Erbrechen Kleinkinder, Gebrechliche, Betagte oder Patienten mit Begleiterkrankungen intensiv und über mehrere Stunden, soll immer ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden.

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Man erbricht seit Stunden, kennt die Ursache (noch) nicht, der Magen ist leer, man selbst geschwächt, und dennoch hört der Brechreiz nicht auf. Soll man den Notarzt rufen, oder ist das übertrieben? Soll man Flüssigkeit zuführen oder einen Tag lang nichts zu sich nehmen?

Mechanistisch betrachtet handelt es sich beim Erbrechen um eine Umkehrung der normalen wellenförmig fortschreitenden Weiterbeförderung des Speisebreis. "Grundsätzlich stellt das Erbrechen einen Schutzmechanismus des Organismus dar, um den Gastrointestinaltrakt von schädlichem Inhalt zu befreien. In der Regel geht ihm eine Phase mit Übelkeit voraus", erklärt der Gastroenterologe Wolfgang Vogel von der Universitätsklinik für Innere Medizin II in Innsbruck.

Nahrungsmittelvergiftung häufigste Ursache für ständiges Erbrechen

Ausgelöst und koordiniert wird der Vorgang des Erbrechens durch das Brechzentrum in der Medulla oblongata im hintersten Gehirnteil. Diese gehört zum Hirnstamm und damit zum Zentralnervensystem. "Somit ist es verständlich, dass auch Erkrankungen im zentralen Nervensystem, aber etwa auch eine Hirnschwellung bei einer Kopfverletzung Erbrechen auslösen können", erklärt Vogel.

Die Ursachen des Erbrechens sind mannigfaltig: Medikamente und Giftstoffe, Erkrankungen des Zentralnervensystems, Migräne oder Störungen des Gleichgewichtsorgans können bei einem gesunden Magen-Darm-Trakt die Auslöser sein. Die häufigsten Erkrankungen im Magen-Darm-Trakt sind allerdings Nahrungsmittelvergiftungen.

Hier kann innerhalb weniger Stunden nach der Mahlzeit das Erbrechen durch die Aufnahme bakterieller Toxine ausgelöst werden. Oft dauert es auch einen bis mehrere Tage, bis sich die mit der Nahrung aufgenommenen Bakterien oder Viren vermehrt haben und ihre Wirkung entfalten. Sie setzen Mediatorstoffe im Darm frei, die dann zentral gesteuert zum Erbrechen führen. Bei diesem Vorgang spielt das autonome Nervensystem, das auch durch starke Koliken bei Gallen- oder Nierensteinleiden direkt aktiviert werden kann, eine wesentliche Rolle.

Keine direkten Auswirkungen auf Nachbarorgane

Fast immer geht Erbrechen mit einem schwer zu ertragenden "ätzenden" Geschmack in Mund und Hals einher. "Das chemische Profil des Erbrochenen hängt von der Ursache ab. Liegt diese rein im Magen, was eher selten der Fall ist, so hat das Erbrochene einen von der Magensäure bestimmten, dominant sauren Beigeschmack", erklärt Vogel. Häufiger liegt die Ursache allerdings tiefer oder betrifft gar den gesamten Magen-Dünndarm-Abschnitt. "Dann ist das Erbrochene durch einen alkalischen beziehungsweise galligen Beigeschmack charakterisiert", so Vogel.

"Auch wenn die Speiseröhre brennen mag, hat das Erbrechen in der Regel keine direkten Auswirkungen auf die Nachbarorgane des Magens", erklärt der Experte. Bei einer massiven mechanischen Überlastung der Speiseröhre können zwar Risse entstehen, doch das sei sehr selten der Fall.

Eine eher harmlose, durch den Mageninhalt verursachte Speiseröhrenentzündung wird nur bei sehr lange bestehendem Erbrechen beobachtet. Bei bewusstseinsgetrübten Patienten oder Patienten mit Schluckstörungen kann es zu einer Aspiration des Erbrochenen in die Lungen mit der Folge einer Lungenentzündung kommen.

Durchhalten oder den Notarzt rufen?

Soll man nun bei länger andauerndem Brechreiz den Notarzt rufen oder zu Hause bleiben und durchhalten? "Die medizinische Wertung des Symptoms Erbrechen steht naturgemäß in direkter Beziehung zur Ursache", weiß Wolfgang Vogel. "In der Regel wiegt die subjektive Beeinträchtigung des Befindens aber deutlich schwerer als die medizinische Problematik. Die häufigsten Ursachen sind von kurzer, selbstlimitierter Dauer und mit symptomatischen Maßnahmen beziehungsweise Medikamenten gegen die Übelkeit behandelbar."

Zu bedenken sei, dass mit dem Erbrechen vor allem Flüssigkeit und Blutsalze – in erster Linie Natrium, Kalium und Chlorid – verloren gehen, warnt Vogel und empfiehlt, diese durch die orale Zufuhr von gezuckertem Wasser oder milden Tees zu ersetzen, die man auch leicht salzen kann. "Konventionelles glukosehältiges (!) Cola mit Soletti ist hier sicherlich auch eine mögliche Alternative", meint der Gastroenterologe angesichts der unendlichen Diskussion um Kamillentee und Zwieback versus Cola und Soletti.

Darüber hinaus verweist er auf spezielle Elektrolytlösungen zum Trinken, die standardisiert von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen werden und in den Apotheken erhältlich sind. Die Besserung geht in der Regel mit einer Zunahme des Appetits einher, und die Aufnahme von Suppen oder wenig fetthaltiger, leicht verdaulicher Nahrung ("Hausrezepte") wird in langsam zunehmenden Portionen wieder möglich.

Indikationen für ärztliche Hilfe

"Bei Jugendlichen und Erwachsenen, die keine zusätzliche Erkrankung haben, lässt sich durch alleinige vorsichtige orale Aufnahme oben genannter Getränke das drohende Flüssigkeitsdefizit problemlos ausgleichen", meint Wolfgang Vogel.

Wenn sich das Erbrechen über mehrere Tage hinzieht, empfiehlt Vogel, immer ärztliche Hilfe zu suchen, um eine Substitution des Flüssigkeitsdefizits durch Infusionen zu ermöglichen. Ebenso, wenn Kleinkinder, Gebrechliche, Betagte oder Patienten mit Begleiterkrankungen intensiv und über mehrere Stunden erbrechen. (Eva Tinsobin, derStandard.at, 2.5.2012)