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Polizisten räumen das Occupy-Camp in Frankfurt, die Aktivisten leisteten nur passiven Widerstand. Die Stadt hat aus hygienischen Gründen darauf bestanden, das Lager vor der Europäischen Zentralbank dichtzumachen.

Foto: Reuters

Wien - Die Räumung des Zeltlagers von Occupy Frankfurt vor der Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) hat die Kräfte noch einmal mobilisiert. Auf der Facebook-Seite der Frankfurter Occupy-Aktivisten war die Zahl der Einträge zuletzt überschaubar. Aber seit am Montag die Polizei die letzten 80 Camper vor der EZB vertrieb, werden wieder Videos und Interviews hochgeladen. Aktivisten beschimpfen die Stadtregierung, versprechen die Rückkehr. "Eine Idee lässt sich nicht räumen", so der neue Leitspruch.

Trotz der Kampfansage verliert Occupy in Frankfurt eine ihrer letzten prominenten Lagerstätten. Der New Yorker Zuccotti-Park, wo die Bewegung im Herbst 2011 ihren Ausgang nahm, gehört bereits seit Monaten wieder Spaziergängern und Eichhörnchen. Doch die Räumungen sind nur ein Problem: Occupy hat seit Frühjahr kaum noch massenmedial wirksame Großdemos zustande gebracht. Außerhalb Spaniens und Israels kämpft Occupy gegen den Bedeutungsverlust. Keine Spur mehr von den "99 Prozent" .

Aber was ist schiefgegangen? Die Spurensuche beginnt beim Schweizer Soziologen Ruedi Epple. "Occupy ist in den USA und Deutschland gescheitert, weil es der Bewegung nie gelungen ist, andere Gesellschaftsgruppen mit in Bewegung zu versetzen", sagt er. Wer isoliert bleibt, dem gehe die Puste aus. In Spanien dagegen steht die Bewegung der Indignados (die Empörten) auf breiten Beinen. Auf einer ihrer Webseiten ("Take the Square") werben die Empörten gerade mit Videos von Polizisten und Lehrern, die mit ihnen in Madrid gegen die Sparpolitik demonstrieren. Doch Spanien blieb einer der wenigen Einzelfälle, weil dort die Krise mehr Menschen betrifft, sagt Epple.

Occupy plagen global aber nicht nur organisatorische Probleme. Kritiker werfen der Bewegung vor, nur diffuse politische Forderungen aufgestellt zu haben. Ein Blick auf die kanadische Website Adbusters, von dessen Machern im Herbst 2011 die Aufforderung "Besetzt die Wall Street" stammt, scheint Skeptikern recht zu geben. So ruft die Plattform derzeit zu einem Coca-Cola-Boykott in Venezuela auf und fordert, Geld aus den Banken abzuziehen. Kritisiert wird die israelische Siedlungs und die US-Bildungspolitik. Eine Linie ist nicht auszumachen.

Der Frankfurter Politologe Alex Demirovic meint jedoch, es wäre ein Fehler, Occupy völlige Beliebigkeit vorzuwerfen: "Wie in jeder sozialen Bewegung steckt auch in Occupy viel Kompetenz, aber auch viel Unsinn". Das zeigen auch die wirtschaftspolitischen Einflüsse: Am Anfang haben namhafte Ökonomen wie Richard Wolff von der New School University in New York Nähe zu Occupy gesucht und versucht, gemeinsame Linien zu entwickeln. Paul Krugman zeigte Sympathien. Zugleich fanden obskure Theorien Gehör, wie jene des Ökonomen Silvio Gesell (1862-1930), der meinte, alle wirtschaftlichen Probleme seien durch die Abschaffung von Zinsen gelöst.

Als dann auch noch Kritik an "Ostküstenbankern" dazukam, gerieten Teile von Occupy endgültig in Verruf. "Dabei zieht jede lose Protestgruppe immer auch merkwürdige Figuren an. Da kontrolliert ja niemand die Mitgliedschaft", meint Demirovic.

Der Wiener Politologe Ulrich Brand findet überhaupt, dass viele Occupy missverstanden haben. Rufe nach Bankenregulierung und einer Finanztransaktionssteuer seien bei Occupy nur Nebengeräusche gewesen. "Die Bewegung hat sich dadurch ausgezeichnet, dass sie Politik und politische Repräsentation generell infrage gestellt hat." Der erste Instinkt, Plätze zu besetzen und über das System zu diskutieren, sei richtig und spannend gewesen. "Aber irgendwann hätte man dann doch konkrete politische Forderungen und Ziele formulieren müssen. Windelweiche Meinungen reichen nicht."

Der Mangel an einer Linie hat dazu geführt, dass Parteien wenig mit Occupy anfangen konnten. In Frankfurt gab es Treffen zwischen Occupy, SPD und Attac. "Doch die Zusammenarbeit mit einer Gruppe die nicht weiß, wohin sie will, ist schwierig", sagt eine deutsche Attac-Mitarbeiterin. So ist es wenig verwunderlich, wenn der Soziologe Andreas Langenohl meint, ihm falle keine einzige Debatte ein, die Occupy mitgeprägt hätte. (András Szigetvari, DER STANDARD, 8.8.2012)