Schmerzen verursacht Nierenkrebs in den Anfangsstadien nur selten, daher erfolgt die Diagnose oft zufällig.

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Helga Mramor ist 70 Jahre alt. Vor knapp zehn Jahren hatte sie mit zwei aufeinanderfolgenden Lungenembolien zu kämpfen, die scheinbar aus dem Nichts kamen. Auf der Suche nach der Ursache fanden Mediziner ein Nierenkarzinom. Schmerzen oder andere Beschwerden hatte Mramor in Bezug auf den Tumor selbst keine, und das, obwohl dieser bereits einige Zentimeter groß war.

Seltener Krebs

Die Nieren sind dafür zuständig, das Blut von Abfallstoffen zu reinigen und den Salz- und Wasserhaushalt des Körpers über die Harnausscheidung zu regulieren. Nierenkrebs kommt gegenüber anderen Krebsarten selten vor, Männer sind häufiger betroffen als Frauen. Von den jährlich 38.000 Krebsneuerkrankungen sind rund 1.200 dem Nierenkrebs zuzurechnen, also 3,3 Prozent aller bösartigen Tumore. Je nachdem, welches Gewebe vom Tumor betroffen ist, werden beim Nierenkrebs verschiedene Formen unterschieden. Mit rund 90 Prozent aller Krebs-Diagnosen ist das Nierenzellkarzinom, das von den Zellen des Tubulusepithels ausgeht, die häufigste Form.

Die Entstehungsursachen sind – wie auch bei anderen Krebsarten – nicht eindeutig geklärt. Ein im Laufe des Lebens erworbener Gendefekt begünstigt die Entstehung dieses Tumors. Wodurch dieser Gendefekt wiederum ausgelöst wird, ist nicht bekannt. Zu den Risikofaktoren für eine Erkrankung zählen Rauchen und Übergewicht.

Viele Zufallsbefunde

Im Frühstadium ist der Tumor auf die Niere beschränkt, kann aber, wenn er wächst, die Bindegewebshülle der Niere durchbrechen und nahe gelegenes Gewebe, benachbarte Organe sowie die Lymphknoten befallen. Über die Blutbahnen und Lymphgefäße können die Krebszellen auch in entferntere Organe gelangen und Tochtergeschwülste, also Metastasen, bilden. Diese entstehen beim Nierenzellkarzinom am häufigsten in der Lunge, in den Knochen und Lymphknoten, seltener im Gehirn und in der Leber. "Je aggressiver ein Tumor ist, desto früher wird er metastasieren", sagt Manuela Schmidinger, Leiterin der Spezialambulanz für Nierenkrebs am Wiener AKH.

Schmerzen verursacht Nierenkrebs in den Anfangsstadien nur selten, daher geschieht die Diagnose oft zufällig – etwa im Rahmen einer erweiterten Gesundenuntersuchung, bei der ein Nierenultraschall gemacht wurde, oder wie in Helga Mramors Fall aufgrund anderer Beschwerden. "Wenn Gewebe entartet und ein Tumor entsteht, ist das in der Regel oft sehr lange für den Patienten nicht wahrnehmbar. In der Nierenloge (Bereich, in den die Niere eingebettet ist, Anm.) ist anatomisch gesehen nicht so wenig Platz, wodurch die Patienten die Entstehung eines Tumors nicht spüren", erklärt Schmidinger. Daher kommt die Diagnose für Patienten oft überraschend. Helga Mramor wurde die Nachricht damals zwischen Tür und Angel und im Beisein anderer Personen überbracht. "Was mir ein großes Anliegen wäre: eine einfühlende Mitteilung der Diagnose Krebs. Denn auch wenn man äußerlich robust und gelassen wirkt, bricht in diesem Moment innerlich eine Welt zusammen", so Mramor.

Vorsorgeuntersuchung inklusive Nierenultraschall

Die klassische Trias – Blut im Harn, Flankenschmerzen und tastbarer Tumor – findet sich nur selten. In den meisten Fällen ist es Blut im Harn, das die Patienten beunruhigt und zum Hausarzt führt. Dieser überweist die Patienten an die Urologie, wo eine Durchuntersuchung inklusive Nierenultraschall erfolgt. "Obwohl der Krebs in den vergangenen Jahren bei vielen Patienten bereits in einem früheren Stadium entdeckt wurde, ist das Karzinom bei einem Drittel zum Zeitpunkt der Diagnose bereits so weit fortgeschritten, dass sich Metastasen gebildet haben", sagt Schmidinger. Die Medizinerin plädiert für die Aufnahme des Nierenultraschalls in die Gesundenuntersuchung: "Es ist keine teure Untersuchung und es ist eine für den Patienten unschädliche Untersuchung. Ein Nierentumor kann mittels Ultraschall relativ gut entdeckt werden, und wenn man ihn im Frühstadium diagnostiziert, ist der Patient mit einer Operation geheilt." Ein Anliegen, für das sich auch Helga Mramor mit der von ihr gegründeten Selbsthilfegruppe Nierenkrebs* starkgemacht hat.

Mramors Tumor – ein klarzelliges Nierenzellkarzinom – war zum Zeitpunkt der Diagnose noch nicht metastasiert. Ein gutes Zeichen. Mit einer Operation sollte ihr Tumor entfernt werden, die Niere erhalten bleiben und die Patientin geheilt sein. Doch es kam anders als geplant. Während der Operation wurde ein zweiter Tumor entdeckt, der einen organerhaltenden Eingriff unmöglich machte, die rechte Niere wurde vollständig entfernt. Nach der Operation wurde ihr gesagt, sie habe gute Chancen, die nächsten fünf Jahre zu überleben.

Operation als Therapie der Wahl

Wird bei der Untersuchung ein Tumor lokalisiert und sind keine Metastasen vorhanden, ist die Operation des Nierentumors die Therapie der Wahl. Das Tumorgewebe soll mit dem chirurgischen Eingriff vollständig entfernt und die Krankheit geheilt werden. Je nach Größe muss entweder nur der Tumor entfernt werden, und die Restniere wird belassen (partielle Nephrektomie), oder bei einem größeren Tumor die gesamte Niere entfernt werden. Normalerweise ist nur eine der zwei Nieren befallen, das heißt, die gesunde Niere übernimmt nach der Entfernung der kranken deren Arbeit. Eine organerhaltende Operation ist zwingend notwendig, wenn der Patient nur noch eine Niere besitzt oder die zweite Niere funktionell eingeschränkt ist.

Liegen bereits Metastasen vor, wird zunächst der Tumor chirurgisch entfernt, sofern dieser noch vorhanden ist, und in einem nächsten Schritt die Metastasen medikamentös behandelt. "Eine Bestrahlung wird nur zur Schmerzbehandlung bei Knochenmetastasen angewandt oder wenn Metastasen im Gehirn vorliegen. Aber prinzipiell ist der Tumor in der konventionellen Strahlendosis nicht sehr strahlensensibel", erklärt Schmidinger. Anders verhält es sich mit der sogenannten stereotaktischen Bestrahlung, diese kann mitunter sehr gute Langzeiterfolge liefern.

Weil das Nierenkarzinom selten vorkommt, sei es umso wichtiger, dass die Patienten von Spezialisten auf diesem Gebiet behandelt werden. "Wer sich dauernd mit der Biologie dieses Tumors auseinandersetzt, hat ein ganz anderes Gefühl für die Therapierbarkeit – was man mit welcher Therapie erreichen kann", so die Onkologin.

Prognosen und Lebenserwartung

Die Heilungschancen für an Nierenkrebs erkrankte Menschen hängen stark vom Stadium ab, in dem der Tumor entdeckt wird sowie vom allgemeinen Gesundheitszustand. Solange der Tumor noch auf die Niere begrenzt ist, liegt die Fünf-Jahres-Überlebensrate bei rund 70 Prozent. Bei sehr kleinen Karzinomen sind die Heilungschancen noch höher.

Die mediane Lebenserwartung ab dem Zeitpunkt der Metastasierung liegt bei 26,4 Monaten, damit ist jene Zeit gemeint, innerhalb der die Hälfte der Patienten nach Diagnosestellung noch leben. In Österreich ist diese aber deutlich höher: "Unsere Patienten leben median 35 Monate. Viele Patienten leben aber viele Jahre mit dem Tumor", sagt die Krebsspezialistin. Einerseits, weil die Therapiebreite groß ist, andererseits, weil die Behandlung von den Krankenkassen übernommen wird. Ein Ländervergleich zeige, dass Österreich in Sachen Nierenkrebstherapie sehr gut positioniert sei: "In Großbritannien beispielsweise kann man für die Therapie nur auf zwei Substanzen zurückgreifen. Bei uns sind es sicherlich an die sieben, die wir den Patienten immer wiederkehrend verabreichen können – das schlägt sich unmittelbar auf die Überlebenszeit nieder."

Ein Rückfall nach einer Therapie kann beim Nierenkrebs im Vergleich zu anderen Krebsarten relativ lange stattfinden. Dieses Rezidiv kann an der ursprünglichen Stelle des Krebses, aber auch an einer ganz anderen Stelle des Körpers sein. Beim Nierenzellkarzinom kann es mitunter auch noch viele Jahre nach der Operation zum Auftreten von Metastasen kommen.

Helga Mramors Operation liegt nun bald acht Jahre zurück. Seither ist der Krebs nicht zurückgekommen – eine Angst, die Betroffene begleitet. Seelisch ist die Situation für Krebspatienten sehr belastend, Hochs und Tiefs wechseln einander ab. "Viele, die mich sehen, sagen: 'Du schaust eh gut aus.' Und alleine dieser Satz macht mich wütend. Denn es ist ja ganz logisch, dass man sich zusammenreißt – wenn man mit jemand anderem zu tun hat, man will ja niemandem Angst machen. Ich trage ja kein Schild auf der Stirn, auf dem geschrieben steht: 'Mir geht's heute schlecht, ich habe Krebs.'" (Ursula Schersch, derStandard.at, 8.3.2012)