Gießen - Das Bakterium Listeria monocytogenes gehört zu den gefährlichsten Lebensmittelkeimen. Die Sterblichkeitsrate bei Infektionen beträgt bis zu 30 Prozent. Wissenschaftler der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) haben nun herausgefunden, wie infizierte Zellen unterscheiden, ob es sich um tote oder lebende Listerien handelt. Eine wichtige Fähigkeit, denn von dieser Unterscheidung hängt ab, wie stark die Reaktion des Immunsystems ausfallen muss.

Lebende Listerien sind weitaus gefährlicher und erfordern eine starke Reaktion des Immunsystems. Bei toten Mikroorganismen hingegen reicht eine schwächere Entzündungsreaktion aus, bei der die Immunzellen am Ort der Infektion nur in geringem Maße mobilisiert werden.

"Unterscheidungskraft" von Zellen

Listerien werden über kontaminierte Lebensmittel aufgenommen. Sie sind in der Lage, in fast alle Arten der menschlichen Zellen einzudringen und sich dort zu vermehren. Gefährlich sind Listerien-Infektionen vor allem für Schwangere, Neugeborene, ältere und immungeschwächte Menschen. Die Gießener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben alle Gene dieses Erregers identifiziert, die nach einer Infektion mobilisiert werden. Viele dieser Gene wurden gezielt ausgeschaltet und das Verhalten der sogenannten "Knockout-Mutanten" untersucht. Dadurch konnte ein Mechanismus entschlüsselt werden, der infizierte Zellen befähigt, lebende von toten Erregern zu unterscheiden.

In Zusammenarbeit mit Percy Knolle vom Institut für Molekulare Medizin und Experimentelle Immunologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, stellten die Wissenschaftler fest, dass lebende Listerien im Inneren von Fresszellen (Makrophagen) winzige Mengen an Nukleinsäuren freisetzen. Fresszellen sind ein Bestandteil des zellulären Immunsystems, die dafür verantwortlich sind  Mikroorganismen zerstören. 

Feine "Duftspur"

Mit der Freisetzung der Nukleinsäuren versuchen die Bakterien offenbar, die Immunantwort in den Zellen abzuschwächen. Allerdings legen sie damit auch eine feine "Duftspur", die von den zellulären Sensoren RIG-I, MDA5 und STING im Innern der Fresszellen erkannt werden kann. Es handelt sich dabei um eine sehr frühe und differenzierte Form der Erkennung, ob es sich um ein lebendes und damit potenziell gefährlicheres Bakterium handelt - schließlich sondern tote Listerien keine Nukleinsäure ab.

Sind die intrazellulären Sensoren der Fresszellen durch die Bakterien-Nukleinsäuren aktiviert, wird eine Signalkaskade in Gang gesetzt: Antibakteriell wirkende Substanzen werden produziert und eine starke Entzündungsreaktion ausgelöst. Dies führt zur Rekrutierung vieler weiterer Immunzellen mit dem Ziel, die Eindringlinge auszuschalten und eine starke, lang anhaltende Immunität zu etablieren. Diese Ergebnisse sollen nun die Grundlage bilden, um neuartige Impfstrategien zu entwickeln. (red, derStandard.at, 12.10.2012)