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Sicher nicht der einzige Kiltträger, der gern über die Unabhängigkeit Schottlands abstimmen will, vielleicht aber auch nur einer von vielen, die derzeit noch gar nicht sagen könnten, was im Fall eines tatsächlichen Pro-Votums an sozialen und ökonomischen Folgen auf sie zukommt.

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Melanie Sully über direkte Demokratie auf Britisch.

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Großbritannien stand Referenden über einen langen Zeitraum suspekt gegenüber. Diese wurden als typisch kontinental-europäisches Phänomen angesehen und zugleich mit den Schwächen der Weimarer Republik und, noch schlimmer, Frankreichs assoziiert. Die französische Verfassung drückt den Grundsatz der Volkssouveränität aus, welche durch Repräsentanten und in der Form des Referendums vermittelt wird.

Sowohl in Österreich als auch in Großbritannien wurden seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nur jeweils zwei Referenden abgehalten: Die Briten stimmten in den 1970er-Jahren über die EU (damals EWG) und vergangenes Jahr über ihr Wahlsystem ab. In beiden Ländern gibt es Bestrebungen, Elemente der direkten Demokratie auszubauen, um Vertrauen in das und Interesse am politischen System zu stärken. Studien in Großbritannien zeigen, dass eine besorgniserregende Anzahl an Wählern dem politischen System aus Desinteresse den Rücken kehrt. Es herrscht das Gefühl vor, nationale Politiker hätten keine Kontrolle mehr über politische Entscheidungen, welche viel mehr auf globaler oder europäischer Ebene getroffen würden. Gleichzeitig wünschen sich mehr als 70 Prozent der Befragten einen verstärkten Einsatz von Referenden, wenn auch nicht über jedes kleinste Detail.

In Großbritannien entschied traditionellerweise der aktuelle Premierminister über den genauen Zeitpunkt von Parlamentswahlen. Ein neues Gesetz fixiert die Legislaturperiode jedoch nunmehr auf einen Zeitraum von fünf Jahren.

Das Parlament kann außerdem nur mehr unter speziellen Umständen aufgelöst werden. Dieser Umstand stärkt die Bestrebungen für mehr direkte Demokratie, sodass die Bevölkerung ihren Willen auch zwischen zwei Wahlen ausdrücken kann.

Revolutionärer Schritt

Vergangenes Jahr wurde ein Gesetz verabschiedet, das eine automatische Volksabstimmung vorsieht, sollten Kompetenzen wie die Einführung des Euros an die EU übertragen oder neue Verpflichtungen mit Sanktionsmechanismen eingeführt werden.

Die Regierung von Premierminister Cameron hat darüber hinaus Vorschläge zu einer Reform des House of Lords veröffentlicht. Demnach sollen dessen Abgeordnete künftig direkt vom Volk gewählt werden - ein revolutionärer Schritt für das aristokratisch zusammengesetzte House of Lords. Diese Neuerungen sollen gemäß manchen Zurufen einem Referendum unterzogen werden, welches der liberale Vizepremier jedoch mit den Argumenten ablehnt, dass der Vorschlag sich ohnehin im Wahlprogramm der meisten Parteien finde und ein Referendum 125 Millionen Euro koste.

Außerdem hat Großbritannien mehr direkt gewählte Bürgermeister als je zuvor. Zusätzlich werden in Städten Referenden abgehalten, ob die Bevölkerung auch mit einer Direktwahl ihres Stadtoberhaupts einverstanden ist.

Der Anlass zur Volksabstimmung vergangenen Jahres über das Wahlsystem hatte aber herzlich wenig mit dem Bedürfnis zu tun, Elemente der direkten Demokratie zu stärken. Es war viel mehr Teil der Koalitionsvereinbarung, das Verhältnismäßigkeitsprinzip bei Wahlen auszubauen, welches zwar von Konservativen bekämpft wurde, den Liberaldemokraten jedoch entgegenkommt.

Premierminister Cameron drängt auf die baldige Durchführung eines Referendums über die Unabhängigkeit Schottlands - baldiger, als es die Schottische Nationalpartei gerne hätte. Pläne, was passieren würde, votierten die Schotten mehrheitlich für eine Unabhängigkeit, gibt es jedoch überraschend wenige. Was passiert zum Beispiel mit strauchelnden Banken wie der Royal Bank of Scotland, die vom britischen Steuerzahler unterstützt werden? Was geschieht mit Pensionen oder der Mitgliedschaft in der Europäischen Union? Würde Schottland den Euro einführen? Was sagen die 85 Prozent der Bevölkerung Großbritanniens, die in England leben und nicht über die Unabhängigkeit abstimmen können?

Das Abhalten eines Referendums stellt sich deshalb aufgrund vieler ungelöster Fragen als schwieriger Prozess dar. Wer wäre beispielsweise berechtigt, wählen zu gehen? Fallen auch Schotten, die außerhalb Schottlands leben, darunter? Die Regierung in London stellt sich gegen diese Idee. Allerdings gibt es Pläne, auch EU-Bürger, die in Schottland ihren Wohnsitz haben, wählen zu lassen. Das bedeutet, dass zwar ein Österreicher, der in Schottland lebt, nicht jedoch ein Schotte, der in Österreich lebt, über die Unabhängigkeit abstimmen dürfte.

Intensive Debatten werden auch darüber geführt, wie die Frage, über die abgestimmt wird, denn genau zu stellen sei: Reicht ein einfaches "Ja" oder "Nein", oder soll es als dritte Möglichkeit eine Alternative zur Unabhängigkeit geben?

Anlässlich eines neuseeländischen Referendums über das Wahlsystem vergangenes Jahr konnte die Bevölkerung aus mehreren Möglichkeiten wählen: Wählern, die mit dem aktuellen System nicht einverstanden waren, wurde ein alternatives Modell zur Abstimmung angeboten. Die britische Regierung bevorzugt dagegen eine klare Ja-oder-Nein-Entscheidung, wohl auch um schottischen Bestrebungen nach erhöhter Autonomie bei gleichzeitigem Verbleib in Großbritannien entgegenzutreten.

Frage der Verbindlichkeit

Ein Referendum, das vom schottischen Parlament initiiert wird, liegt genau genommen außerhalb seiner Kompetenz und könnte deshalb vom Parlament in London ignoriert werden. Die meisten Experten sind sich jedoch einig, dass das Ergebnis eines solchen Referendums politische Verbindlichkeit entfaltet und nicht ignoriert werden kann. Es widerspräche der Logik direkter Demokratie, Referenden als Meinungsumfrage anstatt als Entscheidungen mit bindender Kraft auszugestalten.

Zu den weiteren Formen direkter Demokratie in Großbritannien zählen "E-Petitionen". Dabei können Personen online Vorschläge unterzeichnen, die dann zur Debatte ins House of Commons eingebracht werden können. Während eine der ersten Petitionen die Wiedereinführung der Todesstrafe forderte, folgte bald darauf eine viel mehr Zuspruch erfahrende Petition dagegen. Gewisse Themen wie z. B. Menschenrechte können auch von der Behandlung durch Referenden oder Petitionen ausgeschlossen werden (sprich Richtlinien des Europarats). Die neue europäische Bürgerinitiative nimmt Themen von der Behandlung aus, die nicht mit den in den Verträgen festgelegten europäischen Werten konform gehen.

Chancen und Grenzen

Solche Petitionen stellen außerdem Instrumente für politische Parteien dar, ihre Stärken und Schwächen herauszufinden und festzustellen, welche Zielgruppen bei zukünftigen Wahlen angesprochen werden sollen. Unter Premierminister Tony Blair bekam eine Petition über die Einführung einer Straßenmaut fast zwei Millionen Unterschriften. Blair kommentierte diese Ereignisse mit den Worten: "Wir haben immer schon gewusst, dass es fast zwei Millionen Personen gibt, die gegen diesen Vorschlag sind. Jetzt wissen wir, wer diese Personen sind und wie wir sie kontaktieren können."

Direkte Demokratie stellt kein Allheilmittel dar und kann das fatale Image von Politikern in vielen Ländern allein nicht kompensieren. Parteien wären auch schlecht beraten, wenn sie glaubten, sich durch das Abhalten von Referenden ihrer Verantwortung entziehen zu können oder diese nur als Instrument ansehen, um die Fraktion zusammenzuhalten. In solchen Fällen führen Erwartungen eher zu Desillusion. Nichtsdestoweniger stellt der Ausbau direktdemokratischer Elemente einen Schritt in die richtige Richtung dar, der kombiniert mit anderen Maßnahmen zur Verbesserung der Professionalität, zu einer Wiedererlangung des Vertrauens in die Politik beitragen könnte. (Melanie Sully, DER STANDARD, 5.7.2012)