Franz Eder (31) ist Assistenzprofessor am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist Antiterrorpolitik.

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Frankreichs wahlkämpfender Präsident Nicolas Sarkozy, flankiert vom Pariser Staatsanwalt François Molins, in Toulouse.

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Die Politik Nicolas Sarkozys sei mit schuld an dem Attentat von Toulouse, meint der Terrorexperte Franz Eder. Warum solche Taten trotz Informationen der Geheimdienste nicht verhindert werden können, erklärt er Tobias Müller.

Standard: Der Geheimdienst hat den mutmaßlichen Toulouser Attentäter schon lange beobachtet, ist aber nicht eingeschritten. Wie kann das sein?

Eder: Vielleicht wurde er nur als Randfigur wahrgenommen, oder er wurde einfach nicht als gefährlich eingestuft. Es werden viele Menschen beobachtet, aber man kann ja niemanden verhaften, nur weil er vielleicht etwas tun könnte. Die Vorstellung, dass ein Geheimdienst immer und zu jeder Zeit jeden beobachten kann, erzeugt eigentlich Angst und Schrecken. Ich bin froh, dass den Diensten Fehler unterlaufen. Man muss in einer Gesellschaft, die Menschenrechte achtet, einfach akzeptieren, dass es zu Anschlägen kommen kann. Das ist der Preis, den wir für die Freiheit zahlen. Außer wir sagen, wir verzichten darauf und nehmen stattdessen mehr Sicherheit – obwohl diese Sicherheit eine trügerische ist, weil Terroristen früher oder später immer Wege finden, um sich der Beobachtung zu entziehen. Wir erleben das seit der Internetüberwachung: Je stärker das Internet überwacht wird, desto weniger benutzen Terroristen es. Was bleibt, ist nicht mehr Sicherheit, sondern eine Einschränkung der Bürgerrechte.

Standard: Auch über Anders Breivik hatten die Geheimdienste Informationen, genauso wie über die Neonazis der NSU. Es scheint, als ob solche Beobachtungen oft gar nichts bringen.

Eder: Wenn wir uns den 11. September anschauen: Es lagen alle nötigen Informationen vor, um diese Anschlag zu verhindern. Das Problem war, die Information zu verstehen und zu kombinieren. Mittlerweile haben die Geheimdienste noch mehr Informationen, die Frage ist nur: Können sie damit umgehen?

Standard: Was könnte helfen?

Eder: Eine bessere Vernetzung. In Deutschland wird nun versucht, den Verfassungsschutz auf Länderebene mit dem auf Bundesebene zu verbinden. Das gab es bisher aus historischen Gründen, wegen des Dritten Reichs, nicht. Es kann aber nicht sein, dass zwei Bundesländer sich ihre Informationen nicht zukommen lassen, weil sie Angst haben, dass das andere Land einen politischen Erfolg einfahren könnte. Diese Nichtkooperation ist auch ein Problem innerhalb Europas. Die Staaten sind nur sehr schwer zu überzeugen, ihre Souveränität aufzugeben und zu kooperieren.

Standard: Der Täter bezeichnet sich als Mitglied Al-Kaidas. Inwieweit ist die Gruppe in Frankreich verankert?

Eder: Man muss mit der Zuschreibung Al-Kaida sehr vorsichtig sein. Der Täter ist ein junger Franzose algerischer Abstammung, und Frankreich hat als Kolonialmacht seit Jahrzehnten Probleme mit hausgemachtem radikalem Islamismus aus Nordafrika. Auch, wenn der Attentäter ein oder zwei Mal in Afghanistan und Pakistan war: Man darf sich das nicht so vorstellen, dass es dort eine straff organisierte Gruppe gibt. Viele Leute fahren auf gut Glück nach Pakistan und treffen dort andere, die vielleicht zu Al-Kaida gehören, vielleicht auch nicht – gemeinsam haben sie nur, dass sie radikal sind und bereit, Anschläge durchzuführen. Ich würde nicht so weit gehen und sagen: Al-Kaida hat Zellen in Frankreich oder Europa, die sie einfach so aktivieren kann. Das ist die Aktion eines Sympathisanten oder eines selbsternannten Mitglieds, der für sich beschlossen hat, tätig zu werden.

Standard: Was hat antifranzösischer Islamismus aus Nordafrika mit Gotteskriegern in Pakistan zu tun?

Eder: Im globalen Terrorismus geht es nicht darum, ob jemand aus Pakistan oder Nordafrika kommt. Diese Personen fühlen sich als Teil einer Gemeinschaft, die nicht ortsbezogen ist.

Standard: Inwieweit hat Tagespolitik Einfluss auf solche Menschen und ihre Handlungen?

Eder: Sie hat großen Einfluss. Wenn Sarkozy ein Klima erzeugt, das sich gegen Minderheiten und Andersdenkende richtet und mit rechten Parolen versucht, Marine Le Pen Stimmen wegzunehmen, spüren das diese Personen. Das kann der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Standard: Ein Wahlkampf kann also eine solche Tat auslösen?

Eder: Auf alle Fälle. Ich würde auch der Politik Sarkozys Mitschuld geben. Es ist ihm nicht gelungen – genauso wenig wie den Sozialisten vor ihm – die Situation dieser jungen Menschen mit Migrationshintergrund massiv zu verbessern. (Tobias Müller, DER STANDARD, 22.3.2012)