Sportlegende, Reiterdoyen, Oberst in Ruhe: Peter Lichtner-Hoyer und vor ihm sein prallgefülltes Leben.

Weisgram
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Lichtner-Hoyer: Budapest 1954, Fünfkampf, 300 Meter Kraul...

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 ....und Berlin 1957, Sieg in einem Fünfkampf-Meeting.

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Die Sportwelt trauert um Peter Lichtner-Hoyer. Der ehemalige Springreiter und Spitzenathlet ist am 23. November im Alter von 94 Jahren gestorben. Der Grazer war vor allem durch seine athletische Vielseitigkeit herausgestochen: Skispringen, Alpinskifahren, Schießen, Fechten, Laufen, moderner Fünfkampf, Rennreiten, Dressur, Springreiten, Military. Lichtner-Hoyer nahm an 24 Welt- und Europameisterschaften, sowie zwei Olympischen Spielen teil.

Lesen Sie im Folgenden noch einmal den am 7. Jänner 2013 erschienenen Beitrag aus der Serie "Das wurde aus"...

Ritzendorf – Man fällt nicht vom Pferd. Man fällt, wenn es denn schon unbedingt sein muss, mit dem Pferd. Tut man das über Jahrzehnte immer wieder, kommt ziemlich was zusammen. 24 Gehirnerschütterungen zum Beispiel, zwölf Rippenbrüche, zwei lädierte Achillessehnen, eine zusammengeflickte Schulter, eine Halswirbelfissur und eine Gehirnprellung mit anschließendem mehrtägigem Koma.

Zählt man das alles zusammen und addiert noch ein kriegsbedingt zerschmettertes Knie und einen mithilfe von Millionen Schutzengeln überstanden Kopfschuss, so ergibt das dann jenen mittlerweile 88-jährigen Herrn Lichtner-Hoyer, dessen Vorname für Generationen von Österreichern nicht Peter gewesen ist. Sondern Leutnant. Leutnant Lichtner-Hoyer, selbst dann noch, als er längst schon Hauptmann war, später Major, ja Oberstleutnant gar.

Uniformträger

Jedenfalls war Peter Lichtner-Hoyer zeit seines langen Sportlerlebens - in dem er sich als schneidiger Springreiter ins kollektive austriakische Gedächtnis grub – der wohl bekannteste Offizier des Bundesheeres. "Ich hab als Einziger auch im Ausland die Uniform getragen. Und als Einziger hab ich die Erlaubnis gehabt, die Uniform auch als Pensionist zu tragen."

Will man ihn porträtieren, so liegt das Militärische als Thema auf der Hand. Aber bald ist klar, dass dies nur so etwas wie ein roter Faden unter vielen ist. Die Erzählungen des Peter Lichtner-Hoyer springen manchmal, wechseln vom Schießen zum Fechten zum Laufen zum Reiten zum Skispringen zum Alpinfahren. "Ich komme manchmal vom Hundertsten ins Tausendste", sagt er, ein wenig kokett auf die Fährnisse des höheren Alters anspielend.

Tatsächlich aber ist nicht die Erzählung des Peter Lichtner-Hoyer, sondern sein sportliches Leben ein ständiges vom Hundertsten-ins-Tausendste-Kommen-und-Gehen, für das nun, im Rückblick, erste eine Art Dramaturgie gefunden werden muss.

Die Details liegen wohlgeordnet auf dem langen Tisch in der Stube des alten Ritzenhofes bei Kreuttal im niederösterreichischen Weinviertel. Gesammelt in Büchern und Alben voller Zeitungsausschnitte – große, vortragstaugliche Fotografien zeigen den jungen Oberleutnant, wie er schwimmt, sticht, läuft, fliegt, wedelt oder eben reitet, und um nicht den Überblick zu verlieren, hat er auf einer Schautafel alle von ihm wettkampfmäßig ausgeübten Disziplinen aufgezählt.

21 sind es, von A wie Abfahrtsrennen über B wie Biathlon bis zu V wie Viererkombination. "Die wirkliche Königsdisziplin des Winters: Abfahrt, Slalom, Springen, Langlauf." Mit dem Skispringen "habe ich 1950 auf der Schanze in Schladming wegen einer Wette begonnen und gleich einen ordentlichen Stern gerissen". Das war im Probedurchgang, im Bewerb stand er beide Sprünge und wurde immerhin 47.

Pech

In rund 5000 Wettkämpfen ist er angetreten, er war in neun verschiedenen nationalen Auswahlen, hat 24 Welt- und Europameisterschaften bestritten und war zweimal bei Olympia. 1956 schickte das ÖOC den Springreiter, 1960 den modernen Fünfkämpfer Lichtner-Hoyer.

Beide Male war er von Pech und Missgeschick verfolgt. 1956 in Stockholm – wo die Reiterspiele wegen der strengen Quarantänebestimmungen in Australien stattfanden – wurde er mit Rienzi, der Freundschaftsgabe eines US-Besatzungssoldaten, disqualifiziert. 1960 in Rom war er, rekonvaleszent nach einer Halswirbelfissur, "ein angeknackstes Genick", die er sich in der Freudenau zugezogen hatte, chancenlos.

Bei späteren Spielen machten ihm die fehlenden oder noch zu jungen Pferde jeweils einen Strich durch die Qualifikationsrechnung. Auch 1976 – Peter Lichtner-Hoyer war mittlerweile 51 – "war wie verhext". Beim Qualifikationsturnier in Belgien fiel er mit Solon's son in den Wassergraben.

Peter Lichtner-Hoyer ist zweifellos der unbestrittene Doyen der heimischen Reiterei. Nicht bloß der Springreiterei. Auch mit den Pferden hat es ihn in die Vielseitigkeit gezogen, "ich bin ja eigentlich vom Galopprennen gekommen". Er ritt Dressur, Hürdenrennen, Vielseitigkeit, Military. Klar, dass er der erste veritable Star in der Wiener Stadthalle war beim Fest der Pferde. Gegen einen seiner Nachfolger ist er dort noch geritten. 1967 gewann er, ex aequo mit dem damals noch für Deutschland startenden Hugo Simon, die Mächtigkeit.

Sardische Anglo-Araber

Viele seiner besten Pferde – er hat sie alle noch detailliert im Kopf, von Lady I und II über Rienzi bis hin zum tschechischen Vollblut Sneszka – waren Italiener, genauer: Sarden. "Das sind Anglo-Araber mit einer regionalen Ausprägung, bodenständig, hart."

Lichtner-Hoyers erster Sarde war geliehen. Eigentümer von Argo della Crucca waren ein sardischer Freund und der italienische Landwirtschaftsminister, der sich denn auch einiges anhören musste, als dieser Umstand 1963, bei der EM in Rom, bekannt wurde. Argo musste in Italien bleiben, selbst die Interventionen von Außenminister Bruno Kreisky nutzten da nichts.

Von Sardinien holte er nicht nur Pferde – Cicerone di Sardegna, oder vor allem Decisio de Nora -, sondern auch eine spezielle Schule, die er heute noch gerne predigt, die "sistema naturale", in der eine ganz wichtige Rolle das Cavaletti-Reiten spielt, bei dem mit niederen Hindernissen der Gang des Pferdes getaktet wird. Eine Grundschule und unverzichtbares Training für Spring- und Dressurpferde gleichermaßen. Sagt Oberst Lichtner-Hoyer, und der ist immerhin "Cavaletti-Papst". Das sagt jetzt nicht nur Peter Lichtner-Hoyer, aber der sagt das auch.

In einem Buch am Tisch sucht er das Jahr, in dem er den Hugo Simon kennengelernt hat. Er blättert und findet nicht, weil er währenddessen von seinem Auftritt in der aktuellen ORF-Serie "Generation Österreich" erzählt. Der Oberleutnant der B-Gendarmerie berichtete da als Zeitzeuge vom Wiederaufbau des Bundesheeres.

Befördert

Im Sattel sitzt er immer noch. Seinen letzten Wettkampf bestritt er 2006. Jetzt muss die Cavaletti-Arbeit genügen. Und die Arbeit als " Aushängeschild". Früher war er das für das Bundesheer, jetzt für den Ritzenhof, den weitläufigen Reiterhof seiner zweiten Frau.

1978 ging er in Frühpension. Der Kontrollarzt diagnostizierte eine Form " von Asozialität. Er sagte: Mit Ihren Verletzungen hätten vier in die Invaliditätsrente gehen können." General Emil Spannocchi, Kreiskys reformeifriger Armeekommandant, wollte den Oberstleutnant nachträglich zum Oberst befördern. Der Minister winkte ab, so etwas habe es zuletzt 1804 gegeben. Bundespräsident Rudolf Kirchschläger unterschrieb dennoch, weil: "Den nächsten Oberstleutnant mit 1500 Siegen befördern wir auch."

Ach ja: Am 20. Jänner wird Oberst i. R. Lichtner-Hoyer " selbstverständlich" auch eine Antwort auf die Volksbefragung geben. " Eher konservativ." (Wolfgang Weisgram, DER STANDARD, 07.01.2013)