In der Holztafel, mit der "De Rijke Man" (Der reiche Mann) von Cornelis Anthonisz aus dem Jahr 1541 gedruckt wurde, haben einige Holzwürmer ihre Spuren hinterlassen.

Foto: Rijksmuseum, Amsterdam
Foto: Rijksmuseum, Amsterdam

Er hinterlässt viele kleine Löcher in feuchtem Holz und nistet sich gerne in Kellern, Dachböden, aber, Natur sei dank, nicht in zentral beheizten Wohnungen ein: der Gemeine Nagekäfer, Anobium punctatum, oder, besser gesagt: seine Larven. Der bekannte Holzwurm ist heute in ganz Europa und vielen weiteren Teilen der Welt verbreitet. Das war aber nicht immer so. Bis ins 19. Jahrhundert war ihm ein nördlicher Teil Europas vorbehalten.

Denn südlich einer Linie, die durch den Norden Frankreichs, nordöstlich an der Schweiz vorbei und dann südlich des Alpenhauptkamms durch Österreich verläuft, lag das Gebiet, das dem Südlichen Nagekäfer, Oligomerus ptilinoides, vorbehalten war. Offenbar waren die beiden Holzfresser Konkurrenten, die damals keine Überschneidungen im Verbreitungsgebiet zuließen. Steigender Handel und Globalisierung haben seit Ende des 19. Jahrhunderts für die Käfer genug Möglichkeiten zur Koexistenz geschaffen: Heute überschneiden sich die Verbreitungsgebiete der beiden Spezies vielfach.

Die historische Verbreitung der Käfer derart genau bestimmen zu können ist keine Selbstverständlichkeit. Genetische oder fossile Daten können zumeist nicht die räumliche und zeitliche Genauigkeit bereitstellen, um die neuere biogeografische Geschichte einer Spezies im Detail aufzuschlüsseln. Blair Hedges von der Pennsylvania State University griff zu einem besonderen Beweismittel, um die Nagekäfer dingfest zu machen: alte Bücher.

Kleine weiße Flecken auf alten Drucken

Illustrationen, die über viele Jahrhunderte hinweg mittels Holzschnitttechnik gedruckt wurden, weisen in vielen Fällen Spuren der Bewohner der Holzblöcke auf. Für Hedges sind die kleinen weißen Flecken auf den alten Drucken Lebensspuren, die sich relativ genau räumlich und zeitlich eingrenzen lassen. Er hat in seiner in den Biology Letters der Royal Society veröffentlichten Studie Drucke aus Westeuropa seit dem 15. Jahrhundert zur Grundlage genommen, um die Verbreitungsgeschichte der Holzwürmer nachzuvollziehen. Die Identifizierung unterschiedlicher Spezies war möglich, weil sie verschiedene Spuren hinterlassen: Jene aus nördlichen Städten waren kleiner als jene in den südlichen, die zusätzlich neben den Löchern auch längere Furchen an der Holzschnittoberfläche hinterließen.

Hedges sieht seine Holzschnittuntersuchungen als Anfangspunkt für Forschungen, die weit über das Gebiet der Biologie hinaus relevant sein können. In Kombination mit DNA-Material aus den historischen Holzschnitten sollen etwa zusätzliche Rückschlüsse gewonnen werden.

Genau datierte Invasionen unterschiedlicher Holznager könnten auf diese Art wirtschaftsgeschichtliche Erkenntnisse bringen. Die genaue Aufschlüsselung würde Geschichtsforscher in die Lage versetzen, einen relativ genauen historischen und geografischen Ursprung von verarbeiteten Hölzern, von Büchern und Kunstdrucken zu identifizieren. (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 21.11.2012)