Schöllkraut ist die Basis für das vermeintliche Krebsmittel Ukrain, die Pflanze kann toxisch sein.

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Für die Behörden war es seit Jahren Scharlatanerie, für verzweifelte Kranke eine Art letzte Hoffnung, für die sie viel Geld bezahlten: Ukrain ist der seltsame Name eines in Österreich von der Firma Nowicky Pharma erzeugten Mittels, das laut Angaben des Herstellers zur vollständigen Heilung jeglicher Krebserkrankung führt. 77 Euro kostete eine Ampulle, und für viele Krebspatienten, denen Ärzte in heimischen Spitälern keine therapeutischen Optionen mehr anbieten konnten, wurde Ukrain so etwas wie ein Strohhalm, an den sie sich klammerten.

Vergangenen Dienstag wurden der Geschäftsführer von Nowicky Pharma und eine Mitarbeiterin verhaftet. 50 Polizisten führten 24 Hausdurchsuchungen in ganz Wien durch und beschlagnahmten 200.000 Ampullen dieses Präparats. "Es waren konkrete Anzeigen von Angehörigen, die zur Verhaftung führten", sagt Erich Mayer, Sprecher der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKSta). Am Freitagnachmittag verhängte der Richter für beide Beschuldigte die Untersuchungshaft. Der Vorwurf: schwerer, gewerbsmäßiger Betrug durch Behauptungen, Ukrain hätte eine empirisch nachgewiesene Wirkung, tausende Patienten wären davon geheilt worden und das Mittel sei als Medikament in anderen Ländern zugelassen.

Kein Nachweis der Wirksamkeit

Marcus Müllner vom Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) ist seit langem mit Nowicky Pharma konfrontiert. Der jetzt Beschuldigte hat in den letzten Jahren immer wieder Anträge für die Zulassung von Ukrain eingereicht, "ein Nachweis, dass es wirkt, konnte nie erbracht werden, und die verfügbaren Studiendaten wiesen gravierende Mängel auf", berichtet Müllner. Derartige Bescheide der Gesundheitsbehörden akzeptierte der beschuldigte 75-jährige Chemiker nie, klagte mehrmals - jedoch trotz prominenten Anwalts Michael Graff, ehemaliger ÖVP-Abgeordneter, ohne Erfolg.

Ukrain ist eine Substanz, die aus Schöllkraut und dem Zytostatikum Thiotepa hergestellt wird. Harmlos ist das keineswegs. "Die Wirksamkeit von Schöllkraut ist nicht belegt, allerdings kennen wir Fälle, in denen Schöllkraut schwere lebertoxische Nebenwirkungen hat", erklärt Reinhard Länger, Abteilungsleiter Pflanzliche Arzneimittel und Homöopathie bei der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). Das Nutzen-Risiko-Verhältnis stimmt nicht. Dieser Parameter soll, so Länger, sicherstellen, dass möglichst viele Menschen durch ein behördlich zugelassenes Medikament mehr Nutzen als Schaden erleiden, denn jedes Arzneimittel hat immer auch Nebenwirkungen.

Verschwörungstheorie

Insofern geht es in universitären Prüfverfahren für Medikamentensicherheit vor allem um statistische Relevanz, niemals um Einzelfälle. Rund um die Ukrain-Diskussion fühlte sich der Hersteller von den Behörden verfolgt, entwickelte Verschwörungstheorien, kann die Sachbuchautorin El Awadalla berichten, die die Geschichte seit Jahren beobachtet.

"Wäre ein Mittel tatsächlich hochwirksam, dann wäre eine gut gemachte Studie an wenigen Personen geeignet, einen Wirkungsnachweis zu erbringen", sagt der klinische Pharmakologe Markus Müller, Vizerektor der Med-Uni Wien. Das Unternehmen hätte doch viele Jahre Zeit gehabt, hinreichende Daten zu liefern. Kann eine kleine Firma denn überhaupt den komplexen Anforderungen an klinische Studien entsprechen? "Es ist ohne weiteres möglich, selbst für ein ansatzweise wirksames Medikament Gelder für eine klinische Prüfung zu bekommen", sagt Müller und spricht aus der Praxis. Für den überzeugten Naturwissenschafter sind Berichte einzelner Heilungserfolge kein Beweis, sondern nur Teil vermeintlicher Wunderheilungen.

Sterbenskranke sind keine Gefahr

"Was hilft es, wenn 100.000 schwerkranke Menschen um viel Geld ein dubioses Mittel kaufen, und nur einige wenige profitieren, die höchstwahrscheinlich auch sonst noch leben würden, dann aber als Exempel vorgeführt werden", erklärt er die für ihn unseriöse Praxis, die mehr Menschen schadet als nutzt - vor allem finanziell. "Die Indikation Krebs im fortgeschrittenen Stadium ist für diese Art Wunderheiler eine sehr angenehme Indikation. Viele ohnehin Schwerkranke sterben und sind damit keine Gefahr mehr für die, die Heilung versprochen haben", präzisiert Müller. Er glaubt nicht an Wunderheilungen, weiß aber, dass es durchaus ungewöhnliche Krankheitsverläufe geben kann, also konkret Krebskranke, die trotz wenig positiver Aussichten wesentlich länger als prognostiziert leben.

77 Euro täglich

Das Vorgehen der Justiz und die Einvernahmen der letzten Woche sind ein erster Schritt zur Klärung. Abgesehen vom Geschäftsführer und seiner Mitarbeiterin muss die WKSta Beschuldigungen gegen weitere 20 Personen prüfen. Auch sie hätten kranke Menschen durch falsche Heilsversprechen getäuscht - und tun es immer noch, etwa der Allgemeinmediziner Thomas Kroiss auf seiner Website, wo Ukrain unter "biologische Krebstherapie" gelistet ist. "Liebe Angehörige, liebe Suchende, hier finden Sie Informationen über Krebstherapien, von welchen man üblicherweise nichts erfährt (...) der Krebsmarkt ist VIEL größer als Patienten von Seiten der Schulmedizin angeboten wird. (...) Wir haben nachgeforscht. Es GIBT viele Möglichkeiten (...) man muss als Patient ,aufwachen' (...) damit man TATSÄCHLICH eine Chance hat", steht dort. Für Krebspatienten im Endstadium sind solche Sätze Anlass, sich 77 Euro teure Ukrain-Ampullen täglich zu spritzen.

Jetzt ist die Causa bei Gericht. Für Autorin El Awadalla eine späte Genugtuung für Missstände, die seit dem Jahr 2000 bekannt seien. "Ich verstehe nicht, warum man erst jetzt aktiv wurde", sagt sie.

Eine mögliche Verurteilung wird für Krebskranke auf der verzweifelten Suche nach Heilung wenig Bedeutung haben. Der Markt für ähnliche, nicht zugelassene Präparate ist riesig und bleibt offen für falsche Versprechungen. (Karin Pollack, DER STANDARD, 10.9.2012)