Beim Überfliegen derzeit beliebter Trendlisten bin ich wieder über die Gärung gestolpert. Irgendwann in der Steinzeit zwecks Haltbarmachung ersonnen, ist das Vergären mit der Erfindung des Kühlschranks etwas ins Hintertreffen geraten – um in den vergangenen Jahren ein fulminantes Comeback in der Kulinarik-Szene zu feiern: Zwischen San Francisco und Kopenhagen wird mit neu entdeckter Leidenschaft alles vergoren, was vergären kann. Die "New York Times" und der "New Yorker" haben der Gärung große Artikel gewidmet, David Chang hat ein eigenes Gärlabor, ein derzeit gehypter Shop in San Francisco tut nichts anderes, und auch der Herr Reitbauer im Steirereck gärt schon länger fröhlich vor sich hin.

Vor ziemlich genau einem Jahr bin ich an meinem ersten Gärversuch, dem Sauerkraut, gescheitert. Im Sommer habe ich recht erfolgreich einiges an Gemüse eingelegt. Zeit, einen neuen Versuch zu starten.

Neue Geschmäcker

Vergären heißt nichts anderes, als dass man Bakterien oder Pilze sich über sein Essen hermachen lässt – fast immer unter Ausschluss von Luft, im Unterschied zur gemeinen Verwesung, für die es Sauerstoff braucht. Entweder man setzt Bakterien zu oder man vertraut auf jene, die ohnehin schon auf dem Essen leben. Glaubt man vielen Wissenschaftlern, macht das Gären Lebensmittel gesünder und verdaulicher – sicher ist, dass es völlig neue Geschmäcker erschafft. Was ist schon schnödes Kraut im Vergleich zu Sauerkraut mit seinen zart säuerlichen, süßen, prickelnden Aromen? Um wie vieles tiefer ist der Geschmack der Salzgurke als der ihres Pendants frisch aus dem Garten?

Zu den alten Hasen unter den Gärprodukten gehören Käse, Bier, Sauerteig, Hartwurst und Fischsauce, in jüngster Zeit sind diverse bisher unvergorene Gemüsearten und Heuschrecken hinzugekommen. Ich bleibe vorerst lieber bei Bewährtem – in diesem Fall Kimchi.

Die Ostasiaten sind ja generell große Fermentierer, es schien mir daher naheliegend, nach der Sauerkraut-Niederlage in diese Gegend zu blicken. Kimchi ist die Essiggurke Koreas, das eingelegte Gemüse, das sie in oder neben fast jedem Essen servieren. Je nach Jahreszeit und Ort kann das sehr unterschiedlich ausfallen, Rettich und Gurken im Sommer, Chinakohl im Winter, ohne Meeresfrüchte im Norden, mit frischen Austern im Süden. Im Idealfall entwickelt es eine herrliche Note (eigentlich ein ganzes Geschmacks-Konzert), die auf Englisch gern mit "funky" umschrieben wird und für die mir gerade keine adäquate Übersetzung einfällt. Süß, sauer, salzig, scharf, prickelnd – eine beachtliche Geschmacksvielfalt für so ein bisschen Salat.

Moderne Koreaner fermentieren Kimchi im Kühlschrank

Das Gemüse wird mit diversen Aromatisierern wie Fischsauce und/oder Chillipulver vermischt. Traditionell wird es in großen Tonkrügen vergoren, die lose Deckel haben (damit die entstehende Kohlensäure entweichen kann und das Gefäß nicht explodiert) und in der Erde vergraben sind. Der moderne Koreaner fermentiert eher im Glas im Kühlschrank. Stehen gelassen wird das Kimchi je nach Geschmack zwischen ein paar Tagen und einer Ewigkeit. Eher geht die Menschheit unter, als dass ein Glas Kimchi schlecht wird, soll ein koreanisches Sprichwort besagen.

Kimchi machen ist ein Fest der Sinne: Es sieht wunderschön aus, riecht spannend und der Koch kann mit den Händen in sämiger Sauce und Kohl wühlen – herrlich an einem verregneten, viel zu warmen Jännertag. Ich habe mich für den berühmtesten Vertreter der Kimchi-Familie entschieden, das klassische Paechu-Kimchi mit Chinakohl. Erstens, weil der Salat eines der wenigen Gemüse ist, die derzeit zu haben sind, und zweitens, weil ich dafür ein Rezept von oben genanntem Fermentiermeister Chang habe. Er hat es bereits öfter kundgetan, es findet sich also mehrmals im Internet. Ich habe mich an jener Variante orientiert, die hier abgedruckt ist. Ob sie gut ist, kann ich noch nicht sagen. Sie ist jedenfalls ziemlich einfach und geht so:

Kimchi, leicht abgewandelt nach David Chang

Erst einmal bleibt einem der Gang in den Asialaden nicht erspart. Das ist, zumindest für mich, immer eine gewisse Herausforderung, weil ich dort meist maßlos überfordert vor den Regalen stehe. Daher hier eine detaillierte Einkaufsliste, an einigen Misserfolgen geschult. Ich empfehle in Wien Nakwon, einen koreanischen und daher für Kimchi-Macher idealen Laden. Mein Dank an den Kollegen Kretschmer für den Hinweis!

Foto: Tobias Müller

Sie brauchen: Sojasauce light (die hellere mit weniger Salz), wenn geht, dann aus Korea; Fischsauce (die ganz normale); gesalzene Shrimps (im Glas und aus irgendwelchen Gründen meist im Tiefkühler der Märkte zu finden – siehe Bild! Nehmen Sie keine Trockenshrimps, außer Sie sind ein Kimchi-Experte.); Kochukaru, koreanische Chiliflocken oder -pulver (es ist wichtig, dass das aus Korea kommt, weil das Chilipulver dort milder ist als anderswo. Wenn Sie sich nicht sicher sind und der Verkäufer sie nicht versteht – ich habe es falsch ausgesprochen -, schreiben Sie es ihm auf). Ansonsten werden ein Chinakohl, eine Karotte, ein Bund Frühlingszwiebeln, viel Knoblauch und ein wenig Ingwer verarbeitet, aber das sollten Sie auch im stinknormalen Supermarkt bekommen.

Foto: Tobias Müller

Zubereitung

Am Abend vor dem Kimchimachen den Chinakohl der Länge nach vierteln und die Viertel in etwa zwei Zentimeter breite Streifen schneiden.

Foto: Tobias Müller

In einer großen Schüssel mit 35 Gramm Salz und 20 Gramm Zucker gut vermischen und stehen lassen. Am nächsten Morgen sollte sich das Kohlvolumen halbiert haben und das Gemüse im eigenen Sud stehen.

Die Karotten in feine Streifen schneiden, die Frühlingszwiebel samt Grün in breitere Streifen schnipseln und zum Chinakohl werfen.

Foto: Tobias Müller

Die restlichen Zutaten in einen Häcksler schmeißen und pürieren: je nach Größe sechs bis zehn geschälte Knoblauchzehen, ein etwas mehr als daumengroßes Stück geschälter Ingwer, 60 Milliliter Sojasauce, einen Viertelliter Wasser, 75 Milliliter Fischsauce, ein Viertelliterglas voll Chillipulver (ich hab's nicht gewogen), zwei gehäufte Esslöffel gesalzene Shrimps und etwa 200 Milliliter Sirup (100 Gramm Zucker in 100 Milliliter Wasser aufgelöst).

Foto: Tobias Müller

Sie sollten nach dem Häckseln ein relativ flüssiges, wunderschön dunkelrotes Püree haben, das Sie nun über das Gemüse kippen.

Foto: Tobias Müller

Alles mit den Händen gut durchmischen.

Foto: Tobias Müller
Foto: Tobias Müller

In ein großes, sehr sauberes, verschließbares Glas füllen, ein Trichter hilft hier sehr. Ich habe mein Glas eine Zeit lang in kochendem Wasser gebadet.

Foto: Tobias Müller
Foto: Tobias Müller

Verschließen und entweder in den Kühlschrank oder – derzeit – auf den Balkon/in den Garten stellen. Alle paar Tage kosten – um zu wissen, wann es fertig ist, und um das entstehende Gas entweichen zu lassen.

Foto: Tobias Müller

Eine Schlussbemerkung: In den USA, die ja eine eher antibakterielle Einstellung haben, ist es irgendwie nachvollziehbar, dass das Fermentieren auf Vorbehalte trifft. Österreich aber, sollte man meinen, müsste ein Gär-Vorreiter sein: An jeder Straßenecke wird bei uns eingelegtes Gemüse angeboten – allein, es ist noch kaum jemand auf die Idee gekommen, das auf einem gewissen Niveau zu tun.

Am Würstelstand, dieser bisher komplett ungenutzten gastronomischen Chance, gehören Salzgurke und eingelegter Paprika zwar zur Grundausstattung. Ein Würstelstand aber, der darüber hinausgehendes Selbstvergorenes anbietet, ist mir bisher unbekannt – schade. Sollte ich da was nicht kennen: Ich bitte um Hinweise und besseres Marketing. (Tobias Müller, derStandard.at, 6.1.2013)