Ulrike Ottinger zeigt Anderssein in ihren Filmen nicht als Makel, sondern als Besonderheit.

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Charles and Ray Eames, Clown Face, 1971.

Foto: Charles and Ray Eames, Clown Face, 1971 © Eames Office, Courtesy Eames Office

Wien - Ein Antlitz, das ganz zum Auge wird, in dem sich alles auf das Sehen konzentriert. Ein Blick, in dem alles zu liegen scheint, was den Zirkus ausmacht: die große Zeltkuppel, weit wie der Himmel, die wirbelnden, die Gesetze der Schwerkraft verhöhnenden Artisten, gezähmte Bestien und die von einem Missgeschick ins nächste stolpernden Clowns.

Oder eben ein Seiltänzer, der sich in Fellinis Filmklassiker "La Strada" hoch über dem Marktplatz zu einem schwindelerregenden Nachtmahl niederlässt: Es ist Giulietta Masina als Gelsomina, deren Gesicht mit den weit aufgerissenen Kulleraugen zur Ikone des zirzensischen Staunens wird. Und in ihre Fähigkeit zum Wundern, sich von der Grazie des Akrobaten verzaubern zu lassen, hat Fellini auch ein anderes Motiv gepackt: jenes vom Traum einer besseren Welt, weg vom erdgebundenen Kraftmenschen Zampanò, hin zum Luftwesen Matto.

In "Parallelwelt Zirkus", der letzten Manege Gerald Matts in der Kunsthalle (Kokuratorin: Verena Konrad), ist es nur diese kurze Filmsequenz, in welcher der Spektator Thema wird. Aber genau diese stille Komplizenschaft zwischen Akteur und wunderwilligen Zuschauer macht doch die Essenz des Zirkus aus. Ein Zauber, dem man im Film über Calders Miniaturtheater allzu gern erliegt.

So sind die Rollen im Spektakel klar verteilt: Der Verbund der Kunstwerke bildet den Zirkus ab, die Besucher geben das Publikum und tun das, was sie am besten können: applaudieren, da und dort "Ahs" und "Ohs" fallen und sich manchmal sogar zum Lachen hinreißen lassen. Etwa wenn die Höher-schneller-weiter-Mentalität auf die Tierdressur übergreift und der Elefant auf dem Rüssel balanciert. 2008 im Pariser Palais de Tokyo war es ein einfacher Rüsselstand; nun in Wien vollführt Daniel Firmans Plastikdickhäuter das Kunststück an der Seitenwand - waagrecht schwebend.

So richtige Zirkusstimmung kommt allerdings auch unter Jeppe Heins Lichterzelt nicht auf: Rosige Wangen der Erregung hat vielmehr derjenige, der für das Aufspannen der Lampenketten zur Kuppel - versteckt hinter einer Wand - in die Pedale getreten hat.

Entzauberter Zirkus

Es ist so, als ob hier eher die Entzauberung des Zirkus stattfände. Der Schmäh der Kameraperspektive macht in William Wegmans herrlich komischem Video "Dog Duet" aus ganz normalen Hunden Dressurwunder: Wie hypnotisiert vollführen sie einen synchronen Kopftanz. Im Grunde folgen sie nur ihrer Natur und ihre Blicke einem dem Betrachter verborgenen Ball. Es ist eher der Mensch, der sich bei den Versuchen, Tiere zu konditionieren, lächerlich macht: In Nives Widauers Film springt ein Lipizzaner grazil in die Höhe, weniger elegant legt sich dabei sein Bereiter in die Hobelspäne.

In der Kunsthallen-Arena ist auch Deborah Sengls Kreuzung aus Löwe und Zebra nur Staffage - ein Stellvertreter für die vielen Kreaturen, Freaks und Launen der Natur, die man in sogenannten Sideshows anpries. Jedoch bei der Verschmelzung aus Raub- und Beutetier hatte die Künstlerin sicher kein Zirkusthema im Sinn. Auch die romantische Figur des schlafenden Clowns (Ugo Rondinone) ist hier eher zur Stolperfalle verdammt. Schade.

Man will den Zirkus als exotische Gegenwelt zeigen, der mit revolutionärem Habitus genau jene Regeln, Gesetze und Konventionen außer Kraft setzt, die die Zwänge des Alltags bestimmen. Statt aber Zirkus als "metakulturellen Code" (Paul Boissac) zu verhandeln, fügt man Arbeiten zusammen, deren äußere Erscheinung zum Zirkus passt. Ein Abstrahieren vom sichtbaren Spektakel hätte hingegen gutgetan: Aber dass die Kunstwelt sich inzwischen in eine Eventstruktur voller Glamour und Zirkus verwandelt hat, dafür trug der nunmehrige Exdompteur der Kunsthalle jahrelang selbst Sorge. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 9.5.2012)