Der aktuelle Lock Screen von Firefox OS, wie bei allen folgenden Bildern bitte in Betracht ziehen, dass es sich hierbei nur um einen Zwischenstand der Entwicklung handelt.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Die App-Auswahl, samt einer Favoritenzeile am unteren Bildschirmrand.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Anrufe lassen sich mit Firefox OS tätigen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Die E-Mail-Anwendung.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Als Browser kommt natürlich Firefox zum Einsatz.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Eine Vorversion des Mozilla Marketplace, über den künftig die Apps vertrieben werden sollen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

3D-Support gibt es natürlich auch.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Das gesamte Interface ist in HTML, Javascript und CSS verfasst - was die Entwicklung denkbar einfach macht.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Für einige Verblüffung sorgte eine im Sommer 2011 vorgenommene Ankündigung des Mozilla-Projekts: Unter dem Codenamen "Boot2Gecko" (benannt nach der Rendering Engine Gecko, die den Kern des Firefox-Browsers bildet) präsentierte man ein neue mobiles Betriebssystem. Ursprünglich als Experiment gestartet, ist daraus unter dem neuen Namen Firefox OS längst ein ernsthaftes Unterfangen geworden, das eine zentrale Rolle in den weiteren Plänen von Mozilla spielen soll.

Logische Schritte

Was zunächst nach einem grundlegenden Richtungswechsel aussieht, ist bei näherer Betrachtung allerdings durchaus konsistent mit den Zielen von Mozilla. Das Motto des Browserherstellers heißt nämlich nicht "Die Alleinherrschaft am Browsermarkt erobern" sondern "Das Web offen halten". Diese Mission kann im Desktop-Bereich durchaus als gelungen angesehen werden, wo es einen starken - und offenen - Wettbewerb zwischen mehreren Anbietern gibt, im mobilen Bereich sehe dies aber ganz anders aus, so die Einschätzung von Mozilla. Dort dominiere nämlich eine einzige Rendering Engine - das von Google und Apple eingesetzte Webkit. Darüber setze sich zunehmend eine Welt der "abgeschlossenen" App-Stores durch, wie sie vor allem bei iOS, in gewisser Weise aber auch bei Android zu finden sei.

Offenheit

All dem möchte man die eigene Vorstellung von Offenheit entgegenhalten, so die Überlegung bei Mozilla. Die Veröffentlichung einer Android-Version von Firefox sei in dieser Hinsicht ein erster wichtiger Schritt gewesen, Firefox OS die logische nächste Stufe, betonte etwa Mozillas Dave Baron erst unlängst im Interview mit dem WebStandard.

Interesse

Dass sich Firefox OS von einem Experiment zu einem ernsthaften Projekt entwickeln konnte, hat aber noch andere Gründe: Rasch nach der ersten Ankündigung von Boot2Gecko hatten diverse Provider bei Mozilla angeklopft, die Interesse an der Etablierung einer Alternative zu Android und iOS anmeldeten. Vor allem der spanische Telekomkonzern Telefonica beteiligte sich früh an der Entwicklung, mittlerweile konnte man aber zahlreiche weitere, strategisch wichtige Partner ins Boot holen. Dazu zählen etwa die Deutsche Telekom, Telecom Italia und Telenor, selbst der österreichische Marktführer A1 scheint der Idee eines Firefox OS nicht gänzlich abgeneigt zu sein.

Zeitplan

Erste entsprechende Geräte mit dem neuen mobilen Betriebssystem sind für Anfang 2013 angekündigt, Telefonica will hier mit einer Eigenmarke zunächst den brasilianischen Markt anvisieren. Dies durchaus aus strategischen Überlegungen: Mit einem Preis von unter 100 US-Dollar hofft man Märkte zu erobern, die noch nicht vollständig von anderen Smartphone-Betriebssystemen durchdrungen sind. Erst in den Monaten danach sollen Firefox-OS-Mobiltelefone auch in anderen Ländern verfügbar gemacht werden.

Hardwarepartnerschaften

Als offiziellen Chippartner für Firefox OS hat man Qualcomm und dessen Snapdragon-CPUs auserkoren, wie praktisch alle aktuellen Smartphone-Systeme setzt man also auf die ARM-Prozessor-Architektur. Und ein weiterer wichtiger Infoschnippsel: Neben Telefonica hat auch der chinesische Hersteller ZTE angekündigt, kommendes Jahr Geräte mit Mozillas Betriebssystem auf den Markt bringen zu wollen.

Einblick

Dass Firefox OS - im krassen Gegensatz zur Herangehensweise von Google an das Thema Open Source bei Android - vollständig offen entwickelt wird, versteht sich bei Mozilla fast schon von selber. Heißt: Rein theoretisch steht einem Blick auf frühe Testversion nichts im Wege. In der Realität ist dies alles natürlich ein Stück komplizierter, gibt es doch noch keine dezidierte Hardware für das System. Wer derzeit Firefox OS auf einem Smartphone ausprobieren will, muss also schon etwas Zeit in dieses Unterfangen investieren, und darf nicht davor zurückschrecken, den Source Code selbst zu kompilieren.

How-to

Eine Anleitung für dieses Unterfangen liefert Mozilla im Firefox-OS-Wiki, als Zielplattformen unterstützt man derzeit offiziell die Android-Smartphones Nexus S, Galaxy Nexus und Galaxy S II, auf die die selbst erstellten Firefox-OS-Images mithilfe von Android-Tools wie fastboot geflasht werden können. Wem all das zu kompliziert ist, der kann seit kurzem auch eine spezielle Desktop-Version von Firefox OS herunterladen. Da eine solche Lösung jedoch keinen authentischen - oder vollständigen - Blick auf das Smartphone-Betriebssystem erlaubt, hat der WebStandard lieber den Compiler angeworfen und ein Nexus S mit einer aktuellen Testversion (Stand: 22.08.2012) bespielt.

Erste Eindrücke

Beim ersten Boot fällt zunächst mal vor allem eines auf: Das dieser ziemlich flott vonstatten geht. Danach begrüßt den Tester ein Interface, das man im aktuellen Zustand getrost als eine Mischung aus Konzepten von iOS und Android bezeichnen kann. So bietet etwa der Lock Screen analog zu aktuellen Android-Versionen wahlweise den Wechsel auf Kamera oder Home Screen. Die App-Übersicht erfolgt im von anderen Systemen gewohnten Icon-Raster, ein langer Druck auf den Home-Button offenbart einen Taskswitcher - auch das kommt einem irgendwie bekannt vor. Und es gibt einen Benachrichtigungsbereich, der von der Statuszeile "heruntergezogen" werden kann, und wo diverse Einstellung zum Schnellzugriff dargeboten werden.

Big fat disclaimer

Freilich darf nicht vergessen werden, dass es sich hierbei um eine frühe Testversion von Firefox OS handelt, das Interface also noch weit davon entfernt ist, als final angesehen werden zu können. Insofern wäre es verfehlt, bereits jetzt ein abschließendes Urteil über Originalität oder Nicht-Originalität der User-Experience-Konzepte treffen zu wollen. Bis zur Auslieferung mit konkreter Hardware kann Firefox OS schon wieder ganz anders aussehen.

Apps

An Anwendungen wird derzeit das zu Erwartende geboten: Der Firefox gibt den Browser, es gibt Kamera, E-Mail, Uhr und Kalender-App sowie ein Tool zum Anzeigen von PDF-Dokumenten und einen virtuellen Notizblock. Musik- und Video-Apps dürfen ebensowenig fehlen wie eine Kontaktverwaltung, SMS- und Telefonieanwendung, die alle auch bereits voll funktionstüchtig sind. Auch das eine oder andere Spiel ist installiert, allen voran die HTML5-Version von "Cut the Rope". Dazu kommen noch all die gewohnten Einstellmöglichkeiten, die so ein Smartphone benötigt - also von der Wahl des Klingeltons bis zur Verwaltung von WLAN-Verbindungen . Und wie es sich für eine Pre-Release gehört, sind auch noch diverse Test-Tools/Apps mit an Bord.

Speed

Die Performance kann sich (mittlerweile) auf dem Testgerät durchaus sehen lassen, hier wurden in den letzten Wochen ganz offensichtlich bereits zahlreiche Optimierungen vorgenommen. Frühere Pre-Releases gingen nämlich noch deutlich behäbiger zur Sache. Als stabil kann Firefox OS derzeit natürlich noch nicht bezeichnet werden, die diversen Apps neigen schon mal zum einen oder anderen Absturz, an einen Dauereinsatz des mobilen Betriebssystem sollte man derzeit also lieber noch nicht denken.

Architektur

Doch was ist Firefox OS eigentlich, beziehungsweise woraus setzt es sich zusammen? Den Kern bildet wie zu erwarten ein schlankes Linux-System (intern "Gonk" genannt), das man weitgehend von Android (derzeit: 4.0.4_r2) übernimmt. Auf bei Firefox OS unnötige Komponenten wie die Dalvik Virtual Machine  (die bei Android als Basis der Apps dient) verzichtet man dabei natürlich. 

Gecko

Über diesen Systemkomponenten thront dann die Rendering Engine Gecko, auf deren Basis wiederum die Oberfläche mit dem Namen "Gaia" implementiert wurde. Das heißt natürlich auch: Das gesamte Interface und all die enthaltenen Anwendungen sind ausschließlich mit offenen Webstandards wie HTML, Javascript und CSS gestaltet. Daraus ergibt sich ein entscheidender Vorteil: Wohl kein anderes mobiles Betriebssystem ist derzeit so einfach "hackbar" wie Firefox OS. In den Testversionen betont Mozilla diese Idee der vollkommenen Offenheit sogar noch, indem über einen langanhaltenden Druck auf den Menüknopf der Source Code einer App angezeigt werden kann.

WebAPI

Apps für Firefox OS sollen natürlich ebenfalls nur mit Web-Technologien entwickelt werden. Aus dieser Entscheidung ergeben sich einige Herausforderungen, bietet doch auch das aktuelle HTML noch nicht alle Schnittstellen, die sich App-EntwicklerInnen von so einem modernen Smartphone-System erwarten. Insofern stellt die Schaffung und Standardisierung von neuen mobilen HTML-APIs einen wichtigen Bestandteil des Firefox-OS-Unterfangen dar. Auf einer eigenen Wiki-Seite listet man den aktuellen Stand dieser unter dem Namen "WebAPI" laufenden Bemühungen. Und hier arbeitet man an Schnittstellen für praktisch alle denkbaren Bereich, von Bluetooth und Telefonie bis zu Push Notifications. Der in Zusammenarbeit mit anderen Herstellern vorangetriebene WebRTC-Standard kümmert sich um Streaming und WebCams. Die Unterstützung von proprietären Codecs bekommt man mithilfe der von Android entliehenen libstagefright quasi direkt aus der Hardware.

Chancen

Die Entscheidung das Web als Plattform für ein mobiles Betriebssystem zu nutzen, ist allerdings nicht nur herausfordernd, sie bietet durchaus auch reizvolle Perspektiven: So könnten künftig Apps entwickelt werden, die sowohl unter Firefox OS als auch im Desktop-Browser laufen. Und natürlich ist der Zugang zur Entwicklung in HTML / Javascript deutlich niederschwelliger als es bei klassischen Programmiersprachen wie Java oder gar C der Fall ist - was eine neue Riege von EntwicklerInnen anlocken könnte.

Marketplace

Vertrieben sollen diese Apps dann übrigens über einen eigenen App Store von Mozilla werden, jener Mozilla Marketplace der auch bereits für den Desktop im Test ist. In den aktuellen Vorversionen von Firefox OS sind gleich drei unterschiedliche Varianten des Marketplace installiert, man darf also getrost festhalten, dass sich dieser noch im Aufbau befindet.

Fazit

Wie realistisch die Erfolgschancen eines Firefox OS sind, lässt sich derzeit noch nicht seriös abschätzen, all zu weit ist man derzeit noch von einer fertigen Software oder gar käuflich erwerbbaren Produkten entfernt. Klar ist aber natürlich, dass es nicht gerade leicht werden wird, hat man es hier doch mit einem sehr agilen Umfeld und vor allem deutlich finanzkräftigeren Mitstreitern wie Apple, Google und Microsoft zu tun. Ob da der Ausweg in die Low-Cost-Nische hilft, muss sich ebenfalls erst zeigen, immerhin wird gerade Android in diesem Umfeld immer stärker.

Perspektivenwechsel

Für App-EntwicklerInnen könnte jedenfalls die Perspektive reizvoll sein, sich nicht länger in die direkte Abhängigkeit der großen App-Store-Hersteller begeben zu müssen, die noch dazu ordentlich bei den Einnahmen mitschneiden. Mit einem vollständig offenen Entwicklungs- und Vertriebsmodell würde ein Teil dieser Macht wieder an die einzelnen EntwicklerInnen zurückfließen. Ob diese dieses Angebot auch annehmen, ist allerdings alles andere als gesichert. Immerhin steht dem die simple Realität entgegen, dass die Unterstützung einer weiteren Plattform einen erheblichen Zusatzaufwand darstellt, und gerade iOS und Android mit ihrer mittlerweile riesigen Installationsbasis natürlich ganz andere Absatzpotentiale versprechen. Mozilla wird es also nicht unbedingt leicht haben, diese Eintrittsbarrieren in den Markt zu durchbrechen. Dass - und mit welchem Selbstbewusstsein - man es probiert, nötig aber durchaus Respekt ab.

Update, 29.08.12:

Im Artikel wurde die Passage zum Kernsystem von Firefox OS korrigiert, mit dem Hinweis darauf, dass dies derzeit weitgehend auf Android 4.0.4 basiert.

(Andreas Proschofsky, derStandard.at, 28.08.12)