Mitesser hat, holt man sie zum Zerlegen in die Küche und teilt die besten Stücke: die Pfaffenschnittchen.

Bis zur Recherche für diesen Eintrag kannte ich sie nur unter ihrem englischen Namen "Oysters". Erst Wikipedia hat mir verraten, was für einen seltsamen Namen der Deutsche für sie hat. Er dürfte daher stammen, dass man früher dem Pfaffen das beste Stück des Bratens überließ. Den schönsten Namen für das Stück hat aber der Franzose: Sot-l'y-laisse, "Ein Narr, wer es liegen lässt".

Wer gern eine Sauce zu seinem Brathuhn hat, wirft am Anfang die Innereien (bis auf die Leber) und den Hals mit in die Pfanne und brät sie mit. Zum Rasten das Huhn aus der Pfanne heben, das Fett abgießen und die karamellisierten Rückstände (sucs) am Pfannenboden mit Hühnerfond oder Wasser ablösen. Etwas frischen Thymian dazu, kurz aufkochen lassen, nach Lust, Laune und gewünschter Konsistenz mit Butter montieren. Fertig.

Foto: Tobias Müller

Eine besondere Erwähnung haben sich diesmal die Beilagen verdient: Michael Bauer, der Gemüsekünstler, hat mir etwas von seinem getriebenen Löwenzahn abgegeben (danke!). Weil wir uns bei seiner Liefertour vorm Vincent getroffen haben und ich mit in die Küche gegangen bin und nach der idealen Behandlung für meine Blätter gefragt habe, hat mir Chef Peter Zinter ein Dressing im Einmachglas zum Mitnehmen gemixt: Walnussöl, weißer Balsam, Verjus und Zucker (nochmals: danke!). Kurz vor dem Essen habe ich die zarten Stiele durch die Marinade gezogen, und ich muss sagen: Herrlich war's, nussig, süß, ganz leicht bitter – fast wie Nougat hat der Salat geschmeckt. Ich könnte mir vorstellen, dass er sich auch sehr gut als Teil eines Desserts macht. So hat er perfekt mit dem zart getrüffelten Erdäpfelpüree harmoniert.

Knusprige Brust, im Hunger etwas lieblos drapiert
Foto: Tobias Müller

Zum Abschluss zwei Bitten. Erstens: Verraten Sie Ihre Hühnerquelle! Mein derzeitiger Favorit ist das Schlierbacher Wildhendl. Mit dem sind sehr gute Ergebnisse zu erzielen, trotzdem bleibt das Gefühl, dass da noch Raum nach oben ist.

Zweitens: Die Chinesen, die wahrlich was vom Geflügel verstehen, schwören angeblich auf frisch Geschlachtetes. Ein Huhn soll noch am Tag seines Ablebens am besten schmecken. Das läuft zwar meiner Pökeltaktik zuwider, probieren würde ich es dennoch gern. Seit einigen Wochen bin ich daher schon auf der Suche nach einer Möglichkeit, in Wien an frisch erlegtes Huhn zu kommen – vergeblich. Wenn wer was weiß: bitte eine Mail schreiben oder posten! (derStandard.at, 26.2.2012)

Nicht ganz so knuspriges Haxerl, dafür liebevoller angerichtet.
Foto: Tobias Müller