Hell, einfach, bunt: Die Küche und der Speiseraum im CS-Hospiz Rennweg.

Foto: derstandard.at/gueb

Die einzigen langfristigen Bewohner sind zwei Katzen.

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Das Zimmer eines Bewohners.

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Für die Angehörigen steht ein Meditations- und Gedenkraum zur Verfügung, in dem auch die verstorbenen Hospizgäste zur Verabschiedung aufgebahrt werden.

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In Gedenkbüchern können Angehörige und Freunde ihrer Trauer Raum geben.

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Oberzellergasse 1, 3. Wiener Gemeindebezirk: Wer hier wohnt, ist unheilbar krank. Wer hier lebt, dem bleibt nicht mehr viel Zeit - eine "begrenzte Lebenserwartung", wie es im medizinischen Fachjargon heißt.

Durchschnittsalter: 73 Jahre. Mittlere Verweildauer: 21,5 Tage. Sterbende Patienten mit einem todkranken, zumeist alten Körper, aus dem das Leben so lange im Stunden-, Tages- und Wochentakt tropft, bis es endgültig versiegt. Ein Rest Leben, in dem Zeit keine Rolle mehr spielen dürfte - zumindest aus der Sicht eines gesunden, zukunftsträchtigen Körpers.

Wer jedoch einen Blick hinter die Fassade der Statistik wagt, wird mit einer sozialen Wirklichkeit konfrontiert, die Zeit nicht mehr zum quantitativen Maß aller Dinge erhebt. Natürlich unterscheiden sich die einzelnen Hospizgäste darin, wie sie den Rest ihres Lebens definieren und gestalten, was sehr wohl auch "Resignation" bedeuten kann. Aber "für die meisten spielt qualitativ hochwertige Zeit noch eine ganz große Rolle", ist Hospizleiterin Andrea Schwarz überzeugt.

Im Hier und Jetzt leben

Wie für die etwa 80-jährige Waltraud Kronbichler*, die in ihrer Zeit auf der Palliativstation mit dem Malen und Zeichnen begann. "Eine Schwester hat damals quasi in einem Nebensatz fallen lassen, dass es schön wäre, wenn sie ihre Bilder im Rahmen einer Ausstellung zeigen würde", erzählt Andrea Schwarz. Die betagte Dame war von der Idee angetan, feilte täglich an ihren Werken und organisierte tatsächlich eine Vernissage im Speisesaal des Hospizes, zu der neben Journalisten auch 50 weitere Gäste geladen wurden. "Diese Frau hat noch jeden ihrer Tage sehr intensiv gelebt und wie eine Wilde gezeichnet, so dass die Bettwäsche regelmäßig angemalt war", berichtet die Bereichsleiterin. Damit nicht genug: Nach der Ausstellungseröffnung, bei der sogar zwei Bilder verkauft wurden, fragte Frau Kronbichler etwas lapidar: "Was ist das nächste Projekt?"

Das Leben im Hospiz Rennweg fokussiert sich in erster Linie auf den Augenblick - das Hier und Jetzt. Aus diesem Grund existieren auch keine fixen Tagesabläufe. "Bei uns ist es nicht wie in einem klassischen Krankenhaus, wo um sechs in der Früh Blutdruck oder Fieber gemessen wird und um sieben das Frühstück kommt", erläutert Andrea Schwarz. Die Tagesstruktur wird vielmehr an die individuellen Bedürfnisse der Hospizgäste angepasst. Wer lange schlafen will, tut das einfach. Wer es gewohnt ist, erst um neun zu frühstücken, der macht das. Wer gerne am Abend duscht, kein Problem. "Vor etwa zwei Jahren lebte ein Mann bei uns, der ist noch gerne in die Oper gegangen. Der hat halt dann die Oper besucht, solange das körperlich noch möglich war. Wir müssen nur wissen, wenn jemand weggeht, damit wir uns keine Sorgen zu machen brauchen", so die 43-jährige Leiterin.

"Vollpension" mit Terrasse und Garten

Die Einrichtung der Caritas Socialis ist streng genommen kein Hospiz, sondern eine Palliativstation, wo Stabilisierung und Schmerzlinderung im Mittelpunkt stehen. Dennoch erinnert die Einrichtung mehr an eine kompakte, heimelige und familiäre Ferienpension als an ein steriles Krankenhaus. Hell, bunt und freundlich sind Küche, Essraum und die Zimmer der Hospizgäste. Eine große Terrasse mit Blick auf den hauseigenen Garten lädt zum Lesen, Schauen oder einfach nur Genießen ein.

"Natürlich ist es häufig so, dass die Leute, die zu uns kommen, sehr verzweifelt sind, weil sie Schmerzen haben oder von Übelkeit geplagt werden", sagt Andrea Schwarz. "Unsere Ärzte und das Pflegepersonal schaffen es aber in den meisten Fällen, dass solche Symptome binnen kurzer Zeit kein Thema mehr sind." Das hat letztendlich damit zu tun, dass keine lebensverlängernden Therapien mehr im Zentrum der Behandlung stehen, sondern der Schwerpunkt darauf liegt, eine möglichst hohe Lebensqualität zu erhalten. "Selbstverständlich sterben nicht selten Menschen auf der Station - das ergibt sich schon rein aus der Zielgruppe. Doch nicht wenige unserer Hospizgäste werden hier wieder so aufpäppelt, dass sie schließlich wieder nach Hause können, wo neben den Angehörigen unser mobiles Palliativteam für sie sorgt", berichtet die Bereichsleiterin.

Alltag, Sterben und Tod

Besonders die rund 70 ehrenamtlichen Mitarbeiter sind dafür verantwortlich, dass in der Oberzellergasse 1 auch der Alltag bis zum Ende der Lebenszeit präsent ist. "Diese Menschen sind sehr, sehr wertvoll für uns - nicht zuletzt deshalb, weil sie die Außenwelt mit ins Hospiz bringen. Vorlesen, spielen, sich um den Garten kümmern, aber auch die Zahnprothese eines Bewohners zum Zahnarzt bringen, wenn etwas korrigiert werden muss, zählen zu den Aufgaben der freiwilligen Helfer", erklärt Schwarz. Gespräche über das Sterben und den Tod gehören ebenso dazu. "Wenn der Gast will, wird das thematisiert."

Letztendlich muss aber jeder Hospizgast seinen persönlichen Zugang zur eigenen Endlichkeit finden. Andrea Schwarz ist die 99-jährige Elisabeth Wagner* noch in guter Erinnerung: "Die krebskranke Dame kam mit den Worten, dass sie einen Platz zum 'Absterben' suche. Nach einem Rundgang sagte sie: 'Ja, da bleibe ich.' Als es eines Tages zu Mittag Wiener Schnitzel gab, hat sie die Panier runtergenommen und gemeint: 'Wissen Sie, die ist so ungesund.'"

Oder die ehemalige Juristin Veronika Keller*, die noch ein letztes Mal nach Linz fuhr, um mit ihren Kindern drei Tage in ihrem Garten zu verbringen. Wieder zurück im Hospiz gab sie zu verstehen: "Ich glaube, jetzt passt es. Ich habe ein gutes Leben gehabt, und nun ist es einfach vorbei." (Günther Brandstetter, derStandard.at, 31.10.2012)

* Name von der Redaktion geändert