Kämpfer der Gruppe Ansar al-Islam posieren für ein Video um ihre Kampfbereitschaft zu zeigen.

Screenshot: Youtube

Bärtige Männer mit schwarzen Stirnbändern, auf denen das islamische Glaubensbekenntnis gedruckt ist, treten mit AK-47-Gewehren und Panzerfäusten vor die Kamera. Es ist ein Video, wie man es aus Afghanistan oder dem Irak kennt. Doch der Youtube-Film, der am 8. August veröffentlicht wurde, ist in Syrien gedreht worden. Die Männer der Gruppe Ansar al-Islam treten öffentlich an, um das Land zu befreien – vom Regime Assad und den Ungläubigen. Mit den "Unterstützern des Islam" ist eine weitere jihadistische Gruppe in Syrien aufgetreten – bei weitem nicht die einzige.

Seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien vor mehr als einem Jahr tummeln sich dutzende jihadistische Bewegungen in Syrien. Allen gemein ist ihr Hass auf das alawitische Regime von Bashar al-Assad und der Glaube an "Bilad ash-Sham" – ein islamisches Groß-Syrien, das für die Jihadisten nur die Vorstufe eines "wahren" islamischen Staates in der arabischen Welt darstellt.

Ideologie

Informationen über die Bewegungen und ihre Kämpfer sind spärlich: Das wenige, was über die Operationen und Größe der jihadistischen Gruppierungen bekannt ist, stammt von diesen selbst. In einer Handvoll – großteils passwortgeschützter - radikal-islamistischer Online-Foren wird derzeit mit Videos und Botschaften für den Kampf in Syrien geworben. Viele der dort veröffentlichten Informationen und Behauptungen sind nicht überprüfbar. Klar wird nur eines: Syrien ist zum Hot Spot internationaler Jihadisten geworden.

Zwar sind die Gruppen auf den ersten Blick alle unter dem Banner der schwarzen Flagge vereint, doch bei genauerer Betrachtung unterscheiden sich die Ideologien wesentlich:

"Reiner" Islam

Gruppen, wie die neu entstandene Jabhat an-Nusra, die Kampfgruppe Doura und die aus dem Libanon stammenden Abdullah-Azzam-Brigaden vertreten eine besonders radikale Auslegung des Islams. Die ideologische Grundlage von allen dreien bildet das 200 Seiten lange Werk "Die Rückkehr von Saladin". Sie sehen sich in der Tradition des legendären Herrschers, der Jerusalem eroberte.

In der Gedankenwelt dieser Gruppen ist eine Befreiung Jerusalems nur dann möglich, wenn zuvor der Idealzustand einer islamischen Gesellschaft hergestellt und die islamische Welt von vom Glauben Abgefallenen "gereinigt" ist. So werden all jene Muslime betrachtet, die nicht den "puren" Islam salafistischer Ausprägung praktizieren, im Besonderen jedoch Alawiten und Schiiten.

Regeln der islamischen Kriegsführung

Andere Jihadisten wiederum, sind in ihren Forderungen weniger radikal. Dazu gehören unter anderem die Liwaa al-Umma-Brigaden (Fahne der Nation), die von ehemaligen libyschen Islamisten gegründet wurde. Ihrer Ansicht nach – so verkünden sie in Botschaften – hat jeder Muslim die religiöse Verpflichtung, Syrien vom Tyrannen zu befreien und eine rechtgeleitete islamische Herrschaft im Land herzustellen. Allerdings verpflichtete sich die Gruppe öffentlich, sich an die islamischen Regeln der Kriegsführung – zu denen unter anderem auch das Verbot des Tötens von Zivilisten sowie der Schutz deren Eigentums gehören – zu halten.

Angeführt wird die Gruppe von Mahdi al-Harati und Abdul Hakim al-Misri, zwei ehemaligen Kommandeuren der Tripolis-Brigade während der libyschen Revolution. Harati ist auch in westlichen Medienberichten bereits öfter aufgetaucht: Der irische Staatsbürger ist Imam der islamistischen an-Nur-Moschee in Irland und war Teilnehmer an der Gaza-Hilfsflotte und deswegen 2010 in Israel in Haft.

Homs

Eine weitere Gruppe stellen regional verankerte Jihadisten dar. Besonders Homs scheint offenbar ein guter Nährboden für derartige Gruppen zu sein. Rund zwei Dutzend radikal-islamischer Gruppen kämpfen derzeit in einer der islamisch-konservativsten Städte Syriens. Angeführt werden die Gruppen nach eigenen Angaben von einem Shura-Rat, der aus Klerikern der Stadt besteht. Ihnen unterstehen neben fast zwei Dutzend Kampfgruppen auch die Farouk-Brigaden, die mit 16 Batallionen die größte in Homs kämpfende Einheit zu sein scheint.

Lektionen aus dem Irak

Bei ihren Auftritten in der Öffentlichkeit haben fast alle Gruppen auch ihre Lektionen aus den blutigen Terrorkampagnen im Nachbarland Irak gelernt. Zwar werden gefangen genommene ehemalige Regimevertreter öffentlich vorgeführt und deren Geständnisse veröffentlicht, Bilder von grausamen Exekutionen – wie sie im Irak beinahe Alltag waren – gibt es bisher jedoch kaum. Es war genau diese Brutalität und Gleichgültigkeit gegenüber zivilen Opfern, die die Handschrift des al-Kaida-Terroristen Abu Musab az-Zarqawi trug, die den Jihadisten im Irak letztlich Unterstützung gekostet und zu ihrer Spaltung und Fragmentierung beigetragen hat. Bisher – so scheint es - bemühen sich die Jihadisten, diesen Fehler in Syrien zu vermeiden.

Über die Stärke und die Zusammensetzung der unterschiedlichen Gruppen ist nichts bekannt. Bisher ist es kaum einem Journalisten gelungen, mit den Jihadisten in Kontakt zu treten. Falls doch, so war der Empfang alles andere als freundlich. Denn obwohl EU-Staaten und die USA den Aufstand gegen das Regime von Assad zumindest verbal unterstützen, sind die jihadistischen Gruppierungen in Syrien dem Westen gegenüber feindlich eingestellt. Das Nicht-Handeln des Westens wird als Beweis für die Unterstützung des alawitischen – und damit für Jihadisten ungläubigen – Regimes von Bashar al-Assad gesehen. Unterstützt werden sie dabei von einer steigenden Zahl von Kameraden aus anderen arabischen Ländern, aber auch von Kämpfern aus dem Westen.

Davon wissen auch die beiden Journalisten John Cantlie und Jeroen Oerlemans zu berichten. Der britische und niederländische Fotograf sind in Syrien von einer jihadistischen Gruppe gefangen genommen worden. In einem Artikel für die britische Tageszeitung Sunday Times beschreibt Cantlie, dass sich unter seinen rund 30 Entführern Islamisten aus Großbritannien, Bangladesch, Pakistan und Tschetschenien befunden haben sollen. Berichte über ausländische Kämpfer in Syrien gab es bereits viele, doch der Augenzeugenbericht des britischen Fotografen ist die erste unabhängige Bestätigung dafür. (Stefan Binder, derStandard.at, 16.8.2012)