STANDARD: Politikbeteiligung per Internet - ist das ein probates Mittel gegen Politikverdrossenheit?

Linden: Grundsätzlich ist das keine schlechte Sache, weil man vor allem junge Menschen fast nur noch über das Internet erreicht. Aber man darf sich nicht allzu große Hoffnungen machen.

STANDARD: Warum nicht?

Linden: Die Beteiligung ist sehr gering. Was nutzt es, wenn etwa die Stadt Trier ihren Bürgerhaushalt im Internet diskutieren lässt, aber kaum jemand mitmacht? Im Bundestag ist die Zahl der Beteiligten auch überschaubar.

STANDARD: Es ist zumindest ein Angebot der Politik.

Linden: Aber es gibt Politik verzerrt wieder. Eine viel stärkere Beteiligung finden Sie natürlich bei Netzthemen. Erstaunlicherweise funktionieren auch Hebammeninitiativen im Internet hervorragend. Aber klassische Politikthemen werden nachrangig behandelt. Außerdem machen natürlich vor allem die Gebildeten mit, die Zeit haben, und nicht ein Abbild der Gesamtbevölkerung. Das ist ein Demokratie-Placebo.

STANDARD: Der deutsche Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) ließ eine Reform der umstrittenen Verkehrssünderdatei in Flensburg im Internet diskutieren. Das interessiert doch fast jeden.

Linden: Klar. Aber die Diskussion war nur partiell - etwa darüber, welche Kategorien von Verkehrsverstößen es geben soll. Darauf haben sich alle gestürzt und dabei gar nicht mitbekommen, dass der Minister die Möglichkeit, durch Nachschulung Punkte abzubauen, abschaffen wollte. Der viel gravierendere Punkt wurde kaum diskutiert. Das höhlt den demokratischen Prozess aus.

STANDARD: Welche Schwächen sehen Sie noch?

Linden: Das Verfahren darf nicht nur an die Exekutive, sondern muss an Parlamente gekoppelt sein, damit Alternativen geboten werden können. Bleiben wir bei der Stadt Trier und dem Haushalt. Wenn diese nur dazu aufruft, Sparvorschläge einzubringen, ist das einseitig.

STANDARD: Sie meinen, im Parlament gäbe es eine Opposition, die das nicht durchgehen ließe?

Linden: Genau. Die Philosophin Hannah Arendt sagte: "Politik beruht auf der Tatsache der Pluralität der Menschen." Bei der digitalen Demokratie wird aber meist nur eine Lösung zur Debatte gestellt. An der können die User dann ein bisschen etwas ändern. Aber es werden keine echten Alternativen geboten. Daran krankt das politische System generell, das sieht man auch bei der Eurorettung. Die Menschen wollen Alternativen hören.

STANDARD: Apropos Eurorettung. Da würde die Beteiligung im Internet wohl an ihre Grenzen stoßen?

Linden: Natürlich. Liquid Democracy passt besser auf die Gemeindeebene mit ihrer eher geschlossenen Öffentlichkeit. Und eines gilt in jedem Fall: Die Teilnehmer aus dem Volk können nur Berater sein. Entscheiden müssen die gewählten Volksvertreter.