Alan Turing - hier eine Schieferskulptur im britischen Bletchley Park Museum - widmete sich in einer späten Arbeit der Morphogenesis von farbigen Mustern auf dem Tierfell.

Foto: Jon Callas

In Rudyard Kiplings Geschichte Wie der Leopard zu seinen Flecken kam war die Raubkatze ursprünglich sandfarben und erhielt ihr Muster, indem ein Mensch sie ihr aufmalte. Tatsächlich beschäftigt Biologen die Frage, wie Tiere zu ihren Fellmustern kommen, bis heute. Das mathematische Modell, das Alan Turing in seinem 1952 veröffentlichten Artikel The Chemical Basis of Morphogenesis beschrieb, ist Grundlage zahlreicher Arbeiten zu diesem Thema.

Turings Modell geht davon aus, dass es in einem System - im einfachsten Fall einer Petrischale - zwei Chemikalien X und Y gibt, die miteinander interagieren. Der Stoff X ist ein Aktivator, der sowohl seine eigene Entstehung katalysieren kann als auch die Entstehung von Y. Die Chemikalie Y hingegen ist ein sogenannter Inhibitor, der die Bildung von X und Y unterdrückt. Wichtig ist dabei, dass Y sich in dem System schneller ausbreitet als X.

Aus dem Gleichgewicht

Solange die beiden Chemikalien im Gleichgewicht sind, tut sich gar nichts. Werden jedoch an einer Stelle der Petrischale ein paar X-Moleküle mehr erzeugt, passiert Folgendes: X vermehrt sich an dieser Stelle, gleichzeitig aber auch Y. Da sich Y rascher verteilt, haben wir etwas später nach wie vor einen lokalen Gipfel von X, während Y sich kreisförmig darum herum ausbreitet. Da Y seine eigene Bildung ebenso unterdrückt wie die von X, hört der Effekt in einer bestimmten Entfernung vom X-Gipfel auf und verhindert in diesem Bereich auch die Entstehung anderer X-Peaks. Erst im Abstand kann sich der Vorgang wiederholen.

Was hat das nun mit Leoparden-Flecken und Zebra-Streifen zu tun? Ob ein Haar dunkel oder hell aussieht, beruht auf der Aktivität von speziellen Zellen in der Haut, den Melanocyten. Je nach Vorhandensein oder Fehlen bestimmter chemischer Stoffe erzeugen diese Zellen Farbstoffe (oder auch nicht) und bewirken damit unterschiedliche Fellzeichnungen. Turing schlug ein zugrunde liegendes "Prä-Muster" vor, das auf der Konzentration verschiedener Chemikalien beruht, die er Morphogene nannte, und das von den Melanocyten "ausgelesen" wird.

Dabei würde der Aktivator X bewirken, dass die Melanocyten Schwarz erzeugen, und der Inhibitor Y, dass sie kein Pigment produzieren. Die daraus resultierenden Fellzeichnungen dürften auch von den räumlichen Verhältnissen während der Entwicklung des Embryos bestimmt werden. Wie mathematische Modellierungen gezeigt haben, kann auch der Platz, den X und Y für ihre Interaktionen haben, darüber entscheiden, welches Muster entsteht: Auf sich verjüngenden Zylindern etwa bilden sich im Modell nur dann Flecken aus, wenn die zur Verfügung stehende Fläche groß genug ist - sonst wird der Zylinder nur gestreift.

Parallelen in der Natur

Ganz Ähnliches finden wir in der Natur: Ein erwachsener Leopard hat einen langen und fast bis zur Spitze gefleckten Schwanz, aber als Embryo hat er einen kurzen Schwanz, der nicht weit über den restlichen Körper hinausragt und daher in dessen Musterbildung einbezogen werden kann. Die ebenfalls zu den Schleichkatzen gehörende Ginsterkatze hingegen hat schon im Mutterleib einen langen, sehr dünnen Schwanz, der im Erwachsenenalter durchgehend geringelt ist. Auch die dünnen Beine verschiedener Huftiere sind nie gefleckt, sondern geringelt.

Der britisch-amerikanische Mathematiker James D. Murray verglich die räumliche Komponente bei der Entstehung von Mustern mit dem Verhalten von Trommeln: Zu kleine Oberflächen können keine Schwingungen aufrechterhalten, erst mit zunehmender Größe werden kompliziertere Vibrationsmuster möglich.

"Musterbildung ist seit mehr als hundert Jahren ein universelles Problem" , sagt Sergio Rinaldi, Professor für Systemtheorie am Politecnico di Milano in Mailand und Wissenschafter am International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) in Laxenburg, der sich seit langem mit dem Thema befasst. "Der Beitrag von Turing zu diesem Thema war sehr klein, aber sehr wichtig. Tausende wissenschaftliche Artikel beruhen darauf." Rinaldi selbst untersucht unter anderem Muster bei der Ausbreitung von Krankheiten, wie dem Denguefieber. (Susanne Strnadl, DER STANDARD, 20.6.2012)