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Sie streifen durch Gärten, Hinterhöfe und über Parkplätze, flitzen durch Geschäftsstraßen und U-Bahn-Schächte. Und immer wieder passiert es, dass ein Fuchs bei einem Nickerchen auf dem Sofa oder gar im Kinderzimmerbett überrascht wird, wie es zuletzt in der britischen 80. 000-Einwohner-Stadt Hemel Hempstead vorkam.

Nicht nur wilde Füchse haben die Städte für sich entdeckt, auch Marder, Dachse, Wildschweine und Rehe lassen sich durch reiche Futterquellen und Grünflächen locken - und drängen im selben Maß in die Städte, wie diese in den Grüngürtel wuchern. In manchen Bezirken Berlins ziehen Wildschweinmütter ihre Jungen an der Bushaltestelle auf. Biber haben sich wieder auf der Wiener Donauinsel und am Donaukanal angesiedelt, und die drohende Verdrängung von Ziesel- und Hamsterkolonien auf Baugründen ruft Bürgerinitiativen auf den Plan.

Manuela Habe vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (Fiwi) der Veterinärmedizinischen Universität Wien befasst sich in dem Projekt "Wildtiere in Wien" mit der aktuellen Situation in der Bundeshauptstadt. Schäden an Gärten, Bedenken wegen der Übertragung von Krankheiten oder ganz einfach Angst vor den Tieren sorgen hier auch für Konfliktpotenzial. "Erster Ansprechpartner ist die Tierschutz-Helpline der Magistratsabteilung 60", erklärt Manuela Habe. Das Basiswissen, das für ein gezieltes Wildtiermanagement notwendig ist, fehlt bisher jedoch noch weitgehend.

Um Empfehlungen für ein konfliktfreies Miteinander abgeben zu können, hat sich Habe vier häufige urbane Wildtiere vorgeknöpft: den Fuchs, den Steinmarder, den Dachs und das Wildschwein. "Für diese Arten gibt es keine Bestandsdaten außer Abschussstatistiken. Und die sind nicht aussagekräftig, weil in der Stadt ja kaum geschossen wird." Als weitgehende One-Woman-Show erfasst Habe in der ganzen Stadt Fährten, Losungen, Haare und Baue ihrer Untersuchungsobjekte. Jeweils eine Woche lang pro Jahreszeit installiert sie Fotofallen, die abseits öffentlicher Flächen alles knipsen, was sich bewegt. Aufgestellt werden die Kameras in verschiedenen Lebensräumen, wie im Wienerwald oder in Kleingärten, aber auch in zentrumsnahen Grünanlagen.

Aufreger Dachs

Ein Aufruf an die Bevölkerung hat bis jetzt mehr als 800 Meldungen ergeben, allen voran Füchse, gefolgt von Dachsen, Mardern und Wildschweinen. "In Wirklichkeit gibt es sicher viel mehr von diesen Tieren in Wien", ist Habe überzeugt. Sie rechnet mit 4000 Füchsen und 2000 Steinmardern. Bei Wildschwein und Dachs traut sie sich keine konkrete Schätzung zu: "Wildschweine schwanken sehr stark in ihrem lokalen Vorkommen, und Dachse sind regional sehr unterschiedlich." Genauere Zahlen für den Dachs soll das Projekt über einen Umweg erbringen: "Wir erheben die Baue, leiten daraus die Reviergrößen ab und machen damit eine Hochrechnung."

Im Vergleich zu anderen europäischen Großstädten ist die Situation in Wien aber recht entspannt. Marodierende Wildschweinrotten, die nachts ganze Bezirke unsicher machen, wie in Berlin, gibt es hierzulande nicht. " Der größte Aufreger ist der Dachs", sagt Habe. Der pummelige Marder-Verwandte gräbt nämlich ein unterirdisches Kammersystem, das bis zu 30 Meter Durchmesser erreichen kann.

Da er nachtaktiv ist, dringt er oft unbemerkt bis tief in die Stadt vor, unterhöhlt Terrassen oder Gartenschuppen und stemmt Steinplatten in die Höhe - was ihm kaum Sympathiewerte einbringt. Außerdem kann er beim Graben nach Würmern gepflegten Rasen über Nacht in ein Schlachtfeld verwandeln. "Grundsätzlich ist der Dachs aber nicht aggressiv", versichert Habe. "Dachse in einer Stadt, das ist auch ein Ausdruck der vielzitierten Lebensqualität dank des vielen Grüns in Wien."

Kaum Beschwerden verzeichnete die Wildbiologin bis jetzt über den Steinmarder, abgesehen von fallweiser Lärmbelästigung und einigen Kabelbissen. Auch der Fuchs mache nicht viele Probleme, solange er nicht an Kaninchen- oder Geflügelhalter gerät. "Die meiste Angst haben die Leute vor der Übertragung von Krankheiten, vor allem der Tollwut", sagt Habe, "aber die ist bei Füchsen seit 2007 ausgerottet." Sehr wohl möglich ist die Übertragung der Räude auf Hunde, doch dagegen hilft Impfen zuverlässig. Bleibt das Wildschwein, das vorläufig nur vereinzelt auffällig wird. "Von ihnen geht am ehesten eine Gefährdung für den Menschen aus, allerdings hat es in Wien noch nie lebensbedrohliche Situationen gegeben." (Susanne Strnadl/DER STANDARD, 8. 8. 2012)