Deborah Holmes:
"Langeweile ist Gift. Das Leben der Eugenie Schwarzwald"
388 Seiten, 28,90 Euro
Residenz Verlag, 2012
ISBN: 9783701732036

 

Cover: Residenz Verlag

Sie war Reformpädagogin, Journalistin, Sozialarbeiterin, Kunstförderin und Menschenliebhaberin. Sie gründete Ferienkolonien und empfing in ihrem "offenen Haus" in der Josefstädter Straße bekannte KünstlerInnen der Wiener Moderne. Das Leben und Wirken der Eugenie Schwarzwald ist aus den heute noch vorhandenen Quellen jedoch nicht einfach zu rekonstruieren. Die Puzzlesteine zusammenzufügen und ein rundes Bild dieser außergewöhnlichen Wahlwienerin zu präsentieren, hat nun Deborah Holmes mit ihrer neu erschienenen Biografie "Langeweile ist Gift. Das Leben der Eugenie Schwarzwald" übernommen.

"Sie war ein Ereignis, schrill, laut, sagte ihre Meinung geradeaus und dirigierte gerne das Geschehen - sie hat keinen kalt gelassen", charakterisiert Deborah Holmes die Reformerin. Eugenie Schwarzwald wurde am 4. Juli 1872 als Eugenie Nussbaum in Ostgalizien geboren. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie in Czernowitz, wo sie auch die Lehrerinnenbildungsanstalt besuchte, die sie jedoch nicht abschloss. Wie viele bildungshungrige Frauen um die Jahrhundertwende zog es sie in die Schweiz, wo sie an der Universität in Zürich inskribierte - damals die einzige Möglichkeit für Frauen, ein Studium zu absolvieren.

1900 schloss sie als erste Frau ein Germanistik-Doktorat ab und heiratete noch im selben Jahr ihren Jugendfreund Heinrich Schwarzwald. 1901 übernahm sie die provisorische Leitung eines Mädchenlyzeums am Wiener Franziskanerplatz - die erste der "Schwarzwald'schen Schulanstalten". Sie gründete die erste koedukative Volksschule Österreichs und das erste Realgymnasium für Mädchen.

"Es lebe die Protektion!"

Schwarzwalds Schulidee war jene einer "fröhlichen Schule", in der Musik und Bildende Kunst Mädchen genauso selbstverständlich beigebracht wurden wie Physik und Mathematik und wo der offene Dialog zwischen LehrerInnen und Schülerinnen gefördert wurde. Namhafte KünstlerInnen wie Helene Weigel, Oskar Kokoschka oder Arnold Schönberg lud sie ein, an ihren Schulen zu unterrichten und half zeitlebens FreundInnen weiter, wo sie konnte. "Frauen müssen sich ausbilden dürfen für die neue Zeit" und "Es lebe die Protektion!" waren ihr Credo. Sie forcierte die Entwicklung zum naturwissenschaftlich orientierten Realgymnasium für Mädchen, erzog ihre "Kinder", wie sie, die selbst kinderlos blieb, ihre Schülerinnen gerne nannte, zu individuellen Persönlichkeiten und unterrichtete "ein bisschen von allem auf hohem Niveau", so die Biografin.

Trotz ihres Engagements und ihrer Erfolge auf dem Bildungssektor weigerten sich die Beamten des Habsburgerreiches jedoch, ihren Doktortitel zu akzeptieren und die unbequeme Reformerin als offizielle Direktorin der "Schwarzwald'schen Schulen" anzuerkennen. "Sie war eine geborene Lehrerin und begnadete Pädagogin - trotzdem musste sie ihre Schulen verteidigen, jedes Jahr neu akkreditieren und auch sich selbst Jahr um Jahr erneut dispensieren lassen, weil man ihren Schweizer Abschluss nicht als Lehrbefähigung anerkannte", so Deborah Holmes.

Kampf gegen Windmühlen

Doch die "Frau Doktor", wie sie oft genannt wurde, kämpfte tapfer und aufmüpfig weiter gegen Windmühlen und schaffte es binnen weniger Jahre, ihre Schulen zu den beliebtesten bei Eltern und Mädchen zu machen und ihre Schülerinnenzahl jedes Jahr zu vergrößern. Große Anerkennung verschaffte sich Schwarzwald außerdem, als sie während des ersten Weltkriegs Gemeinschaftsküchen und Ferienheime für Kinder und Jugendliche zum Beispiel am Semmering oder am Grundlsee gründete, die sie bis in die 1930er-Jahre hinein, als sie längst nicht mehr selbst unterrichtete, betrieb.

Neben den vielen Lobeshymnen gab es später aber auch kritische Stimmen unter den Schülerinnen. So beklagte sich etwa die Schriftstellerin Hilde Spiel, prominente Schülerin der ehemaligen Schwarzwald-Schule in der Wallnerstraße, darüber, dass die Rektorin die Schülerinnen des Gymnasiums gegenüber jenen der Frauenoberschule, die auch Spiel besuchte, bevorzugte, die anderen hingegen "nicht als ganz vollwertig" ansah. Trotzdem merkt auch Spiel später in einem Briefwechsel mit Schwarzwalds Freund Hans Deichmann an: "Daß ich zeitlebens stolz darauf war, eine Schwarzwaldschülerin gewesen zu sein, können Sie mir glauben."

Kein Denkmal

Dass in Wien noch keine Tafel an sie erinnert, ihr trotz ihrer hervorragenden Leistungen kein Denkmal gesetzt wurde, liege unter anderem an einer antisemitischen Aussage, die Schwarzwald einmal getätigt hatte, so Holmes. In einem privaten Brief an einen Freund 1931 hatte sie, die selbst Jüdin war, einen anderen jüdischen Freund, der einen Posten an einer deutschen Universität nicht bekommen hatte, als "dummen Juden", sich selbst als "ehrlich antisemitisch" bezeichnet.

In der Öffentlichkeit habe sie nie dazu Stellung genommen, genauso wenig wie sie ihr eigenes Jüdischsein öffentlich thematisierte. Fest stehe, dass Schwarzwald auch vielen Juden und Jüdinnen geholfen habe, sagt die Biografin: "Es war ihr letztendlich nicht wichtig, ob sie Juden waren oder nicht. Der Mensch stand für sie im Mittelpunkt. Dass sie sich hier als antisemitisch beschreibt, muss uns aber trotzdem zu denken geben."

Jüngste Erkenntnisse

Neu an der im Residenz Verlag erschienen Biografie sind vor allem Deborah Holmes' jüngste Erkenntnisse rund um Schwarzwalds Kindheit und Jugend, über die bisher wenig bekannt war, sowie über ihr Leben nach 1938 im Schweizer Exil, wo sie 1940, völlig verarmt, an Brustkrebs starb. Nach einer Vortragsreise nach Dänemark 1938 konnte sie nicht mehr in das mittlerweile annektierte Österreich zurückkehren. Die Nazis beschlagnahmten all ihren Besitz und sperrten, ohne sie davon zu unterrichten, ihre Schulen zu. Mit einem Schlag verlor sie alles, was sie sich in 35-jähriger Arbeit aufgebaut hatte. Nur der bedingungslose Rückhalt und die Unterstützung ihrer FreundInnen und Bewunderer in aller Welt blieben ihr. Sie waren ihr in diesen letzten beiden Lebensjahren Trost und Überlebenshilfe.

Deborah Holmes begab sich für ihr Buch, das aus einer Auftragsarbeit des Ludwig-Boltzmann-Instituts entstanden ist, in sechsjähriger Recherchearbeit persönlich an die Lebens- und Wirkplätze Schwarzwalds. Sie befragte ehemalige Schülerinnen und ZeitzeugInnen und durchforstete Archive in den USA, in Dänemark und der Schweiz, um bisher unbekannte, neue Quellen aufzuspüren und das aus bisher erschienenen Biografien entstandene Bild des "Menschen Schwarzwald" zu ergänzen.

Schwarzwald hinterließ keinen echten Nachlass, über ihre Begabung im Knüpfen von Netzwerken habe sich nur wenig dokumentarisches Material erhalten, erklärt Holmes: "Trotz ihrer vergleichsweise großen Sichtbarkeit zu Lebzeiten passt dieser Aspekt ihrer Biografie daher durchaus in die Kategorie 'unsichtbare Frauen'. [...] Ihre Spuren in den österreichischen Archiven stellen nur einen Bruchteil dessen dar, was sie hinterlassen hätte, wenn sie ihren Lebensabend daheim hätte verbringen können." (isa, dieStandard.at, 25.10.2012)