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Rami Abdulrahman: Ein Mann und seine Beobachtungsstelle.

Foto: REUTERS/Mohammed Abbas

Nachrichten aus Syrien sind Mangelware. Zwar lässt sich kaum ein Bericht über die Zahl der Toten und Verletzten zu hundert Prozent verifizieren. Trotzdem gieren Medien nach Informationen aus dem Land, in dem seit mehr als einem Jahr ein Aufstand gegen das Regime von Präsident Bashar al-Assad tobt.

Eine der am häufigsten zitierten Quellen ist das Syrian Observatory for Human Rights (SOHR) mit Sitz in London. Dessen Berichte über die Vorgänge im Land werden von zahlreichen Nachrichtenagenturen, großen Medienhäusern wie CNN, Al-Jazeera und BBC gern übernommen und prägen damit das mediale Bild des Aufstandes. Auch derStandard.at gibt durch die Übernahme von Berichten der Nachrichtenagenturen die Angaben von SOHR weiter.

Ein Mann und seine Beobachtungsstelle

Die Beobachtungsstelle ist aber keine Nichtregierungsorganisation oder Oppositionsgruppe mit zahlreichen Mitarbeitern, sondern ein Ein-Mann-Betrieb. Gegründet wurde SOHR im Mai 2006 von Rami Abdulrahman. Der 1970 geborene Syrer kam aus Baniyas im Jahr 2000 nach Großbritannien. Sein Geld verdient er mit einem kleinen Geschäft in Coventry. Seit Ende vergangenen Jahres unterstützt ihn Hivin Kako, die Syrien erst 2011 verlassen hat. Kako studiert und arbeitet in Oxford. Die Arbeit für SOHR erledigt sie in ihrer Freizeit. Sie übernimmt die Beantwortung von Presseanfragen und ist für die englische Übersetzung der SOHR-Berichte auf der Facebook-Seite verantwortlich.

Wer ist die "richtige" Beobachtungsstelle

So weit, so simpel. Wäre da nicht noch eine zweite Website, die für sich ebenfalls in Anspruch nimmt, das Syrian Observatory for Human Rights zu sein. Wer bei Google nach Syrian Observatory for Human Rights sucht, bekommt als obersten Treffer syriahr.org geliefert. Das ist allerdings nicht die Website von Rami Abdulrahman. Diese ist unter syriahr.com zu erreichen und erscheint bei der Google-Suche als zweiter Treffer. Wer syriahr.net ansteuert, wird ebenfalls auf syriahr.com umgeleitet.

Beide Webseiten behaupten, der wahre Internetauftritt des SOHR zu sein. Auf syriahr.org findet sich auch ein offener Brief an Rami Abdulrahman, der am 17. Jänner dieses Jahres veröffentlicht wurde. Der erste Satz: "Wir möchten uns für die Verwirrung rund um das SOHR entschuldigen und die Möglichkeit wahrnehmen, einige Hintergrundinformationen zu Ihrem Vorteil weiterzugeben. Zuallererst, es gibt keine Person namens Rami Abdul Rahman." Der Name sei nur ein Pseudonym gewesen, unter dem alle Mitarbeiter von syriahr.com ihre Beiträge verfasst hätten. Der wahre Name des Mannes aus Coventry sei Osama Suleiman. Dieser habe die Website des SOHR praktisch gekapert, alle Passwörter geändert und sich so SOHR unter den Nagel gerissen.

Satellitenschüssel und gebrochenes Englisch

Dann folgen einige Anschuldigungen: Suleiman würde hauptberuflich Satellitenschüsseln installieren, sein Englisch sei schlecht und er habe in Syrien nur auf einem bescheidenen Niveau eine Schulausbildung genossen. Außerdem wird Suleiman eine Nähe zum Assad-Regime unterstellt. Er kenne Rifaat al-Assad, den Onkel von Bashar al-Assad. Auch seine Informationen seien nicht vollständig. Wer also an korrekten Berichten aus Syrien interessiert sei, solle sich in Zukunft auf syriahr.org verlassen.

Suleiman verwahrt sich gegen diese Anschuldigungen. Er gibt allerdings zu, dass Rami Abdulrahman lediglich ein Pseudonym sei, das er sich als langjähriger Aktivist gegen das Assad-Regime als Nom de Guerre zugelegt habe. Das sei unter Politikern üblich.

Mehr als 200 Informanten

Seine Quellen aus Syrien seien zuverlässig, sagt Suleiman. Laut Hivin Kiko sind es mehr als 200 Personen aus dem ganzen Land, die das SOHR mit Informationen versorgen. Darunter Ärzte, Journalisten, Anwälte und Studenten. Die Informanten würden einander aus Sicherheitsgründen nicht kennen. Die Information erreicht SOHA demnach hauptsächlich via Skype und Telefon, aber auch E-Mails und Facebook würden genutzt, um Nachrichten zu hinterlassen. Ein Bericht werde dann veröffentlicht, wenn drei Quellen unabhängig voneinander die Information bestätigten. Wenn es nur eine Quelle gibt, werde nicht berichtet.

Babys und der Krieg

Ins Kreuzfeuer der Kritik kam die Beobachtungsstelle im Herbst vergangenen Jahres, als zahlreiche Medien, darunter CNN, berichteten, dass in der Stadt Hama Babys in Brutkästen gestorben seien, weil das Regime die Stromversorgung des Krankenhauses unterbrochen habe. Eine Falschmeldung. Ali Abunimah recherchiert in seinem Blog, wie aus einer Twitter-Nachricht eine CNN-Meldung wurde, die auf einem Bericht von SOHR beruhte. Die Beobachtungsstelle sagt, sie habe lediglich über die Unterbrechung der Stromversorgung geschrieben. Weil auch Diesel gefehlt habe, hätten die Brutkästen nicht weiter betrieben werden können. Die Kinder sind gestorben. "Wir haben nicht gesagt, dass das absichtlich geschehen sei", sagte Hivin Kiko gegenüber der Tageszeitung "al-Akhbar".

Über syriahr.org verliert Kiko nur wenige Worte. Die Website sei von einer anderen Oppositionsgruppe gegründet worden, um sie von ihrer Aufgabe abzulenken. In den eigenen Berichten würde syriah.com Wert auf Ausgewogenheit legen. Sie wolle in dem Konflikt nicht Stellung beziehen, sondern es gehe um "Menschenrechte, Demokratie, Gerechtigkeit und Freiheit", wie sie in einem E-Mail an derStandard.at betont. Menschenrechtsverletzungen - egal von welcher Seite - müssten berichtet werden. Suleiman selbst stand für ein Gespräch nicht zu Verfügung.

Kontinuierliche Arbeit

Der letzte Eintrag von syriahr.org stammt vom 27. Februar dieses Jahres und berichtet in wenigen Stichworten von Zusammenstößen zwischen der syrischen Armee und Regimegegnern. Laut whois.net ist syriahr.org auf Muhammad al-Haddat registriert. "Al-Akhbar" nennt in dem Artikel "The Syrian Observatory: The Inside Story" allerdings einen anderen Namen als Verantwortlichen hinter syriahr.org: Moussab Azzawi. Die auf der Website unter "Kontakt" angegebenen E-Mail-Adressen sind nicht mehr aktiv.

Syriahr.com arbeitet im Vergleich dazu kontinuierlich. Die Website ist auf Arabisch, der Link "English" führt zum englischen Facebook-Auftritt der SOHR, der Ende Oktober vergangenen Jahres eingerichtet wurde. Der aktuellste Eintrag - dieser Text wurde am Montagmittag geschrieben - war vier Stunden alt und berichtet vom Tod eines Armeeoffiziers in der Provinz Idlib. Der Offizier sei für den Tod mehrerer Zivilisten verantwortlich gewesen.

Streit um Militärintervention

Als eigentlichen Hintergrund des Streits nennt "al-Akhbar" unterschiedliche Positionen innerhalb der syrischen Oppositionsgruppen. Azzawi mit syriahr.org würde demnach eher dem Syrian National Council (SNC) nahestehen. Der SNC spricht sich offen für eine militärische Intervention in Syrien aus. Die zweite Oppositionsgruppe, der National Coordination Body for Democratic Change in Syria (NCB), spricht sich im Gegensatz dazu gegen eine Militarisierung des Konflikts aus und lehnt eine ausländische Intervention ab.

Suleiman hat sich im November des Vorjahres mit einem Vertreter des NCB getroffen. Danach habe die Schmutzkübelkampagne gegen ihn begonnen. Er selbst hat wiederholt betont, dass er eine militärische Intervention in Syrien ablehnt. Was aber nicht bedeutet, dass er Mitglied des NCB ist. Die Beobachtungsstelle sei unabhängig und würde keiner politischen Organisation nahestehen. (Michaela Kampl, derStandard.at, 15.5.2012)