St. Gallen, am 27. Mai 2012: Freundschaftsspiel zwischen Spanien und Serbien. Vor dem Spiel ertönen die Nationalhymnen. Während die Spanier ihrer ungeliebten textlosen Hymne schweigend lauschen, singen alle Serben die ihre – alle bis auf den 20-jährigen Adem Ljajic. Dieser verweigert aus "persönlichen Gründen" den Gesang, was zum Ausschluss aus der Nationalmannschaft führte (derStandard.at berichtete).

Neuer Verhaltenskodex

Als Siniša Mihajlovic am 21. Mai 2012 das Traineramt übernahm, herrschte darüber Uneinigkeit in der interessierten Bevölkerung. Eines war jedoch – egal ob pro oder kontra – stets klar: Die undankbare Aufgabe, einen kleinen Generationenwechsel durchzuführen, übernimmt einer der größten serbischen Fußballer aller Zeiten.

Diesen Bonus, den seinerzeit auch der glücklose Dejan Savicevic hatte, musste man ihm, dem Linksfuß der serbischen Nation, zugestehen. Als eine seiner ersten Maßnahmen ließ der neue Trainer alle Spieler einen Verhaltenskodex unterzeichnen, darunter auch die Verpflichtung, die jetzt weltweit für Beachtung sorgt: Die Spieler müssen vor dem Spiel die serbische Hymne singen. "Gott der Gerechtigkeit" heißt sie, wurde ursprünglich für das Königreich Serbien verfasst und nach der Trennung von Montenegro 2006 in Serbien wiedereingeführt – nicht ohne die eine oder andere Passage an die republikanische Staatsform anzupassen. Darin besungen wird (der orthodoxe) Gott und die (orthodoxen) Serben.

Regeln ohne Sinn?

Ljajic wäre nicht der erste Spieler, der aufgrund eines Verstoßes gegen einen internen Kodex aus einem Team fliegt. Mihajlovic selbst hat im damaligen Jugoslawien unter Trainern gespielt, die unrasierten und schlecht angezogenen Spielern nicht erlaubten, zu Auswärtsspielen mitzufahren.

Heute wie damals sagen dazu die meisten "Regeln sind nun mal Regeln", ohne großartig über deren Sinn oder Unsinn nachzudenken. Das hielt den gefürchteten Freistoßschützen dennoch nicht davon ab, in seiner aktiven Zeit Gegenspieler von Zeit zu Zeit zu bespucken sowie nationalistisch und rassistisch zu beschimpfen.

Wozu darf ein Trainer seine Spieler zwingen?

Die Frage jedoch, die diesmal im Raum steht, ist nicht diejenige, ob man für Ljajic nicht ein Auge zudrücken könnte. Vielmehr muss man sich fragen: Darf ein Trainer seine Spieler zum Singen der Hymne zwingen? Für den Serbischen Fußballverband ist die Sache klar, man habe Mihajlovic freie Hand gegeben, was die personellen Entscheidungen innerhalb der Nationalmannschaft anbelangt. Darunter fallen offenbar auch die Konsequenzen für mangelnden Patriotismus.

Wären jugoslawische Nationaltrainer im "Restjugoslawien" der 1990er- und 2000er-Jahre überzeugte Jugoslawen gewesen (was im damaligen Nationalismus nicht möglich war) und hätten sie ihre Spieler verpflichtet, die damalige Hymne zu singen, der Aufschrei der serbischen Öffentlichkeit (soweit in den 1990ern überhaupt vorhanden) wäre ohrenbetäubend gewesen. Hätte man zum Beispiel Arnautovic während der Diskussion über seine Gefühle gegenüber Österreich gezwungen, die Hymne zu singen, ebenso.

Doppelmoral

Geht es jedoch um einen jungen Muslim, der der bosniakischen Minderheit im Sandzak angehört und sich auch weiterhin aus, wie er angibt, persönlichen Gründen weigert, die serbische Hymne zu singen, scheint sich die serbische (Internet-)Öffentlichkeit einig zu sein: Wer nicht singt, liebt sein Land nicht genug und hat keinen Platz im Team.

Die Flagge, das Wappen und die Hymne, die Symbole des Landes, so Mihajlovics Befürworter, zu lieben heißt auch, diejenigen zu ehren, die dafür ihr Leben ließen. Wie so oft wird dabei teils bewusst, teils unbewusst die Geschichte Serbiens im 20. Jahrhundert aus- und eine Doppelmoral eingeblendet. Das Besingen eines (ausschließlich orthodoxen) Volkes, dessen Helden gegen die Osmanen kämpften, ist die Pflicht des Staatsbürgers, wie es – so scheint es – seine Pflicht war, die (jugoslawischen) Helden der alten Hymne auszupfeifen.

Ein gesanglicher Boykott aller Spieler wäre als solidarische Geste schön zu sehen – man darf noch träumen. Der nationale Mihajlovic müsste dann gemeinsam mit den Verbandsfunktionären selbst das Dress überziehen. (Leserkommentar, Zarko Jankovic, derStandard.at, 1.6.2012)